Kommentar des Soziologen Slawomir Sierakowski in der New York Times vom 28. April 2014
Westliche Intellektuelle haben schon lange ein Faible für Russland. Voltaire, der französische Lehrer der Toleranz und ein großer Freund von Katharina der Großen, sagte, dass er gerne nach Russland ziehen würde, wenngleich auch nur, wenn seine Hauptstadt Kyiw wäre, nicht das eisige St. Petersburg. Johann Gottfried von Herder, der deutsche Philosoph des aufgeklärten Nationalismus, träumte, er würde als “neuer Luther und Solon” die irdische Herrlichkeit für eine bislang unberührte Ukraine erwerben können, die er innerhalb des russischen Reiches in ein “neues Griechenland ” verwandeln wollte.
Und im letzten Jahrhundert verblüfften Intellektuelle wie André Gide, Pablo Neruda und Jean- Paul Sartre damit, dass sie der Sowjetunion als, wie Lenin sie alle angeblich nannte, “nützliche Idioten” dienten und seine Monstrositäten erst viel später entschuldigten, lange nachdem der Rest der Welt sie als solche erkannt hatte.
Für Menschen im restlichen Osteuropa (mich eingeschlossen), die Russland besser als die meisten kennen, ist eine solche Naivität schon seit langem eine Quelle von Ärger. Und doch setzt sich das fort, selbst heute noch, denn viele amerikanische und westeuropäische Intellektuellen tun, was sie können, um die gefährliche Aggression durch Wladimir W. Putin zu kleinzureden.
Der Russlandexperte Stephen F. Cohen schrieb in “The Nation” und argumentierte, dass Putin nicht zu tadeln sei für den Konflikt in der Ukraine, dass er versucht habe, ihn zu vermeiden, dass der Westen ihn aber zum Handeln gezwungen habe. In Cohens Augen hat der Westen Russland unnötig gedemütigt durch die Einladung an Länder wie Polen, die Tschechische Republik und Ungarn, der NATO beizutreten.
Die Ukraine, schrieb er, sei Teil der Einflusssphäre Russlands, warum können wir also nicht Putins Vorschlag akzeptieren, dass die Ukraine nur föderalisiert werden sollte, mit einer in einer neuen Verfassung garantierten Neutralität?
Cohens Verteidigung der Einflusssphäre Russlands übersieht jedoch die Frage, ob die Länder, die darunter fallen, durch eigene Wahl oder Zwang dazugehören. Die Ukraine ist bereit, in der westlichen Einflusssphäre zu sein, weil sie dort Unterstützung für die Zivilgesellschaft, die Wirtschaft und die Landesverteidigung erhält – und Russland tut nichts dergleichen.
Cohen und andere verteidigen nicht nur Russland; sie attackieren auch die Pro-Demokratie-Aktivisten in der Ukraine. Ein anderer amerikanischer Experte, Max Blumenthal, beschrieb die Euromaidan-Bewegung als aus “weit rechts stehenden Straßenkampf-Männern” bestehend, “die sich verpflichtet haben, die ethnische Reinheit ihres Landes zu verteidigen”.
Es stimmt, solche Menschen gab es auf dem Maidan, aber da waren sie Randfiguren, und die Slogans über ethnische Reinheit haben nie irgendwelche Popularität gewonnen. Ja, allgemein gesprochen, gibt es in der Ukraine Skinheads und Antisemiten und sogar Serienmörder, Pädophile und Satanisten. Sie sind aber nicht weniger oder mehr Anzahl als in jedem anderen Land, auch in den allerreifsten europäischen Ländern.
In einem besonders krassen Absatz schreibt Blumenthal, wie die “offen pro-nationalsozialistische Politik” der ukrainischen Swoboda-Partei und seines Führers, Oleh Tyahnibok, “den Senator John McCain nicht davon abgeschreckt worden sei, bei einer Euromaidan-Kundgebung” eine Rede zu halten,” und “die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland nicht an einer freundlichen Begegnung mit dem Swoboda-Führer im Februar dieses Jahres gehindert habe.”
Das verzerrt, wie diese Dinge funktionieren. Eine ganze Reihe von westlichen politischen Führern reiste zum Euromaidan, und fast alle von ihnen wurden mit Herrn Tyahnibok fotografiert. Wie auch immer, die Swoboda war ein Teil der Koalition von Parteien hinter der Euromaidan Bewegung, und man hatte vereinbart, sich gegenseitig zu unterstützen. Amerikaner würden sich in einer ähnlichen Situation genau auf die gleiche Weise verhalten.
Seltsamerweise scheinen die westlichen Intellektuellen sich nicht behelligen zu lassen von denjenigen, die die Ähnlichkeit zwischen ihren Äußerungen und russischen Propaganda darstellen. In der Tat werden solche Vorwürfe kurzerhand zurückgewiesen. Zoltan Grossman, der an der Evergreen State in Olympia, Washington, lehrt, schreibt, es sei “falsch und unverantwortlich zu behaupten, dass die Anwesenheit von Faschisten und Nazis in der neuen Regierung lediglich russische Propaganda sei.”
Für Dr. Grossman sind lästige Details weniger wichtig als die Tatsache, dass Dmytro Jarosch, der Führer der rechtsextremen Organisation Rechter Sektor, zum stellvertretenden Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates ernannt worden war.
Das klingt bedrohlich, bis Sie darauf kommen, dass Jarosch formal kein Mitglied der Regierung ist und im Februar bei einem Treffen mit Israels Botschafter in der Ukraine öffentlich zugesichert hat, dass der Rechte Sektor jedes Vorkommen von Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Chauvinismus bekämpfen werde.
Die naiven amerikanischen Intellektuellen sagen das kostenlos, der schlaue ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder erhält dafür 250.000 Euro pro Jahr als Vorstandsmitglied des russischen Ölriesen Gazprom. Schröder, der deutsche Vater des “Gazprom-Sozialismus” – eine neue Unterart von Limousinen-Liberalismus – hat Berlin durch seine Unterstützung de Annexion der Krim durch Russland immer wieder in Verlegenheit gebracht.
Er ist aber nicht allein – ein weiterer Ex-Kanzler, Helmut Schmidt, hat kürzlich ebenfalls Russlands Loblied gesungen, ebenso wie Günter Verheugen, ein prominenter ehemaliger EU-Kommissar.
Was treibt diese Menschen an? Ist es ein Fall von unausgereiftem Pazifismus? Ein Ausbruch von Reue für die begangenen Kriegsverbrechen gegen Russen, vor so vielen Jahren? Oder das Stockholm-Syndrom eines Opfers, das von seinem Henker fasziniert ist?
Ganz offensichtlich haben sie jedes Recht auf eine eigene Meinung. Aber mit solchen Sprüchen verursachen sie großen Schaden für die Nachkriegsregierung Deutschlands, die sich auf ein Bekenntnis zu Demokratie und nationaler Selbstbestimmung beruft, alles Dinge, die derzeit unter Beschuss von Putin stehen.
Die Ironie ist, dass die die westlichen Intellektuellen sich dadurch, dass sie Russland beistehen und mit dem Finger auf faschistische Phantome in der Ukraine weisen, nicht nur dem Autokraten im Kreml an die Seite stellen sondern auch den Legionen von rechtsextremen Parteien in Europa, die zur Verteidigung Russland antreten, darunter Ungarns Jobbik, der Vlaams Belang in Belgien, in Österreich die Freiheitliche Partei, Italiens Lega Nord und der französische Front National. Wer sagt denn, dass Russland Propaganda braucht? Es hat ja schon seine nützlichen Idioten.
Slawomir Sierakowski ist Soziologe, einer der Gründer der Bewegung Krytyka Polityczna (Politische Kritik) und Direktor des Institute for Advanced Study in Warschau. Dieser Artikel wurde von Maria Blackwood aus dem Polnischen übersetzt.
(Deutsch von Euromaidan PR auf Deutsch)
Quelle: http://www.nytimes.com/2014/04/29/opinion/sierakowski-putins-useful-idiots.html