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Von Kleinkriminellen zu Mördern. Abriss über die politische Evolution der Stalinisten am Beispiel der Organisation Borot’ba

Originalquelle: nihilist.li
Quelle der deutschen Übersetzung: linksunten.indymedia.org

Vorbemerkung der Übersetzer*innen: Nachdem wir vor ein paar Tagen eine kurze Warnung vor dem Militarismus, Nationalismus und Querfront-Charakter der ukrainischen Organisation Borot’ba veröffentlicht haben, die von zahlreichen Landesverbänden der Partei Die LINKE als Kronzeugin für den Ukraine-Krieg geladen wurde, möchten wir nun einen detaillierteren Text über die Entwicklung der Borot’ba nachreichen. Es handelt sich um die Übersetzung eines Artikels der anarchistischen und antiautoritären ukrainischen Webseite nihilist.li aus dem Russischen, Autoren sind Wasilij Schapkirman und Rachil’ Kronschtadtskaja, Erstveröffentlichung war am 19.06.2014. Für eine Kurzfassung verweisen wir erneut auf das Flugblatt des ukrainischen Anarchisten und Künstlers Aleksander Wolodarski und die Seite der Autonomen Arbeitergewerkschaft.


Epidemie der Kraft, ein junger Organismus
Wir schreiten über Gräber
Unser Ziel – der Kommunismus
W. Arechowskij

Wir sind alle nur Stufen auf dem großen historischen Weg der Menschheit zu ihrer Befreiung. Jede Sekunde bin ich bereit, mich für die Revolution zu opfern. Und ich denke, das gibt mir das Recht, auch andere Menschen zu opfern. Zum Beispiel dich, zumal du eh ‘ne Arschgeige bist.
Aus dem Film “Lars von Trier, Regisseur und Ungeheuer”

1-bobapomochScreenshot eines militaristischen Posts von Borot’ba: “AUCH DU KANNST HELFEN” 

Die Organisation “Borot’ba” wurde offiziell im Mai 2011 geboren. Aber einem der Autoren war es gegönnt, bei ihrer Zeugung anwesend zu sein, die im April 2010 stattfand. Die Kiewer Organisation der Marxisten (OM) feierte ihr Jubiläum. Damals sprach Sergej Kiritschuk bei seinem Auftritt viel davon, dass es Gebot der Stunde sei, eine linke Partei zu gründen. Der zukünftige Führer der Borot’ba besaß zu diesem Zeitpunkt noch keinen Bart im Stile eines Revolutionärs aus einem Staat der “Dritten Welt”, sondern ähnelte eher einem Kleinhändler, der er zu diesem Zeitpunkt auch war (er handelte mit Hühnern). Sergej und die ihm Gleichgesinnten in der OM fühlten sich durch den Erfolg der landesweiten Nationalistenorganisation “Swoboda” inspiriert, und sie wollten auf ähnliche Weise Parteigründung betreiben, um die Kommunistische Partei der Ukraine am linken Flügel zu bedrängen. Genau zu diesem Zeitpunkt fiel erstmals der Name “Borot’ba” [Ukrainisch für Kampf; der Übersetzer].

Ungefähr ein Jahr nach dieser Rede spaltete sich die Organisation der Marxisten, wobei sie den Spalt schon seit dem Moment der Gründung in sich trug – es ist unmöglich über einen langen Zeitraum Stalinisten, Trotzkisten, ehemalige Parteinomenklatur, Komsomolzen-Führer und libertäre Linke zusammenzuhalten. Die Existenz der OM selbst war ein Indikator für die extreme Unreife der linken Politik in der Ukraine: nur in einer Periode extremer Apathie und Stagnation kann ein solch notdürftig zusammengestricktes Frankenstein-Monster die Illusion von Leben erwecken, ohne in Stücke zu zerfallen. Die Tatsache, dass sowohl die Autoren dieses Texts, als auch Dutzende anderer Linker nicht von Anfang den Faulheitsgestank rochen, der von dieser Organisation ausging, gereicht uns nicht zur Ehre.

Nach der Spaltung wandten sich einige Mitglieder der OM vom Aktivismus ab, andere bildeten die “Linke Opposition“, andere schließen sich den Libertären an, und andere – werden zu unseren Feinden. Echten Feinden, ohne Anführungszeichen und ohne rhetorische Übertreibung. Die Abgrenzung von der Borot’ba ist keine Frage der Unvereinbarkeit von Dogmen, es geht nicht um historisches Reenactment, nicht um anekdotische “Rache der Anarchisten wegen Kronstadt” [Ort der Niederschlagung eines Aufstands enttäuschter Linker/Konterrevolutionäre gegen die Kommunistische Partei Russlands 1921; der Üb.], nicht um all das, was uns die Autoritären [eine linkskonservative Strömung im postsowjetischen Raum, die dem Erbe Stalins, und im weiteren Sinne der UdSSR gegenüber positiv eingestellt ist; der Üb.] vorhalten.

Der Anfang des Konfliktes waren systematische Lügen und Betrug. Das war kein Geheimnis für Niemanden, aber viele zogen vor, darüber hinweg zu sehen – “diese Leute arbeiten eben an ihrer Karriere, sollen sie doch daran arbeiten, es gehört sich nicht, in anderer Leute Taschen zu gucken”. Aber heute haben sich die kleinen politischen Ambitionen, die Unehrlichkeit, die Bereitschaftschaft zu Lügen und zu manipulieren in Blut verwandelt. Nicht in einen abstrakten “Verrat an den Interessen der Arbeiterklasse”, sondern in völlig reale Tote und Verletze, unter denen, denen der Glaube an die Borot’ba kein Glück brachte, und unter denen, die ihnen im Weg standen.

Borot’ba wurde von der Fraktion der “Organisation der Marxisten” gegründet, die oft als stalinistisch charakterisiert wird. Sicher, sie liefen niemals mit Portraiten Stalins umher, und und nennen sich selbst ausschließlich Marxisten-Leninisten, und ihre Liebe zum Führer mit dem Schnauzbart konnten sie nur in einer betrunkenen Runde gestehen. Aber jede Ideologie wird nicht durch Deklarationen bestätigt, sondern durch die politische Praxis. Die Borot’bisten sind Stammhalter der “stalinschen”, sowjetischen politischen Schule. Die Anführer der Borot’ba stammen aus der Komsomol, manche von ihnen haben sich aktiv in der Kommunistischen Partei der Ukraine (KPU) eingebracht. Und das spiegelt sich nicht nur in ihrer UdSSR-Nostalgie wieder, bei der sie sich aktiv für ihre Agitation bedienen, nicht nur in der positiven Bewertung des Sowjetregimes, sondern auch in ihrer inneren Organisationskultur, in ihrer Taktik, ihren Strategien und Zielen.

Borot’ba bemühte sich aktiv, den Aktivismus der nichtautoritären Linken auszunutzen, und Anarchist*innen als schlagende Kraft einzuspannen. Die ukrainischen Stalinisten versuchten, sich die Aktivität der studentischen syndikalistischen Gewerkschaft “Direkte Aktion” zuschreiben zu lassen, in dem sie deren Aktionen “squatteten” [besetzten, unterwanderten; der Üb.]. Leider war die Direkte Aktion lange Zeit wegen der Abwesenheit einer ideengebenden Plattform und dem Unwillen, eine harte Position einzunehmen, lange Zeit ein Spielball in den Spielen von Stalinisten, Trotzkisten, Liberalen und Nationaldemokraten. Als sie es nicht schafften, die Anarchist*innen zu betrügen und auf ihre Seite zu ziehen, wurden diese politischem Druck ausgesetzt – zur Anwendung kamen Lügen und Intrigen, wie auch Drohungen und offene Gewalt, die jetzt neue Maßstäbe erreicht hat. Während eines Zusammenstoßes in Charkow drangen die Borot’bisten zusammen mit russischen Nationalisten ist die besetzte Regionalverwaltung ein und schlugen die dort befindlichen Menschen zusammen, unter denen sich auch Anarchisten und antiautoritäre Linke befanden. Um ihre Gewalt zu legitimisieren, beschuldigten sie alle ihre Opfer, Mitglieder des “Rechten Sektors” gewesen zu  sein – genauso wie die Stalinisten in Spanien sowohl Anarchisten, als auch zum POUM [Arbeiterpartei der Marxistischen Einheit; der Üb.] zu ihnen nicht loyale Marxisten als “Faschisten” bezeichneten.


Borot’ba-Zitat aus einer Mail: “Man muss die Nichteingeweihtheit der Medien ausnutzen, die die Namen der verschiedenen Sekten verwechseln, damit alles, was an Linkem in der Hauptstadt passiert, ausschließlich mit uns assoziiert wird. Ja, dass ist Squatting fremder Aktionen, aber wir haben keine andere Möglichkeit. Tut mir leid für meine Direktheit, Genossen. Wenn ihr gute Kräfte habt irgendetwas zu squatten, dann muss man das tun, und ich sehe daran auch nichts Verurteilenswertes.” 

Leninismus als solcher ist eine radikale und autoritäre Variante der Sozialdemokratie, Stalinismus – eine noch autoritärere Entwicklung. In der heutigen Zeit sind die Stalinisten nicht von den Sozis zu entscheiden, an Feiertagen sprechen sie von der Revolution, aber ansonsten neigen sie zur Teilnahme an der bourgeoisen Politik. In der ukrainischen Realität bedeutet “bourgeoise Politik” nichts anderes als Populismus. Borot’ba ist gut darin, ihre Rhetorik an die jeweilige Zielgruppe anzupassen. Das erlaubt es ihnen, eine gemeinsame Sprache sowohl mit den russischen Nationalisten, als auch mit der naiven westlichen Linken und deren nicht besonders makellosen ukrainischen Kollegen zu finden. Als Sergej Kiritschuk in Deutschland vor den Libertarianern bei der Versammlung der “Hedonistischen Internationale” auftrat (einem Treffen linker Aktivist*innen und Künstler*innen, zu dem er geladen wurde, indem er die Organisatoren austrickste), kritisierte er die “Rechtsextremen und Monarchisten” in den östlichen [separatistischen; der Üb.] Republiken [der Ukraine], und unterstrich, die Borot’ba würde an zwei Fronten kämpfen, gegen die “russischen und ukrainischen Nazis”. Bei einem Auftritt vor weniger kritischen Zuhörern, wie Die LINKE oder “Antiimperialisten”, rief er auf, die “antifaschistischen Volksrepubliken” zu unterstützen, und die russischen Nazis verwandelten sich bei ihm in “Personen, die sich etwas verrannt haben, aber von den Ideen und ihrer Klasse den Antifaschisten nahestehen”.

In Abhängigkeit vom Adressaten der Botschaft, verwandeln sich die Borot’bisten entweder in “Kämpfer für den Frieden”, oder in “Kämpfer gegen die nicht-legitime faschistische Junta in Kiew”. Sie rufen ganz unschuldig dazu auf, dass beide Seiten des Konflikts ihre Waffen niederlegen sollen, gleichzeitig freuen sie sich aber über jeden Mikro-Sieg der Donezker Volksrepublik (DVR). Fast im Minutentakt veröffentlichen sie Meldungen, indem sie die “Volksrepubliken” unterstützen und kritisieren gleichzeitig gegenüber dem Publikum deren “konservativen Wende”, frohlocken über die Prügel für “Maidaner” in Charkow, ein paar Wochen später veröffentlichen sie eine Resolution, die Gewalt verurteilt, protestieren gegen den russischen Imperialismus, dann kritisieren sie wieder Putin für dessen “unzureichende Hilfe” für die Separatisten und fordern von ihm sogar den Einmarsch seiner Truppen! Borot’ba ist in der Lage, unschuldig Sexismus und Homophobie zu kritisieren, wenn sie ein linksintellektuelles Publikum im Auge haben, gleichzeitig aber ihre Reihen Konservative aufzunehmen, die homophobe, sexistische und antisemitische Rhetorik gebrauchen. Aber diesen Punkt sollte man separat betrachten.

Einer der ersten lauten Skandale, der mit Borot’ba verbunden war, und mit dem de-facto, auch ihre Geschichte begann, war die Anwendung von Gewalt durch ihren Aktivisten Wladimir Gurow gegen die Anarchistin K.P. (Name auf Wunsch der Betroffenen gekürzt) im Frühling 2011. Gurow war niemals formal Mitglied der Borot’ba, aber er war Stammgast bei ihren Aktionen und lebte bei ihren Aktivisten, und später – im Büro, sein Foto ziert einen der Borot’ba-Aufkleber. Das Mädchen schlug er kurz vor der offiziellen Gründung der Organisation zusammen. Die Motivation war sowohl sexistisch, als auch politisch motiviert (Gurow versuchte hartnäckig, ihre Aufmerksamkeit zu bekommen, aber ohne Gegenseitigkeit; zudem regte er sich darüber auf, dass eine Frau sich erlaubte, ihm im politischen Streit zu widersprechen).

Nachdem diese Geschichte in der linken Szene bekannt wurde, distanzierten sich die Mitglieder der Borot’ba mit Worten von ihrem Mitstreiter, dessen Weste durch die Gewaltanwendung besudelt war, und sagten, er sei kein Mitglied ihrer Organisation. Sie rieten zynisch dazu, die Wahrheit mit Hilfe der Polizei zu suchen. Einige Zeit später lies er sich wieder in ihrem Büro nieder und fuhr fort, ihre Aktionen zu besuchen. Die Borot’bisten schoben ihn sogar als “Sprecher” einem Journalisten unter, der Arbeiteraktivist*innen interviewte, die gegen die Verzögerung von Lohnzahlungen bei dem Bau einer Brücke für die Euro-2012 protestierten. Die Organisation der linksliberalen Feministinnen “Feministische Offensive” erklärte Gurow und denen, die mit ihm zusammenarbeiten, ein Boykott, aber in der Praxis wurde dieses Boykott selbst von einigen seiner Initatiorinnen nicht eingehalten – die Teilnehmerinnen der Offensive schrieben Artikel auf der Seite “Liwa”, die unter der Kontrolle der Borot’ba stand, nahmen gelegentlich an Aktionen und Kampagnen zusammen mit Borot’ba teil, und pflegten bis zuletzt politische und freundschaftliche Kontakte zu den “nichtsektiererischen Linken”.

Anschließend trug sich eine ungeheuerlich sexistische Episode auch innerhalb der Borot’ba selbst zu. Die Aktivistin der Organisation Dar’ja Duschechkinu wurde von ihren eigenen Mitstreitern verfolgt, und mit Vergewaltigung und Gewalt bedroht, und schrieb daraufhin sogar eine Anzeige bei der Polizei. Auf der organisatorischen Ebene wurde diese Episode totgeschwiegen und verdrängt, Gespräche darüber waren nicht willkommen. Wiktor Schapinow versprach “diejenigen vom Newsletter der Organisation abzumelden, der ernsthaft anfängt, betrunkenen Unsinn zu diskutieren”. Der Konflikt endete damit, dass Duschechkina die Organisation verließ.


Borot’ba-Zitat: “Ich schlage trotzdem vor, separat ohne die Päderasten [rus. Schimpfwort für männliche Homosexuelle; der Üb.] und andere unsaubere Gestalten zu gehen (sowohl physisch, als auch moralisch)… Wir müssen uns anstrengen, mehr Leute zu versammeln!” #

Homophobie ist für die Borot’ba keine Kernthema, eher eines der Attribute der “linken Konservativen”. Aber es gibt auch Ausnahmen: ein schillerndes Beispiel ist der Odessiter Aktivist Aleksej Albu (ein Abgeordneter, der in die Regionalversammlung über die Liste der KPU einzog), der dazu aufrief, LGBT-Aktivist*innen aus linken Aktionen zu vertreiben, diese angriff und dafür sogar bereit war, mit den Rechtsextremen zusammenzuarbeiten. Erst vor kurzem machte die Borot’ba durch Verbreitung homophober Agitation auf sich aufmerksam; um sich beim “Antimaidan” anzubiedern spotteten sie aktiv über den Homo-Ljaschko und verbreiteten Texte über diesen.

Um das Bild zu vervollständigen, fehlt vermutlich noch Rassismus und Antisemitismus. Aber auch diese besitzen ihren Platz im Lebenslauf der Borot’ba. Eben jener Aleksej Albu kritisierte den Aktivisten der “Linken Opposition” Michail Schtokal wegen “liberaler Tendenzen”, wies dabei vergnüglich auf die Hautfarbe seines Opponenten hin und nannte ihn im Newsletter der Organisation einfach nur “Neger”. In der Folgezeit griff er Michail tätlich an – organisatorische Maßnahmen wurden wegen dieses Vorfalls jedoch nicht beschlossen: Albu blieb einer der Anführer der Organisation. Ein paar Jahre nach diesen Äußerungen kooperieren die Borot’bisten aktiv mit den russischen Nazis der “Slawischen Einheit” und den Ultrakonservativen der “Rodina” [rus. Heimat; der Üb.], die Informationen darüber werden ohne Scheu auf der Webseite der Partei veröffentlicht. Aleksej selbst ruft die russischen Streitkräfte auf, auf Odesa zu marschieren.


Borot’ba-Zitat: “Wenn die russischen Truppen in die Region Odesa einmarschieren – dann werden wir leichter atmen können” 

Zweifellos veröffentlichte Borot’ba zu keinem Zeitpunkt antisemitische Erklärungen, ja, sie führte sogar einige konstruierte und populistische “Anti-Antisemitische” Aktionen durch. Aber gleichzeitig befand sich in ihren Reihen lange Zeit der bekannte Antisemit Aleksej Bljuminow, früherer Chefredakteur der Zeitung “Wechernij Luhansk” [Abendliches Luhansk; der Üb.], in der Auszüge aus den “Protokollen der Weisen von Zion” abgedruckt wurden. Dieser professionelle “politische Wetterhahn” verließ die Borot’ba, um den Maidan zu unterstützen, bereut dies allerdings inzwischen, unterstützt die [militante separatistische Organisation; der Üb.Luhansker Volksrepublik (LVR) und versucht, die Beziehungen zu seinen alten Mitstreitern wieder aufzubauen.

Die Anführer der Borot’ba gingen auch nicht der Freundschaft mit Israel Schamir aus den Weg, einem rechten Fanatiker, der geradeheraus die Legende vom jüdischen Ritualmord verbreitet. Von Zeit zu Zeit tauchen auf der Seite von Borot’ba und in den sozialen Medien antisemitische Bilder auf. Sie werden schnell gelöscht, wenn sich ein Kritiker darüber aufregt, aber die Tendenz ist völlig klar. Sei es der “Zionistische Verräter” vor dem Hintergrund der israelischen Fahne, oder der “blutige Präsident Poroschenko” mit einer Minora auf dem Kopf – Borot’ba reproduziert bereitwillig die übelsten Darstellungen und Symbole.


Screenshot eines Borot’ba-Artikels, der durch eine antisemitische Karrikatur illustriert wird 

Die Borot’bisten, die viel, gerne und aus Eigennutz über ihren “Antifaschismus” sprechen arbeiten in Wirklichkeit viel und fruchtbar mit nationalistischen Organisationen zu sammen, und zwar nicht nur mit pro-russisch gefärbten. Gerade sie waren es, die sich 2012 für die Teilnahme der loyal zu den Nationalisten stehenden Gruppen “Kommuna” und “Sturmkomitee” (Schturmowoj KomitetSchK) an den Demonstrationen zum 1. Mai einsetzen. Heute haben sich die Aktivisten von Kommuna dem “Rechten Sektor” angeschlossen, und die damaligen Freunde vom SchK führen, wenn man den Worten des Borot’bisten Denis Lewin folgt, heute Angriffe auf ihre Aktionen durch. In Odesa arbeitete Borot’ba aktiv mit den Autonomen Nationalisten (Avtonomnyj Opir) zusammen.

“Antifaschismus” oder “Befreiungsnationalismus” sind für Borot’ba nichts mehr als Instrumente der politischen Manipulation: sie versuchen zu jedem Preis eine möglichst große Menschenmenge hinter sich zu versammeln, deren Überzeugungen spielen für die parlamentarischen Populisten überhaupt keine Rolle. Bei der einen Gelegenheit können sich die Borot’bisten unversöhnliche “Antinationalisten” nennen, bei einer anderen Gelegenheit appellieren sie an den nationalen Aspekt des “ukrainischen Bolschewismus” und interepretieren das wesentliche Erbe von Skrypnyk [Bolschewik und Leiter der ersten postrevolutionären Regierung in der Ukraine, Verfechter der ukrainischen Unabhängigkeit; der Üb.] und Chvylovy [ukr. Schriftsteller der frühen kommunistischen Periode; der Üb.] so, dass es ihnen selbst zum Nutzen gereicht.

Das verwundert auch nicht weiter, wenn man die politische Genesis der Borot’ba versteht, und weiß, an welche Zielgruppe sich diese wendet. Diese linke Alternative zur Kommunistischen Partei (KPU) versucht sich in erster Linie an das konservative, und häufig xenophobe Elektrorat zu wenden, das dieser Partei entstammt. Sie verzichten auf den offenen Klerikalismus und russischen Nationalismus ihrer älteren Brüder, aber sie können sich der Tolerierung von den Nationalisten und Konservativen “nahestehenden” Ideen nicht verweigern. Einer der wichtigsten Ideologen von Borot’baWiktor Schapinow, arbeitete neben Projekten für die eigene Partei für verschiedenste andere Kräfte. Die Geschichte von den Wahlen in [der russischen Stadt; der Üb.] Gus-Chrustalny, wo Schapinow für “Einiges Russland” [Putins Partei; der Üb.] arbeitete, erhielten Kultstatus bei der postsowjetischen Linken. Und das waren auch längst nicht die einzigen Wahlen, bei denen sich die Borot’bisten hervortaten – sie verwendeten Resourcen der Organisation für negative PR bei den Wahlen in der Republik Transnistrien, wo sie gegen den Kandidaten Evgenij Schewchuk arbeiteten, dem sie “pro-Europäertum” vorwarfen. Etwas früher tat sich Wiktor Schapinow hervor, als er auf der Krim für einen der Anführer der KPULeonid Gratsch arbeitete, und ihm “neulinke” Losungen wie “Macht den Millionen, aber nicht den Millionären” verkaufte. Man muss berücksichtigen, dass Grach, obwohl er sich von Symonenko [dem ersten Generalsekretär der KPU; der Üb.] distanziert hatte, indem er ihm “Abkehr vom Marxismus” vorwarf, sich selbst keinen Deut vom Mainstream der KPU unterschied, was deren klerikale und pro-russischer Einstellung anging.

Wie oben bereits gesagt, muss man die Geschichte der Borot’ba vom Frühling 2010 an betrachten. Ungefähr zu dieser Zeit machte Kiritschuks Karriere beim “Mironower Brotprodukt” rasche Fortschritte und er wandte sich aktiv seiner Tätigkeit bei der Organisation der Marxisten zu. Vorher zähle er, wie viele andere nur zu den Karteileichen. Aber Mitgliedschaft im politischen Kreis, die Beschäftigung mit theoretischen Diskussionen und aufklärerischen Veranstaltungen entsprachen nicht dem Maßstab von KiritschukAmbitionen. Es kam die Idee auf den Tisch, eine Partei zu gründen. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Fokus auf Parteiengründung im Großen und Ganzen in der OM mit Wohlwollen aufgenommen. Die mandelistische Fraktion wurde durch die Versprechungen Kiritschuks einer “breiten linken Partei” und “dem Werben um linksliberale Bündnispartner” angezogen.

Aber für eine Partei benötigt man Geld. Und man fand diese Gelder mit Hilfe der Verbindungen zu alterglobalistischen Bewegungen. Der Organisation der Marxisten gelang es, an einigen Veranstaltungen teilzunehmen, zu deren größten das Europäische Sozialforum 2008 in Malmö zählte, wo man Kontakte zu Aktivist*innen und Funktionär*innen der Linken Partei Schwedens, und auch des Internationalen Linken Forums knüpfte – eine parteinahe Stiftung, die mit der schwedischen Linken Partei so verbunden ist, wie die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit der deutschen Linken.

Bild rechts: Glaskunst aus der russischen Stadt Gus-Chrustalny, wo der Borot’ba-Ideologe Wiktor Schapinow als Polittechnologe für Putins’ Partei “Einiges Russland” arbeitete 

 

 

Bei den folgenden Wahlen im Sommer 2010 erhielten die Stalinisten eine Mehrheit von einer Stimme im Vorstand des Koordinationsrates. Und bei einer weiteren Reise nach Malmö gelang es ihnen über die alterglobalistische Linie an Fördermittel von 250.000 schwedischen Kronen zu kommen (das sind etwas mehr als $30.000 – der Preis einer Ein-Zimmer-Wohnung, vielleicht nicht in Kiew, aber in den Vororten). Formal erhielt man das Geld für die Durchführung mehrer Konferenzen über aktuelle politische Probleme. In den Bedingungen des Vertrags waren einige Einschränkungen festgeschrieben, und Anforderungen an die Rechenschaftslegung gestellt, es war also nicht erlaubt, die Gelder einfach so zu nehmen, und für andere Ziele einzusetzen.

Aber auch in dieser Situation gibt es völlig legale Wege, Geld aus der zielgebundenen Stiftung in die Kassen der Organisation zu pumpen: Der Vertrag erlaubte es, den Teilnehmern des Projekts Honorare auszuzahlen, und es konnte niemand den den Teilnehmern des Projekts verbieten, anschließend das Geld in die Kasse der Organisation zu transferieren. Aber damit das Schema funktioniert, müssen alle Teilnehmer wissen, was passiert und warum. Dass Geld erhalten wurde, die Größe der Summe und die Bedingungen des Vertrags mussten also allen Mitgliedern der Organisation klar sein.

Aber genau das wollten die Stalinisten nicht. Die Information über das schwedische Stipendium wurde sogar vor dem trotzkistischen Teil des Koordinationsrates verborgen: Kiritschuk und Co. besaßen die Mehrheit im Vorstand, und die Verlockung, die Organisation über die Verteilung von Direktiven zu führen war zu groß. Bei der Umsetzung der Vorgaben des Vorstandes haperte es jedoch: Die einfachen Mitglieder*innen der Organisation verstanden einfach nicht, was vorgeht, und warum man beispielsweise auf der Krim eine Konferenz über Feminismus durchführen musste. Zudem spitzte sich der Konflikt zwischen Stalinisten und Trotzkisten zu, deswegen beeilten sich die letzteren nicht, die Vorgaben der stalinistischen Anführer umzusetzen. Im Ergebnis waren mehrere der Veranstaltungen ein Reinfall.

Im Herbst 2010 rief die Organisation der Marxisten zur Vereinigung der außerparlamentarischen Linken auf, sich in einem “politischen Subjekt” zu vereinigen. Das rief ein unerwartet starkes Echo bei den “linken Intellektuellen” der Mogila [einer angesehenen Kiewer Universität; der Üb.] hervor. Die Trotzkisten sahen die Chance gekommen, einen breite Organisation mit antifaschistischer Mehrheit zu gründen. So kam die “Plattform KPD” zur Welt, ein Prototyp der späteren linken Opposition. Aber zu diesem Moment war es lediglich das Ziel der Trotzkisten, eine eigenständige Position im Vereinigungsprozess herauszuarbeiten, indem man dafür die Satzungsstatuten der OM verwendete, die die Gründung von ideengebenden Plattformen erlaubten.

Kiritschuk und andere Stalinisten wollten jedoch keine Minderheit in der neuen Organisation sein. Deshalb startete man gegen die neue Plattform KPD einen Kampf in den besten Traditionen der 20er Jahre. Auf der ideelen Ebene führte man den Kampf unter der Fahne des “Echten Marxismus”. Der Fokus auf eine Annäherung mit den linken Liberalen wurde in die Tonne geworfen. Die Stalinisten gründeten eine geheime Fraktion (man sollte erwähnen, dass dabei die Satzung der OM gebrochen wurde: Plattformen erlaubt, Fraktionen nicht) und suchten nach einer Annäherungen mit stalinistischen Gruppen aus dem Umfeld der KPU.

Mit diesem Kampf verging ein Winter. Im März 2011 stand im Internationalen Linken Forum die interne Abrechnung an, daher wurde für die Schweden das Schicksal des Geldes interessant, dass sie Schapinow ausgezahlt hatten. Um dies aufzuklären, wurde eine Gesandte nach Kiew geschickt. Die Frage “Wo ist das Geld, wo ist die Abrechnung?” wurde dem Kontroll- und Revisionsorgan der OM gestellt, das aus antistalinistischen Marxisten bestand, und sich daher in gesegneter Unkenntnis befand. Noch größer war der Schock darüber, dass die Organisation den Schweden dreißigtausend Dollar schuldete, die ins Unbekannte versickert waren.

Es brach ein interner Skandal aus. Die Stalinisten versuchten bis zuletzt alle anzuschmieren, nicht zu letzt die Schweden selbst, denen man eine falsche Antwort schickte, die von einem “Auditor des OM” Erman unterschrieben war (den Posten eines “Auditors” gab es in der Organisation überhaupt nicht,Georgij Erman stand in überhaupt keinem Verhältnis zur Kontroll- und Revisionskomission und wurde von Kiritschuk bezahlt). Es stellte sich heraus, dass Schapinow den Schweden keinen Rechenschaftsbericht schicken konnte, da er sich zu dieser Zeit in Gus-Chrustalny befand, wo er als Polittechnologe für “Einiges Russland” arbeitete.

Nach dieser Episode war es natürlich für die anderen unmöglich geworden, sich in einer Organisation mit den Stalinisten zu befinden. Es stellte sich eine logische Frage: wenn Schapinow einerseits für “Einiges Russland” arbeitet, und auf der anderen Seite im Namen der Organisation Geheimverträge über die Durchführung politischer Projekte abschließt, ist es dann nicht möglicherweise so, dass Schapinow Verträge darüber abschließt, dass die OM politisches Outsourcing für “Einiges Russland” betreibt? Heute vertritt Borot’ba de-facto die Interessen Putins in der Ukraine: Es sieht so aus, als ob Schapinow dies als eine interessante Business-Idee begriffen hatte.

Was hingegen das Geld angeht, so war es doch nicht geklaut, fast die ganze Summe befand sich auf den Konten. Die Stalinisten waren nicht mal in der Lage, sich das Budget anzueignen, da sie versuchten, die eigene Organisation an der Nase herumzuführen. Einen größeren Skandal mit Berichterstattung in der Presse und einem Gerichtsprozess konnte nur deswegen vermieden werden, weil die Schweden selbst geneigt waren, die Sache unter den Teppich zu kehren, und sich vor den ihnen übergeordneten Kontrollorganen rauszureden. Wenn man die stalinistischen Wurzeln der schwedischen Linken Partei berücksichtigt, so sahen die Schweden in den Stalinisten, die dabei waren, sich in Borot’bisten zu verwandeln, Geistesbrüder und man setzte die fruchtbare Zusammenarbeit fort.

Natürlich kam es zu keinerlei Vereinigung der Linken. In die Borot’ba traten mehrere mikroskopische stalinistische Gruppen ein, was sie endgültig zu einem Klon der KPU machte, nur ohne allzu offen getragene Fofudja [eine religiöse Kutte, die in der ukrainischen Blogosphäre zum Symbol des russischen Imperialismus, Xenophobie, Antisemitismus und religiöser Intoleranz geworden ist; der Üb.] Außerdem entstand der inzwischen zum Kult gewordene Newsletter left_unia, in dem sich eine Jahre hintereinander Linke verschiedener Überzeugungen mit Schmutz übergossen, Kompromat und Beleidigungen austauschten.

Später erhielt die Borot’ba neue Finanzierungsquellen, die sich alle durch äußerste Intransparenz auszeichneten. Es waren Verbindungen mit den “Regionalen” [Janukowytschs Partei der Regionen, der Üb.] zu bemerken. Zum Beispiel wurde die Chersoner Regionalabteilung der Borot’ba von dem “Regionalen” Igor Poddubtschenko geleitet. Seine Mitgliedschaft in der Organisation wurde nicht besonders beworben: vermutlich betrachtete er Borot’ba als Nebenjob, und wollte seine Reputation als “Mann der Tat” nicht durch Kontakte mit “den Radikalen” aufs Spiel setzen. Und die Borot’bisten wurden nervös und verlegten sich auf Drohungen, wenn man ihnen die Zusammenarbeit mit einem ganz klar nicht proletarischem Politiker vorhielt.

Bis heute ist nicht völlig unklar, wer und wie die Wahlkampagne von Sergej Kiritschuk 2012 finanzierte, die unter der Losung “Genosse, und kein Oligarch” geführt wurde. Aber interessant ist die Tatsache, dass sich fast die gesamte Wahlkampfaktivität des Anführers der Borot’ba auf Angriffe auf einen seiner Gegner beschränkte, nämlich den “Oligarchen” Lew Partskhaladze. Andere “Oligarchen”, unter anderem Aleksandr Tretjakow, der in genau dem gleichen Wahlkreis kandidierte, wurden aus irgendeinem Grund nicht Zielscheibe der Kritik, was daraufhin deutet, dass die Teilnahme Kiritschukan den Wahlen technischer Natur war. Nachdem er ein Wahlergebnis innerhalb des statistischen Unsicherheitsbereichs erzielt hatte, vergaß Kiritschuk den heimatlichen Wahlbezirk Swjatoschinski, dem er zuvor Liebe geschworen und dessen Interessen zu verteidigen er versprochen hatte. Als dann später die Chance kam, sich in die Strukturen der [militanten separatistischen Bewegung; der Üb.] Volksrepublik Charkow einzufügen, wurde Kiritschuk von einem Moment zu anderen ein Charkower, und als die Dinge in Charkow aus dem Ruder liefen – ein Berliner.

Wenn man sich mit der finanziellen Seite der Borot’ba auseinandersetzt, dann sollte man sich die “antifaschistische” Wahlkampagne vom Dezember 2012 in Erinnerung rufen, die bereits zu einer Anekdote geworden ist. Diese Wahlkampagne übertraf an Rhetorik ähnliche Auftritte der Partei der Regionen und schenkte uns das Internet-Meme des roten Zeppelins. Zu diesem Zeitpunkt waren in Kiew vielleicht dreißig Borot’bisten aktiv, woher die Masse bei der Demonstration stammte ist nicht genau bekannt. Aber genau bekannt ist, dass man hunderte identische Schals gleichen Typs, sowie massenweise produzierte Fahnen und Banner nicht aus dem Nirgendwo erhält.

Borot’ba wettert gegen den Faschismus der weißen Wände der Kiewer Rada [des ukr. Parlaments; der Üb.] 

Kurz nach dem “antifaschistischen Marsch” mit dem Zeppelin durch den verschneiten Mariinski-Park tauchten bei der Organisation die finanziellen Mittel auf, um sich regelmäßige Fahrten durch die Ukraine und das Herbeikarren ihrer Anhänger aus den Regionen leisten zu kömmem. Mit den Aktivisten wurden auch die Mitglieder ihrer Familien nach Kiew gebracht, und Bekannte, die sich einmal für lau die Hauptstadt ansehen wollten. Borot’ba hatte nun auch Geld, um mindestens zwei hauptamtliche Mitarbeiter zu bezahlen. Der Büroangestellte Georgij Erman beschäftigte sich, abgesehen von den Büroaufgaben, auch damit, die Ehre der Organisation in Internet-Newslettern zu verteidigen, und versuchte im Rahmen seiner bescheidenen Möglichkeiten auch, den Einfluss auf die studentische Gewerkschaft “Direkte Aktion” auszuweiten. Mit der Zeit begann er, sich für seine Arbeitgeber zu schämen, und verließ die Organisation endgültig wegen ihrer Position zum Maidan.

Der zweite hauptamtliche Mitarbeiter, ein ehemaliges Mitglied der KPU, der Komsomolzenführer Ewgenij Golyshkin, war mit größerem Idealismus bei der Sache und mit der Erfüllung verantwortlicherer Aufgaben betreut: er beschäftigte sich mit der Imitation “gewerkschaftlichen Organizings” und politischer Arbeit mit den subkulturellen Antifaschisten. Die Arbeit bestand aus dem gemeinsamen Konsum von Alkohol und weiterer psychoaktiver Substanzen im Parteibüro und Gespräche darüber “welche Päderasten [rus. Schimpfwort für männliche Homosexuelle; der Üb.] sich in den anderen Organisationen befinden”. Im Übrigen waren die Bemühungen der Borot’bisten, “Trade-Unions” zu gründen, nicht von Erfolg gekrönt – keine eine einzige der dabei entstandenen Satelliten-Organisationen gibt heute ein Lebenszeichen von sich (das könnte man natürlich auch den “Repressionen der Kiewer Junta” zuschreiben, aber sie gaben auch vor dem Maidan kein Lebenszeichen von sich), und der größte Teil der Vertreter der Antifa-Subkultur möchte im schlimmsten Fall mit der Borot’ba absolut nichts am Hut haben, und im besten Fall, droht er ihren Mitgliedern mit Zoff.

Eine der größten Leistungen von Borot’ba war der “Schutz” von Razwoschajew, der wegen des 6. Mai-Prozesses [Am 6. Mai 2012, einen Tag vor Putins Amtseinführung fand in Moskau eine Großdemonstration statt; aufgrund des Vorwurfes, dass Massenunruhen stattgefunden hätten, werden bis heute Personen in Russland verhaftet; der Üb.] zum politischen Flüchtling aus Russland geworden war. Kurz vor dem Beginn der Repressionen hatten Borot’bisten gemeinsam mit der Linken Front Interviews und Pressekonferenzen gegeben. Pathetisch eröffneten sie ein Auslandsbüro der Linken Front in Kiew. Borot’ba befand sich gerade in einer Krise ihrer Tätigkeit in der Ukraine, deswegen hatten sie entschieden, an den zu diesem Zeitpunkt noch lebendigen Protest mit den weißen Bändern [der gegen die Wahlfälschungen in Russland gerichtet war; der Üb.] anzudocken und ihren Genossen unter der roten Fahne Unterstützung und Deckung zu geben.

Die Unterstützung verlief sehr pathetisch. Auf jedem Zaun stand geschrieben, dass genau sie die politischen Flüchtlinge aus der Linken Front aufnähmen. Es verwundert nicht, dass nach Razwoschajews Ankunft in der Ukraine in erster Linie die Anführer von Borot’ba überwacht wurden. Selbstverständlich wurde der werte Gast nicht von irgendwem, sondern von bekannten Aktivisten, auf die schon lange die Geheimdienste mehrerer Länder aufmerksam geworden waren, begleitet. Es gibt keine rationale Rechtfertigung für eine derartige Verantwortungslosigkeit, der Wunsch, eine Fotodokumentation zum Thema “Wir retten einen Genossen vor den Fängen des Putin-Regimes” zu erstellen rechtfertigt nicht das Risiko. Mit demselben Erfolg hätte man gleich [email protected] schreiben können: “Razwoschajew ist bei uns. Holt ihn ab.” Natürlich ist es wenig wahrscheinlich, dass die Borot’bisten bewusst einen Menschen, der ihnen vertraut hatte, an Russland auslieferten. Das ist bei ihnen auf organische Weise passiert.

Prinzipienlosigkeit schließt Idiotie nicht aus. Zum Vergleich: Nicht ein russischer Flüchtling des 6. Mai-Prozesses, der sich an Anarchist*innen oder liberale Menschenrechtler gewandt hatte oder sich um sich selbst kümmerte, wurde aus der Ukraine entführt. Obwohl es derartige Versuche gab, mehrfach.

Nach der Entführung Razwoschajews wurde dieser verbrecherische Fehler in ein Instrument der Eigenwerbung verwandelt. Kiritschuk gab Dutzende Interviews, in denen er erzählte, wie selbstlos sie Geflüchteten helfen würden. Der erste ernsthafte Medienerfolg von Borot’ba wurde aus ihrer Verantwortungslosigkeit geboren, die ihrem Genossen und indirekt einer Vielzahl anderer Menschen im 6. Mai-Prozess zum Verhängnis wurde. Übrigens war seitdem nichts mehr vom “Ukrainischen Büro der Linken Front” zu hören. Anscheinend haben die russischen Bolschewiken entschieden, dass Freiheit und Sicherheit für sie wertvoller sind als eine derartige Zusammenarbeit. Dennoch setzen sie ihre zärtliche Freundschaft mit Borot’ba fort, solange es nicht ihre eigene Sicherheit, sondern die Innenpolitik der Ukraine betrifft. Dabei vertrauen sie ihren stalinistischen Brüdern.

Noch lange vor dem Beginn des Maidans nahm Borot’ba eine verschämte pro-russische Position ein. Wenn ihre Anführer programmatische Artikel über eine wirtschaftliche Integration verfassten, kamen auf drei Seiten Kritik an der EU ein paar Sätze mit Kritik an der [eurasischen; der Üb.] Zollunion. Bei Borot’ba selbst gab es Verteidiger von Lukaschenko und Assad (solche wie den oben erwähnten Aleksej Bljuminov, der nicht nur ein einfaches Mitglied, sondern einer der Ideologen der Organisation ist). Die Unterstützung autoritärer Linker, die in Opposition zu Putin standen, harmonierte erfolgreich mit der Freundschaft mit den “roten Putinisten”. Wie die heutige Entwicklung zeigt, lag darin kein besonderer Widerspruch; denn ungeachtet der Repressionen gegen sie selbst unterstützen viele Mitglieder der “Linken Front” aktiv die Annexion der Krim und die aggressive putinsche Politik gegenüber der Ukraine. Die Borot’bisten standen auch den pro-russischen Rechten nahe, wie etwa dem Journalisten Aleksandr Tschalenko und der Journalistin Miroslava Berdnik. In ihrem Büro fand die Vorstellung des Buches von Oles’ Buzina sowie Treffen mit Wladimir Kornilow, einem Ideologen für Neurussland [imperiale russische Bezeichnung für die östlichen Regionen der Ukraine und die Krim; der Üb.] statt.


Der Antisemit Israel Schamir und der Borot’ba-Führer Sergej Kiritschuk 

Mit der Verschärfung der Gegensätze verschwand jegliche Verschämtheit. Borot’ba vergaß sogar die rituelle Kritik am russischen Imperialismus, als sie sich ihm in die Arme warfen. In kremlfreundlichen und ultrapatriotischen Medien erschienen Interviews mit ihren Anführern, die davon erzählten, wie die grausamen Faschisten auf dem Maidan die armen, waffenlosen Kämpfer der Berkut verhöhnen. Diese offen reaktionäre Position wurde mit der Sorge um die “Einheit des Landes” und der “Verhinderung eines Bürgerkrieges” gerechtfertigt. Nach der Niederlage von Janukowytsch allerdings wurde Borot’ba zu einer der Kräfte, die diesen Krieg aktiv entfachten, sie verschmolzen zu einer gemeinsamen Kraft mit der “Oplot” [einer militanten Separatistenorganisation in der Ostukraine; der Üb.] und ihren Söldnern.

Unterstützung der Separatisten der Charkower Volksrepublik (ChVR) und Donezker Volksrepublik (DVR) – einige Borot’bisten in Charkow erklärten sich sogar zu “Volksabgeordneten” – die Aufrufe zu einer russischen Intervention, die Zusammenarbeit mit Putinisten in Russland und im Westen, die Anerkennung der Ergebnisse des “Referendums”, der Aufruf, die ultrarechten “Aufständigen” zu legalisieren und als reguläre Armee des Süd-Ostens anzuerkennen. Direkte Teilnahme an der Verprügelung von Maidan-Aktivisten in Charkow, unter denen sich der linke Poet Serhij Schadan und Anarchisten befanden, die die Bezirksverwaltung besetzt hatten (auf dem Video ist zu sehen, wie der Borot’bist Aleksandr Fedorenko auf Unbewaffnete eintritt)

Demonstranten schlagen Euromaidaner und formieren einen “Korridor der Schande”

Die Unterstützung für den Überfall auf den Maidan in Odesa führte zur blutigen Tragödie im Haus der Gewerkschaften. Es sei angemerkt, dass der “linke Anführer” Aleksej Albu, der dafür persönliche Verantwortung trägt, sich jetzt in Simferopol in der Gesellschaft von Aktivisten von “Rodina” und der “Slawischen Einheit” versteckt und seinen Kampf gegen die “Junta” fortführt, der unvermeidlich zu weiteren Todesfällen führen wird.

Albu selbst wird kaum etwas Ernsthaftes passieren – diese jungen “linken” Anführer neigen dazu, auf sich selbst aufzupassen.

All das hätte vermieden werden können, hätte der linke Sumpf nicht einen so fruchtbaren Boden für das Wachstum von Borot’ba ergeben. Wenn gegen die Stalinisten noch damals, 2011 nach dem Überfall auf die Anarchistin, ein totaler Boykott verhängt worden wäre. Wenn sie 2012 den ersten Mai in Einsamkeit verbracht hätten, ohne die Unterstützung trotzkistischer und quasi-anarchistischer Statisten bei der Demo. Wenn die Direkte Aktion das Verbot an ihren Aktionen teilzunehmen nicht 2013, sondern zwei Jahre früher ausgesprochen und dieses Verbot auch tatsächlich beachtet hätte. Leider haben wir das nicht getan und es zugelassen, dass ein Monster geboren wird – ein dümmliches, schwerfälliges aber dennoch lebensgefährliches (ein für seine Sympathisanten sogar gefährlicheres als für seine Gegner).

Wir haben diesen Text geschrieben, um denjenigen, die später dazu kommen, zu helfen, damit sie nicht unsere Fehler wiederholen. Heute, morgen, in zwanzig oder hundert Jahren – Autoritäre werden immer unsere Feinde sein. Egal, welche Worte sie sprechen, egal wie gut und adäquat sie erscheinen mögen: wer danach strebt, politische Macht zu erringen wird nie ein Bundesgenosse derjenigen sein können, die danach streben, diese Macht zu zerstören.


Quelle: http://nihilist.li/2014/06/19/ot-melkih-moshennikov-do-ubijts-ocherk-o-politicheskoj-e-volyutsii-stalinistov-na-primere-organizatsii-borot-ba/

Übersetzung durch das Übersetzer*innen-Kollektiv eugen1979

 

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