von Alexandr Wolodarskij, Snob.ru
Alexandr Wolodarskij ist ein antiautoritärer ukrainischer Aktivist, Mitglied der anarchosyndikalistischen Autonomen Arbeitergewerkschaft, Mitglied des Künstlerkollektivs Chudrada und ehemaliger politischer Gefangener.
Die ersten Parlamentswahlen nach dem Maidan sind gelaufen. Sie unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von allen anderen Wahlen des vergangenen Jahrzehnts. Zum ersten Mal ging es nicht darum, durch die Wahlen einen Sieg der „prorussischen“ oder „proukrainischen“ Kräfte zu befördern. Der konstruierte ethnische Gegensatz, der all die Jahre von Politikern beider Lager ausgespielt wurde, hat an Bedeutung verloren. Es war ohnehin abzusehen, dass die „proukrainischen“ Kräfte gewinnen werden, was auch der Grund dafür ist, dass die „prorussischen“ Kandidaten nun für die Rumpfparlamente in den Volksrepubliken Donezk und Luhansk kandidieren. Die Bereitschaft zur weiteren politischen Tätigkeit in der Ukraine erfordert gleichzeitig auch den Nachweis eines notwendigen Minimums an Loyalität gegenüber dem Staat. Selbst der Oppositionsblock, der sich aus alten Kadern der Partei der Regionen zusammensetzt, vertritt eher die Interessen der miteinander verbandelten Bürokraten und Geschäftsmänner als die Interessen Russlands.
Durch das Verschwinden dieses Gegensatzes konnte ein ethnischer Nationalismus an Auftrieb gewinnen, der dem politischen Nationalismus den Boden bereitet. Es geht dann nicht mehr um den „Kampf um die Muttersprache“ – egal ob es sich um die russische oder die ukrainische Sprache handelt. Nach dem Verschwinden der russischen Fofudja wird auch die patriotische Wischiwanka an Bedeutung verlieren. Die museale Ethno-Bekleidung wird durch Tarnkleidung ersetzt. Dies erklärt das Verschwinden der Swoboda-Partei bei gleichzeitigem Erfolg der Radikalen Partei von Oleh Ljaschko. Noch vor knapp über einem Jahr hätte die Lachnummer des ukrainischen Politikbetriebs nicht einmal auf ein paar Prozentpunkte hoffen können, während Hysteriker die Swoboda-Partei bereits zu Anführern eines kommenden faschistischen Putsches hochstilisierten, doch der Krieg (und seine mediale Darstellung) haben alles an die richtige Stelle gerückt.
Der Rechte Sektor wiederum, Liebling der russischen Propaganda und der menschenfreundlichen Intellektuellen in Kyiw, er wird ebenfalls nicht in der Werchowna Rada vertreten sein, wobei einige seiner Mitglieder über die Direktwahlkreise den Sprung ins Parlament schaffen, darunter Dmitri Jarosch und Boris Beresa. Andrei Bilezki, Vorsitzender der „Sozial-Nationalistischen Vereinigung“ und Lieblingsheld des russischen Fernsehens, hat über einen Direktwahlkreis in Kyiw ebenfalls ein Mandat errungen. Es sei die These gewagt, dass die politische Karriere dieses Verfechters der weißen Rasse nur von sehr kurzer Dauer sein wird – und sogar schneller enden könnte als die seiner eher zurückhaltenden Kameraden der Swoboda-Partei. Die postsowjetischen Wähler haben zwar keinen brauchbaren Impfstoff gegen den Nationalismus, werden sich aber im Verlauf der Zeit enttäuscht von den Rechtsradikalen abwenden. Bilezki hat sich nicht ohne Grund in einem Stadtbezirk von Kyiw anstelle seiner Geburtsstadt Charkiw aufstellen lassen – in Charkiw erinnert man sich nur zu gut an sein Treiben. Einige rechtsradikale Kandidaten schaffen den Sprung ins Parlament auch über die Radikale Partei, die sich in erster Linie durch ihre programmatische Armut und Beliebigkeit auszeichnet, sodass zu verschiedenen Zeitpunkten Rassisten, Anhänger des „Anti-Maidan“, Kriminelle und ehemalige Angehörige der Partei der Regionen in ihren Reihen Unterschlupf fanden. Die Aussage, dass die achte Rada weniger nationalistisch sein wird als ihre Vorgänger, scheinen die Spatzen also ein wenig verfrüht von den Dächern zu pfeifen.
Linke (und selbst sozialdemokratische) Kräfte sucht man in der Rada vergebens, das ist nichts Neues. Auch in früheren Parlamenten gab es sie nicht. Die „Kommunistische Partei der Ukraine“, einstiger Erfüllungsgehilfe der Partei der Regionen, musste zwar formal als linke Partei bezeichnet werden, doch de-facto bekannte sie sich zu einer Mischung aus Konservatismus, Sozialpopulismus, Klerikalismus und russischem Chauvinismus. Ihr Ableben ist eine Wohltat für künftige sozialistische Abgeordnete, die in der Ukraine mit Sicherheit noch auftauchen werden. Andererseits spielt die Abwesenheit von Populisten mit linkem Etikett in der Rada sowieso keine Rolle für die Arbeit gewerkschaftlicher und sozialer Initiativen – falls diese den Mut und den Willen aufbringen würden, zu Handeln.
Zu guter Letzt verschwindet auch Julia Timoschenko von der politischen Bildfläche. Ihre Partei ist zwar in der Rada vertreten, aber steht an der Schwelle zur Bedeutungslosigkeit. Das sind gute Nachrichten, denn der Platz von Timoschenko ist irgendwo an der Seite von Janukowitsch. Zwar glaube ich ohnehin nicht an die magische Kraft des Elitenwechsels, doch es gibt Leute, die sich so sehr in Misskredit gebracht haben, dass sich ihre politische Verschrottung von selbst versteht. Die fünf Prozent der Wählerstimmen hat die Batkiwschina-Partei nicht wegen, sondern trotz ihrer Vorsitzenden erhalten – und dank der Positionierung der Gefangenen Nadija Sawtschenko auf der Parteiliste. Nun muss der Abgang der Timoschenko noch nicht das Ende ihrer Partei bedeuten. Die Nationale Front ist das Ergebnis einer Spaltung der Partei „Block Julia Timoschenko“ und zog viele der alten Kader an, obwohl diese zumindest den Anstand hatten, ihren Listenplatz an diejenigen Leute abzutreten, die sich auf dem Maidan verdient gemacht hatten.
Die Regierungskoalition wird von liberalen und konservativen Kräften gestellt werden: Block Petro Poroschenko, Nationale Front und Selbsthilfe. An einer vereinten Opposition mangelt es indes; niemand will sich dem Oppositionellen Block anbiedern. Dasselbe gilt für die Radikale Partei.
Allen Fans des Genres sei die Frage gestellt, ob es in der neuen Saison zu spektakulären Kämpfen zwischen den Abgeordneten kommen wird. Ich vermute es – insgesamt ist die Kampferfahrung dieser Rada unvergleichlich höher als in ihren Vorgängern. Die Swoboda-Abgeordneten und die athletischen Vertreter der Partei der Regionen werden ersetzt durch Leute mit militärischer Ausbildung und wahrer, im Feld gesammelter Kampferfahrung. Es werden bereits Auseinandersetzungen zwischen den Kämpfern des Donbas- und des Aidar-Bataillons erwartet, Neugier herrscht auch in Bezug auf ein mögliches Aufeinandertreffen von Jarosch und Abgeordneten der Swoboda-Partei (wobei hier eher psychische Gewalt zu erwarten ist), und es darf gewettet werden, wer sich als erster Oleh Ljaschko vorknöpft.
Viele kritisierten die geringe Wahlbeteiligung, obwohl dies bereits als Tradition angesehen werden kann – die Wahlbeteiligung war sogar geringer als 2012. Wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass die Abstimmung in den besetzen Gebieten nicht möglich war, handelt es sich um ein gutes Ergebnis. Ein Großteil der Menschen traut Politikern nicht über den Weg, und so geben sie ihre Stimme „gegen“ und nicht „für“ etwas. Obwohl diese Regel nicht verabsolutiert werden darf – eine Zeitlang belebt uns der Glaube, dass auch ehrliche Menschen an die Macht gelangen können. Früher standen die Menschen Politikern noch misstrauischer gegenüber – dass sich dies nun geändert hat, ist eher dem Maidan als den Oppositionsführern zu verdanken.
Überhaupt kennt die ukrainische Geschichte wunderbare Beispiele für die Verwirklichung direktdemokratischer Prinzipien, wohingegen bei der repräsentativen Demokratie bei uns immer irgendetwas schief läuft. Aber die direkte Demokratie ist ohnehin besser.
Autor: Alexandr Wolodarskij
Quelle: Snob.ru
Übersetzung: Übersetzerteam Euromaidan Press auf Deutsch