(Quelle: opendemocracy.net, 7.5.2014)
Extremisten haben die Anti-Maidan-Proteste in der Südostukraine unterwandert. Und ihr Extremismus und Ultranationalismus fördert Gewalt und Hass.
Als maskierte Männer antisemitische Flugblätter in der ostukrainischen Stadt Donezk verteilten, sind einige internationale Medien zu hastig davon ausgegangen, dass es sich dabei eine Falschmeldung handelte. Der Vorfall wird noch untersucht, deswegen kann noch keine endgültige Schlussfolgerung gezogen werden, aber selbst dann, wenn sich die Flugblätter als Fälschung herausstellen sollten, bleibt das Problem des Antisemitismus, Rassismus und der Homophobie, das sich bei einigen Akteuren der sozialen Unruhen in der Ostukraine gezeigt hat, sehr real.
Anti-Maidan
Verbündete des nun gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowytsch riefen den Anti-Maidan in der östlichen und südlichen Ukraine Ende November 2013 als Antwort auf die Kyiwer Euromaidan-Proteste ins Leben. Aber der Maidan war eine Graswurzelbewegung [Basisbewegung von unten], während der Anti-Maidan eine Top-down-Initiative [von oben verordnet] ist, bei dem die Demonstranten manchmal eine Vergütung für ihre Teilnahme erhalten. Dies gilt vor allem für die vier großen Anti-Maidan-Kundgebungen in Kyiw zwischen November 2013 und Januar 2014. Der Anti-Maidan organisierte viel weniger Proteste als der Euromaidan, und sie begannen auszutrocknen, lange bevor Janukowytsch aus der Ukraine nach Russland floh.
Doch die erfolgreiche Revolution des Maidan gab dem Anti-Maidan neue Energien, so dass sich dieser in drei verschiedene, aber manchmal auch überlappende Bewegungen aufteilte:
1.) durch soziale Missstände mobilisierte Protestgruppen,
2.) Anhänger des Föderalismus für die Ukraine, und
3.) russische Ultranationalisten, die separatistische Ideen verfolgten.
Sie überschneiden sich, weil einige der Aktivisten, die durch soziale Missstände mobilisiert sind, auch die Föderalisierung der Ukraine (von denen wiederum einige tatsächlich mittelfristig den Beitritt zu Russland anstreben) unterstützen, im Gegensatz zu pro-russischen Separatisten, die auf die unmittelbare Annexion ihrer Region durch Russland bestehen, wie es mit der Autonomen Republik Krim passiert ist.
Der größere Teil der Post-Janukowytsch Anti-Maidan-Bewegung ist fast in den gleichen Einstellungen verwurzelt, die dem Maidan zugrunde liegen, vor allem nach den ursprünglichen Pro-EU-Protesten, die bestimmte soziale Forderungen zu einer ukrainischen Revolution entwickelt haben. Trotz der unterschiedlichen Auslöser waren der Maidan und der Post-Janukowytsch-Anti-Maidan Reaktionen auf die sozio-ökonomischen Ungleichheiten, Arbeitslosigkeit, Korruption, Kriminalität und das fehlerhafte Justizsystem.
Der wesentliche Unterschied zwischen diesen Bewegungen ist jedoch, dass sie von zwei verschiedenen Botschaften dominiert werden und zwei verschiedene Lösungen für ihre Beschwerden bieten.
In einer zwangsläufig idealisierten Beschreibung ist die Botschaft des Maidan eine demokratische, während die des Anti-Maidan autoritär ist. Der Maidan legt nahe, dass soziale Missstände durch eine engere Zusammenarbeit mit der EU und dem demokratischen Westen im Allgemeinen angesprochen werden können, während der Anti-Maidan glaubt, dass sozio-ökonomische Probleme durch eine engere Zusammenarbeit mit dem autoritären Russland angegangen werden können.
Was die Beziehungen mit Russland betrifft, schlägt der radikalere Teil des Maidan die Durchsetzung einer Visaregelung zwischen den beiden Ländern vor, während die Radikalen auf dem Anti-Maidan darauf bestehen, dass ihre Region Teil von Russland werden sollte. Die radikaleren Elemente des Anti-Maidan werden von verschiedenen Einstellungen zur Sprache und der Wahl der Medien als Informationsquelle gekennzeichnet, ihre pro-russische, anti-westliche Stimmung ist in der niedrigen geografischen Mobilität der Ostukrainer verwurzelt. Laut einer im Jahr 2013 durchgeführten Umfrage haben nur 13,2% der Ostukrainer den Westen (EU, USA und Kanada) besucht, ein niedrigerer Wert als für die Ukraine als Ganzes, wo der Durchschnitt bei 20,6% liegt.
Separatismus
Innerhalb dieser Bewegung sind die radikaleren Elemente des Anti-Maidan, die wir jetzt Separatisten nennen, eine Minderheit. Für den gesamten südöstlichen Teil der Ukraine (acht Regionen) bilden diejenigen, die gerne sähen, dass ihre Region zu Russland beitreten solle, 15,4 % der Bevölkerung, während 69,7 % dagegen sind. Allerdings gibt es Regionen, in denen die Separatisten beträchtliche Minderheiten stellen: 30,3% in Luhansk und 27,5 % in Donezk.
Vermutlich sind es diese separatistischen Elemente des Anti-Maidan, die pro-russischen Aktivisten oder Extremisten, die der Kreml mit Geld, Waffen und Personal unterstützt. Aber sie sind eine Minderheit innerhalb der Minderheit. Da ich befürchte, dass meine Interpretation in Frage gestellt werden könnte, füge ich als Argument hinzu, dass diejenigen 2,1% der Südostukrainer (jedoch 3,5% für die Regionen Donezk und Charkiw, und 2,5% für Luhansk), die bereit sind, in die russische Armee einzutreten, wenn es darum geht, die Südostukraine zu erobern, die extremistischen und ultranationalistischen Elemente des Anti-Maidan bilden. Das Problem ist, dass die Extremisten anscheinend jetzt die Anti-Maidan-Proteste in den problematischsten Regionen gekapert haben, und es ist ihr Extremismus und Ultranationalismus, der den Anti-Maidan zum Beispiel in der Region Donezk so gewalttätig macht. Pro-russische Extremisten nehmen Journalisten und internationale Beobachter als Geiseln, verüben Missbrauch, Folter und brutale Tötungen.
Moskau und die extreme Rechte
Moskau baut in seiner Strategie zur EU auf die Unterstützung der rechtsextremen Parteien und benutzt sie als Sprachrohr, um den öffentlichen Diskurs zu infiltrieren, den demokratischen Konsens und schließlich die politischen Institutionen zu schwächen. Auch in der Ukraine setzt der Kreml auf extremistische Ultranationalisten eher als auf die “Pro-Föderalisierungs-Bewegung und gibt ihnen seine volle Unterstützung.
In der Autonomen Republik Krim, die jetzt illegal von Russland annektiert wurde, unterstützte der Kreml den ultranationalistischen Sergei Aksjonow, den Führer der rechten Partei “Russische Einheit” und installierte ihn praktisch als “Ministerpräsidenten der Krim”, und eben keinen Vertreter der die Föderalisierung befürwortenden Partei der Regionen. Die “Russische Einheit” war eine winzige Partei, die bei der Wahl des Regionalparlaments auf der Krim von 2010 nur 4,02 % der Stimmen erhalten hatte, während die Partei der Regionen von 48,93 % der Wähler gewählt worden war.
Der Ultranationalist Aksjonow war dem Kreml lieber, denn die “Russische Einheit” war unkompliziert pro-russisch, im Gegensatz zu der einfach russlandfreundlichen Partei der Regionen. Da jedoch die Extremisten nur Instrumente im geopolitischen Spiel des Kreml sind, wird der ultranationalistische Aksjonow wahrscheinlich irgendwann von einem russischen Bürokraten ersetzt werden.
In Donezk unterstützte der Kreml Pawel Gubarew als selbsternannten “Volksgouverneur” der Region Donezk. Der jetzt inhaftierte Gubarew ist ein ehemaliges Mitglied der Neonazi-Partei ‘Russsche Nationale Einheit”, die in Moskau im Jahr 1990 gegründet wurde, und aktuell Mitglied der (trotz des irreführenden Namens) rechten “Progressiven Sozialistischen Partei der Ukraine”. Die Führerin dieser Partei ist Natalija Witrenko, eine langjährige Mitarbeiterin des amerikanischen Rechtsextremisten und Antisemiten Lyndon LaRouche und des Eurasien-Ideologen Aleksandr Dugin. Der Letztgenannte hat persönlich an die Extremisten in Donezk Anweisungen übermittelt, nachdem Gubarew vom ukrainischen Sicherheitsdienst festgenommen worden war.
Russland hat die nationalistischen Extremisten in der Südostukraine seit den 1990-er Jahren unterstützt (und angestiftet), aber in den letzten Jahren wurde die Unterstützung aktiver, vor allem nachdem Janukowytsch im Jahr 2010 zum Präsidenten der Ukraine gewählt worden war. Einige russische faschistische Organisationen haben mit den pro-russischen Extremisten in der Südostukraine kooperiert und lokale Niederlassungen gegründet: die “Internationale Eurasische Bewegung”, die “Russische Nationale Einheit”, die “Nationalbolschewistische Partei” und “Russisches Bild” unter anderen.
Vor den Euromaidan-Protesten wussten nur Forscher der ukrainischen Rechten von der antisemitischen Gesinnung der pro-russischen Extremisten, ab Januar 2014 zogen sie jedoch die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit auf sich. Damals fand man heraus, dass die Facebook-Fanpage der Sonderpolizei Berkut, der wichtigsten Sicherheitssäule des Janukowytsch-Regimes, voller antisemitischer, rassistischer und homophober Inhalte war. Insbesondere diskutierten die Abonnenten der Berkut-Fan-Seite mit Bildern und Beiträgen die “jüdischen Wurzeln und Verbindungen” der Oppositionsführer sowie die Darstellung der “Kollaboration” von Juden im Dritten Reich.
Der Skandal bewog Eleonora Groisman, die Vorsitzende des All-Ukrainischen Vereins “Unabhängiger ukrainischer Rat der jüdischen Frauen”, in einem offenen Brief an Janukowytsch und Innenminister Witalyj Sachartschenko ihre Empörung über die extremistischen Inhalten zum Ausdruck zu bringen. Ein Großteil dieser Inhalte ist noch vorhanden, und jedermann kann auf der Facebook-Fan-Seite der Berkut immer noch die scheinbar nicht miteinander in Konflikt stehende Mischung von rassistischer, antisemitischer, Nazi-, Russland-, Sowjet- und stalinistischer Propaganda einsehen.
Dieser Skandal war alles andere als eine isolierte antisemitische Episode im Zusammenhang mit der ukrainischen Polizei unter Janukowytsch. Im Februar 2014 wurde auf der Website des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Vorwurf erhoben, Maidan-Aktivisten hätten auf Polizei und Berkut geschossen, – mit einem Video mit dem Titel “Der Kike [Schimpfwort für Jude] -Abgeordnete Stepan Paschinskij nimmt sich ein Scharfschützengewehr auf dem Maidan”.
Im März spielte während der Post-Janukowytsch Anti-Maidan-Demonstrationen in Luhansk der Antisemitismus sogar eine mobilisierende Rolle bei der Anstiftung von Menschen, um gegen die Übergangsregierung in Kyiw vorzugehen. Wie ein Aktivist bei einer Anti-Maidan-Kundgebung erklärte: “Ja, ein nationalistischer Staatsstreich ist in dem Staat passiert, aber wir müssen verstehen, welche Nation dahinter steht. Schauen wir uns diejenigen an, die an die Macht gekommen sind. Tymoschenko – steht darüber, Tyahnybok – steht vorne, Jazenjuk – ein Jude.!. Dies ist ein zionistischer Staatsstreich, alle auf nach Kyiw!” Die Menge begann zu johlen: ‘Kikes!”
Zur gleichen Zeit wurde diese Anti-Maidan-Kundgebung als “antifaschistisch” dargestellt. Dies ist kaum ein Paradoxon: die antisemitische Botschaft einiger Elemente des Anti-Maidan bedeutet, dass Juden “Faschisten” sind, der Antisemitismus wird also als Antifaschismus interpretiert. Zahlreiche Poster zur “Demotivierung”, die die Juden den ukrainischen Ultranationalisten zuordnen, überschwemmen die Webseiten der Anti-Maidan-Aktivisten.
Der loyal zur territorialen Integrität der Ukraine und ihrer Übergangsregierung stehende Kolomojskij wurde Opfer dieser unheimlichen Verschmelzung von Antisemitismus und Hass auf den ukrainischen Ultranationalismus. Vor ein paar Tagen wurde ein Denkmal für die Opfer des Holocaust in der Dnipropetrowsker Region beschmiert und unkenntlich gemacht, und Vandalen haben Kolomojskij persönlich angegriffen und mit dem Satz “Tod dem Kike-Bandera” beschmipft, indem sie sich offensiv auf Kolomojskijs ethnischen Hintergrund und gleichzeitig auf den ukrainischen Faschisten Stepan Bandera (1909-1959) bezogen.
Der ideologische Mischmasch ist bei den Anti-Maidan-Bewegungen in den Regionen im Süden ebenfalls üblich. Beispielsweise bestand der Anti-Maidan in Odesa ganz allgemein – wie es ein Kommentator ausdrückte – aus einer Kombination von “Anbetern von Stalin und Bewunderern des Väterchen Zar, russischen Nazis und falschen Kosaken, orthodoxen Fanatikern und älteren Frauen, Nostalgikern der Leonid-Breschnew-Zeit und Kämpfern gegen die Jugendgerichtsbarkeit, die gleichgeschlechtliche Ehe und Grippe-Impfstoffe. “Der offen extremistische Teil des Anti-Maidan von Odesa, in dem Organisationen wie die “Slawische Einheit” und die “Odesa-Miliz” (Druschina) vertreten sind, ist geprägt von Antisemitismus. Nach den tragischen Ereignissen in Odesa vor ein paar Tagen, geißelte der Administrator der Vkontakte-Gruppe der “Odesa-Miliz” diejenigen, die die Anti-Maidan-Militanten während ihrer Auseinandersetzungen mit Maidan-Aktivisten nicht unterstützten, und folgerte: “Odesa ist eine Helden-Stadt! Und nur Helden und nicht Kikes und Geldraffer verdienen es, in dieser Stadt zu leben!”
Antisemitische Plakate wurden auch in Luhansk verwendet, um Menschen gegen die Übergangsregierung zu mobilisieren. Ein Plakat zeigt ein Bild des Kyiwer TV-Moderatoren Savik Schuster und sagte, dass “der Jude Schuster würde erklären, warum die Ukrainer die Interessen der Juden und des jüdischen Oligarchen Jazenjuk verteidigen müssen.”
In diesem Zusammenhang war es keine Überraschung, als berichtet wurde, dass maskierte Männer in Slowjansk (Region Donezk) antisemitische Flyer verteilten, in denen ukrainische Juden für ihre Unterstützung des Euromaidan verurteilt wurden und ihnen befohlen wurde, sich bei den pro-russischen Extremisten registrieren zu lassen.
Während einige jüdische Führungspersönlichkeiten und die Medien die Flyer als Fälschung bezeichneten, gibt es andererseits zu viele handfeste Beweise, dass die pro-russischen Extremisten, die die ostukrainischen Regionen terrorisieren, rabiate Antisemiten und Rassisten sind.
Nur ein paar Tage nachdem der antisemitische Skandal – vielleicht unangemessenerweise – verweht war, wurde berichtet, dass maskierte Männer die Wohnungen von mehreren Roma-Familien in der gleichen Stadt Slowjansk überfallen, von ihnen fordern Geld und ihnen befohlen hatten, die Stadt zu verlassen: “Wir werden Euch außerhalb der Stadt ansiedeln. Ihr seid hier nicht nötig.”
Aus irgendeinem Grund wurde dieser entsetzliche Anti-Roma-Vorfall weitgehend von den internationalen Medien ignoriert, trotz der Tatsache, dass nicht nur Mitglieder der Roma-Gemeinschaft sondern die pro-russischen Extremisten selbst die Angriffe eingeräumt haben. Der “Volksbürgermeister” Wjatscheslaw Ponomarjow, der Chef der russischen Ultranationalisten in Slowjansk, sagte, dass die Angriffe durch die Notwendigkeit motiviert wurden, die Stadt von Drogenhändlern zu befreien (“Wir reinigen die Stadt von Betäubungsmitteln”), und es wird allgemein unter den Ultranationalisten geglaubt, dass die Mitglieder der Roma-Gemeinschaft Drogen verteilen.
Es wird jetzt immer deutlicher, dass eine vollständige russische Invasion der Ostukraine nicht nur katastrophal für den ukrainischen Staat sein wird, durch diese würden auch die ethnischen Minderheiten der Region gefährdet, die unter die Kontrolle der pro-russischen Extremisten und Anhänger der russischen extremen Rechten fallen würden.