Artikel von Steven Rosenberg, veröffentlicht am 18 September 2014 (Übersetzung)
Tausend Kilometer von Moskau entfernt teilt Oksana auf einer Holzbank im Hof ihres Elternhauses ihre Erinnerungen an den Bruder Konstantin.
Sie zeigt mir die Medaille, die er für seinen Einsatz im Nord-Kaukasus verliehen bekommen hatte, auch einige seiner Armee-Fotos, einschließlich eines Porträts an einem Anhänger.
„Dieses Bild werden wir für seinen Grabstein verwenden“, erklärt Oksana.
Drei Wochen, bevor Konstantin Kusmin getötet wurde, saß er in diesem Hof und genoss einen Sommerurlaub.
„Er bekam einen Anruf. Er sagte, es sei der Kommandant seiner Einheit, der berichtete, dass es einen Dienstaufsichtsbesuch geben würde und dass alle zurück zum Stützpunkt müssten“, erinnert sich Oksana.
„Er fuhr am 23. Juli weg. Drei Tage später rief mein Bruder an, um mir mitzuteilen, dass er wieder unterwegs sei. Es klang, als ob er vor irgendetwas Angst hätte. ‚Ich fahre in den Südwesten! Südwest-Ukraine!‘, sagte er. Ich dachte, dass er vielleicht die Grenzregion meinte…“, fügte sie hinzu.
„Am 8. August telefonierten wir wieder. Aber er war in Eile. Er sagte zu unseren Eltern ‚Mama, Papa, ich liebe euch. Lasst alle grüßen! Küsst meine Tochter für mich…‘ Dann, als er an die Grenze fuhr oder wohin auch immer, sagte er, dass wir ihn nicht anrufen sollten. Er würde uns anrufen.“
Konstantin war ein “kontraktnik”, ein Vertragssoldat.
Dementi
Wo und wie er getötet wurde, bleibt ein Rätsel.
Oksana fuhr fort: „Am 17. August kam ein Vertreter der Einheit zu meinen Eltern und teilte ihnen mit, dass mein Bruder getötet worden sei.”
„Er sagte, dass eine Granate, die von ukrainischem Gebiet abgefeuert worden sei, Konstantins Fahrzeug getroffen habe. Das war alles, was wir wussten, bis der Sarg eintraf. Der Beamte sagte, dass mein Bruder bei Wehrübungen an der ukrainischen Grenze getötet worden sei“, sagte sie.
“Glauben Sie das, was Sie mir sagen?“, fragte Oksana den Beamten.
„Nein“, antwortete er.
„Warum sagen Sie es dann?“, fragte Oksana nach.
“Sie sagen, dass es keinen Krieg gäbe, dass unsere Soldaten nicht beteiligt seien“, meint Oksana nun. „Wer ist dann verantwortlich für seinen Tod? Das ist die einzige Frage, die mich quält.”
Die offizielle Position Russlands ist unverändert: Es gibt keine russischen Truppen – und es gab nie welche – in der Ostukraine.
Fazit: Es gab keine russische Invasion, keine feindlichen russischen Übergriffe, keinen vom Kreml gesponserten Krieg.
Es ist eine Position, die Russland als unschuldigen Zuschauer in dem Konflikt darstellt.
Moskau räumt nun ein, dass einige russische Soldaten jenseits der Grenze zu den Waffen gegriffen haben und behauptet, dass diese Einzelpersonen dienstfrei genommen hätten und in ihrem Urlaub kämpften.
Dennoch gab es in den vergangen Wochen hartnäckige Berichte über russische Soldaten, die in den Kampf in die Ukraine geschickt worden seien, und auch über Begräbnisse von Soldaten quer durch Russland.
Niedergeschlagen und verprügelt
Es ist ein überaus heikles Thema.
Das mag erklären, was unserem Nachrichtenteam nach dem Interview mit Oksana passierte.
Als wir ihr Dorf verlassen wollten, wurden wir von einer Verkehrsstreife angehalten.
Unser Kofferraum wurde überprüft, so wie auch unsere Personalien.
Wir fuhren 60 Kilometer weiter nach Astrachan zum Mittagessen.
Beim Verlassen des Cafés, als wir uns dem Auto näherten, wurden wir von mindestens drei aggressiven Personen gestellt und angegriffen.
Unser Kameramann wurde niedergeschlagen und verprügelt.
Die Angreifer packten die BBC Kamera, zertrümmerten sie auf der Fahrbahn und nahmen sie in ihrem Fluchtfahrzeug mit.
Wir verbrachten mehr als vier Stunden auf der Polizeistation und wurden von Ermittlern einvernommen.
Begraben und vergessen
Auf dem Weg zum Flughafen entdeckten wir, dass an einigen Aufnahmegeräten im Auto herummanipuliert worden war, während wir auf der Polizeistation waren.
Die Festplatte unseres Hauptcomputers und einige Speicherkarten waren gelöscht worden.
Glücklicherweise hatten wir das Interview schon vorher nach London hochgeladen.
Aber warum sollte sich irgendjemand aufmachen, um unser Material zu zerstören und die Schwester eines russischen Soldaten zum Schweigen bringen?
Oksana ist keine Terroristin, keine politische Gegnerin der russischen Regierung.
Sie will lediglich die Wahrheit über Kontantins Tod erfahren – wo genau er starb und wie – und sicherstellen, dass die Armee ihren toten Bruder nicht im Stich lässt.
„Er liebte Russland, er war so patriotisch“, erzählt mir Oksana.
„Ich kann einfach nicht verstehen, wie sie einen Soldaten wie ihn vergessen können. Er wurde getötet, er wurde begraben, und er wurde vergessen.”
Quelle: BBC, searchtlightmagazine.com (18.9.2014)
Autor: Steven Rosenberg,
Übersetzung: Übersetzerteam von Euromaidan Press auf Deutsch
Bildnachweis: BBC