Der folgende Text von Ilia Ryvkin, einem 39-jährigen Berliner, der ursprünglich aus Russland stammt, wurde in der sonntäglichen Leserdebatte der taz vom 29./30.3.2014 in Auszügen abgedruckt.
Exklusiv für Euromaidan PR hier nun die vollständige Version von Ilyas Debattenbeitrag:
Für einige Beobachter geht es in erster Linie um Geopolitik. Mehrere davon stellen die Geschehnisse in der Ukraine und in Russland wie ein Computerspiel dar, etwa wie Sid Meier’s „Civilization“. Die virtuellen Figuren bestehen aus Einsen und Nullen, nicht aus Fleisch und Blut. Sie verfügen weder über eine Persönlichkeit noch über einen eigenen Willen. In diesem geopolitischen Strategiespiel geht es lediglich um die Ausbeutung von Ressourcen und um Aufrüstung. Jede Entwicklung ist nur darauf ausgerichtet, sich schneller als der Gegner zu bewaffnen. Die Spieler dieses Spiels heißen USA, NATO, Russland, EU, China.
Ich gebe gerne zu, viel weniger als diese Beobachter zu verstehen, was Geopolitik und Strategie angeht. Dafür habe ich einen ganz anderen Blickwinkel, da ich viele Leute in der Ukraine und in Russland persönlich kenne und selbst aus Russland stamme. Die Geschehnisse nehme ich sehr persönlich, so dass ich sogar mit einigen meiner Freunde und Verwandten in der letzten Zeit gestritten, ja, Beziehungen abgebrochen habe. Es geht nicht nur mir so, sondern allen russischsprechenden Menschen – die Barrikaden vom Maidan-Platz verlaufen quer durch die Freundschaften und Familien von Ukrainern und Russen.
Furchtbar ist es, wenn intelligente, nette Leute auf einmal beginnen, in einer patriotischen Ekstase zu zappeln, von der Dominanz Russlands auf der Welt und einer antirussischen Verschwörung zu schwärmen. Eine junge Dame schreibt auf Twitter: „Heute bin ich erfüllt vom Stolz auf meine Heimat! Es ist mir egal geworden, dass ich weder Wohnung, noch Arbeit habe, dass es keinen Platz im Kindergarten gibt! Dafür habe ich ein unglaubliches patriotisches Gefühl! Mein kleines Söhnchen hat gerade zum ersten Mal das Wort „Russland“ ausgesprochen!“