Wenn man sowohl auf das historische als auch das aktuelle Pro-Putin-Segment der deutschen öffentlichen Diskussion schaut, kann man die Zielgruppen und Methoden der russischen Desinformationspolitik identifizieren.
Die wichtigsten Putin-freundlichen Überzeugungen:
"Die Verantwortung für die Krise in der Ukraine liegt beim Westen." Diese Überzeugung beruht auf der Annahme, dass der Westen das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen verletzt habe. Man geht davon aus, dass der Westen mit der Unterstützung und der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo auch das internationale Gleichgewicht durch die Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands in Frage gestellt hat. Mit dieser historischen Analogie wird "das Recht auf Selbstbestimmung", wie es durch das "Referendum" auf der Krim zum Ausdruck gekommen sei, oft mit der Selbstbestimmung des Kosovo gleichgesetzt. Aber zur gleichen Zeit wird die Wahl der Mehrheit der Ukrainer für die europäische Integration so dargestellt, als ob sie von außen aufoktroyiert gewesen wäre (der Vorwurf des “amerikanischen Gelds für den Maidan" wird oft in dieser Hinsicht erhoben). Und der EU vorgeworfen, "unrealistische Erwartungen" in Kyiw geweckt und damit Putin provoziert zu haben. Diese Logik betont in der Regel die Notwendigkeit der Berücksichtigung der legitimen Interessen Russlands im postsowjetischen Raum. Das bedeutet folglich, dass der Konflikt in der Ukraine "nicht gegen Putin, sondern nur zusammen mit Putin" gelöst werden sollte (ein Zitat aus einem Wortbeitrag des pensionierten NATO-Generals Harald Kujat bei einer ARD-Talkshow). "In der Ukraine haben wir es zu tun mit einem Bürgerkrieg zwischen dem Osten und dem Westen des Landes, der durch den Nationalismus der Kyiwer Post-Maidan-Regierung verursacht wurde." Dieses Bild basiert auf einer intensiv propagierten Beschreibung der Ukraine als zutiefst gespaltenes Land, wo der pro-europäische und gleichzeitig ultra-nationalistische "Westen" einem pro-russischen oder einfach russischen “Osten” gegenüber steht. Die Ukraine wird hier als gescheiterter Staat porträtiert, der zufällig als Ergebnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion ohne eigene historische und kulturelle Daseinsberechtigung entstanden sei. Mit anderen Worten wird die Ukraine nur als Schlachtfeld für die wirklichen Supermächte angesehen. Der Begriff "Bürgerkrieg" hilft auch dabei, die Frage der russischen Intervention herunterzuspielen; und ein Vergleich der Ukraine mit der Tschechoslowakei lässt die Idee einer friedlichen Trennung als wünschenswerte Lösung erscheinen.Die Ukraine wird nur als Schlachtfeld für die wirklichen Supermächte angesehen.
Die deutschen kulturellen Hintergründe der Pro-Putin-Einstellungen
Die deutschen kulturellen Hintergründe der Pro-Putin-Einstellungen sind vielfältig. Antiamerikanische Gefühle, zum Beispiel, vor allem in linken deutschen Kreisen, die, wie Anna Veronika Wendland darlegt, auf den Imperialismus im Westen verweisen, lassen aber den Imperialismus in der russischen Politik im postsowjetischen Raum völlig außer acht.Es gibt eine deutsche Nachkriegskultur mit der Ansicht, dass jeder Konflikt gelöst werden kann, wenn alle Seiten genug Kaffee miteinander trinken.
Für viele Deutsche hat die Ukraine keine eigene historische und kulturelle Daseinsberechtigung.
“Die Putinversteher”
Die Propaganda des Kreml in Deutschland tendiert eher dazu, eine breite Akzeptanz und Sympathie gegenüber der Politik Putins nicht direkt zu fördern sondern Angst und Verwirrung zu verbreiten. Mit dieser Propaganda wird bezweckt, einen politischen und sozialen Konsens über den Standpunkt Deutschlands gegenüber der Ukraine und damit den Widerstand gegen die russische Intervention zu verhindern. Trotz ihrer Vielfalt könnte die Hauptaufgabe des Pro-Putin-Diskurs in Deutschland in einem Wort zusammengefasst werden: Nichteinmischung. Nach dieser Logik sollte die Ukraine weder eine NATO-Mitgliedschaft in der Zukunft noch westliche Militärhilfe erwarten. Die Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine kann nur als ferne und vage Möglichkeit erwähnt werden. Gleichzeitig sollten die Sanktionen gegen Russland aufgegeben werden (oder zumindest nicht erweitert), um einen "neuen Kalten Krieg” zu vermeiden. Ein solcher Ansatz gibt aber keine klare Vorstellung von der Zukunft für die Ukraine: Wie könnte sie als "Brücke" zwischen den widerstreitenden Integrationsprojekten (der EU und der eurasischen Wirtschaftsunion) existieren? "DiePutinversteher” bilden eine heterogene Gruppe von einflussreichen Ex-Politikern (wie die Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder), sowie Journalisten, Politikexperten, Geschäftsleuten und Personen innerhalb der Bundeswehr. Sie treten besonders häufig in deutschen TV-Talkshows auf und sind in den sozialen Medien aktiv, wo sie jede pro-ukrainischen Veröffentlichung und jeden Kommentar attackieren. Ungeachtet der Putinversteher scheint es so zu sein, dass es in Deutschland trotz aller Bemühungen ein wachsendes Verständnis dafür gibt, dass Putins Politik eine globale Dimension hat. Immerhin stellt seine Politik alle bestehenden internationalen Institutionen und das gesamte System des Völkerrechts in Frage. In diesem Sinne stellt die Intervention Russlands in der Ukraine und der daraus resultierende globale Informationskrieg eine Reihe von Herausforderungen für die EU dar (vor allem angesichts der komplizierten Entscheidungsprozesse): Wie sollen Demokratien sich gegenüber einer autoritären Atommacht positionieren? Wie kann Pazifismus den Krieg mit einem gewalttätigen Aggressor verhindern? Und wie geht die Meinungsfreiheit mit Desinformation um?
Über den Autor: Dr. Andriy Portnov ist ein ukrainischer Historiker und Essayist. Derzeit ist er Gastprofessor an der Humboldt-Universität in Berlin.
Quelle: opendemocracy.net 24. November 2014
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch