In der Region Luhansk, im von den Terroristen kontrollierten Altschewsk, “verurteilt” ein sogenanntes “Volkstribunal” einen der Söldner aufgrund einer Vergewaltigungsanklage zur Höchststrafe: Tod durch Erschießen. Das im Internet veröffentlichte Video zeigt eine 50 Minuten dauernde Verhandlung des “Tribunals”, eine Abstimmung und das Urteil, aber es geht daraus nicht hervor, ob es vollstreckt wurde. Das ukrainische Innenministerium warnt vor möglichen Strafanzeigen gegen die Mitwirkenden bei dem “Gericht”; Anwälte und Menschenrechtsaktivisten bezeichnen ein derartiges Vorgehen der Söldner als inakzeptabel.
“Ich beantrage die Verurteilung von Krawzow, Witalij Alexandrowitsch, geb. 1979, unter Berufung auf das Kriegsrecht zur Höchststrafe – Tod durch Erschießen. Die Bevölkerung in Neurussland muss der Entscheidung mittels einer Abstimmung zustimmen,” so lautet ein Auszug aus einer Verhandlung eines sogenannten “Volkstribunals” in Altschewsk. Die Mehrheit der im Saal Anwesenden stimmt für die Erschießung dieses Söldners, ein Angehöriger der Prisrak-Gruppe; zumindest war dies die Entscheidung, die vom ‘Präsidium des Tribunals’ verkündet wurde.
Das im Internet veröffentlichte Video zeigt die “Verhandlungen” in zwei Fällen. In beiden geht es um Vergewaltigung, in beiden Fällen sind die “Angeklagten” Söldner aus der oben erwähnten Prisrak-Gruppe. Das im Saal anwesenden Publikum stimmte jedoch nur einmal einem Todesurteil zu. Die Mitglieder des “Präsidiums” appellierten während der Anhörung an die “Volksmacht”: “Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. Es wird so sein, wie Sie sich entscheiden.”
Bei der Erörterung des Verhaltens der Vergewaltigungsopfer drohten Vertreter der Gruppe, die zum “Präsidium des Tribunals” gehörten, ganz offen damit, alle Frauen verhaften zu lassen, die sich in Restaurants und Diskotheken aufhalten. “Wenn Sie ehrsam bleiben wollen und sich Ihrem Mann widmen wollen, dann bleiben Sie zu Hause, machen Sie Stickereien”, erklärte der Anführer der Gruppe, Anatolij Mosgowij. “Bleiben Sie schön zu Hause, backen Sie Pirogen, feiern Sie den 8. März.”
Die Söldner wenden sowjetisches Kriegsrecht an
Es ist nicht klar, ob der “Angeklagte hingerichtet wurde” das Video endet mit der “Gerichtsverhandlung”. Schon früher hatte eine Gruppe der “Donezker Volksrepublik” über die Vollstreckung der Todesstrafe berichtet, und Fotos eines vom ehemaligen Söldnerchef Igor Strelkow (alias Girkin) unterzeichneten “Protokolls” wurden online veröffentlicht. Nach diesen Veröffentlichungen wenden die Söldner … die Verordnung über die Verhängung des Kriegsrechts an, das vom Präsidium des Hohen Rats der UdSSR am 22. Juni 1941 veröffentlicht wurde.
Rechtsanwältin Jewhenija Sakrewska sprach über die Möglichkeit der Anwendung der Todesstrafe auf den Gebieten unter der Kontrolle der Söldner; sie befasst sich derzeit mit mehreren Fällen von Geiseln. “Es geht unter diesen Umständen nicht nur um Morde, sondern um die Imitation von Gerichtsprozessen mit einer Mischung aus Rechtsnormen mit Bezug auf das ukrainische Strafgesetzbuch und der Kriegsrechtsverordnung von 1941, die im Wesentlichen Hinrichtungen und Militärgerichte vorschreibt,” bemerkte Sakrewska. “Es gibt Fälle, in denen das dokumentiert ist, aber ich bin sicher, dass das nicht alle solche Fälle sind.”
Innenministerium: Alle Teilnehmer an derartigen Absstimmungen sind Komplizen eines Verbrechens
Der Berater des ukrainischen Innenministeriums Anton Heraschtschenko sagt: Auch wenn es nicht zu einer Hinrichtung gekommen ist, ist das “Gerichtsverfahren” an sich schon ein Fall für die Gerichte. “Es gibt einen Paragraphen des Strafgesetzbuches: Selbstjustiz. Niemand hat das Recht, die Aufgaben derjenigen staatlichen Organe zu übernehmen, die nach dem Gesetz eigentlich dafür vorgesehen sind. Falls eine Person wirklich erschossen wurde, wird das als Mord angesehen werden,” betont Heraschtschenko.
Nach Angaben des Beraters des Innenministeriums werden alle bei dem “Tribunal” beteiligten Menschen als Mittäter strafrechtlich verfolgt, einschließlich der hundert Teilnehmer der Abstimmung.
Rechtsanwalt Ihor Holowan denkt, dass die ukrainische Seite sollte Anklagen erheben und Beweise für der von Separatisten begangene kriminelle Handlungen sammeln, vor allem in den Gebieten, die derzeit nicht unter ukrainischer Kontrolle stehen. “Natürlich ist es derzeit unmöglich, Ermittlungen anzustellen. Es gibt jedoch einen Fall, die Menschen haben einen Anspruch, insbesondere diejenigen, die es geschafft haben, von dort rauszukommen,”fügt der Rechtsexperte hinzu.
Unter Berufung auf seine juristische Erfahrung sagt Ihor Holowan weiter, dass die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen sehr passiv bei der Aufnahme von Ermittlungen sind. Der Anwalt betont, dass Ermittlungen und Beweiserhebungen in solchen Fällen (insbesondere der Tatsache, dass russische Bürger an den Verbrechen beteiligt sind) eine wichtige Grundlage sein könnten, um gegen Russland vor internationalen Gerichten vorzugehen, das nach Ansicht der Ukraine und einer Reihe von westlichen Ländern als direkter Sponsor der pro-russischen Söldner im Donbas auftritt.
Das Mitglied des russischen Menschenrechtszentrums Memorial, Svetlana Gannuschkina, sagt dazu, sie hoffe, dass das ‘Urteil’ und vor allem seine Vollstreckung sich als unwahr herausstellen werden. “Wenn es stimmt, gibt es keine Entschuldigung für dieses Verbrechen, die Schuldigen sollten nach dem Gesetz bestraft werden,” sagt die russische Menschenrechtsverteidigerin.
Inspirieren und einschüchtern
Die Psychologin Olena Lischtschynska erklärt: Solche “Volkstribunale’ haben neben der erklärten Durchsetzung von ‘Gerechtigkeit’, ein wichtiges ideologisches Ziel: Auf der einen Seite wird eine Illusion der Macht des Volkes erschaffen (auch wenn die” Menschen” über Leben und Tod, also Mord, entscheiden), andererseits schüchtert man diejenigen ein, die an der Autorität der Söldner auf irgendeine Weise zweifeln.
“Die Leute, die dies [die Aktionen des “Gerichts”- Red.] unterstützen, teilen die gleichen Werte, die ihnen die Regierung erlaubt, so dass sie inspiriert werden, diese Werte auch auszuführen. Wer durch so etwas schockiert ist, wird stattdessen eingeschüchtert.”
Die Todesstrafe diente in der Sowjetunion als Strafe. Die Ukraine hat sie zweimal abgeschafft – 1995 und endgültig im Jahr 1997. In Europa existiert nur noch in Belarus die Todesstrafe als Strafe.
Autorin: Olena Removska
Quelle: RFE/RL
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch