Von Tatjana Iwschenko (Korrespondentin der Nezavisimaja Gazeta [zu deutsch – die unabhängige Zeitung, anm. d. Übers.] in der Ukraine)
am 14.09.2012
Russland verliert seinen Einfluss auf die Krimbewohner – zu diesem Ergebnis kommt man in Kyiw, wenn man die Ergebnisse der soziologischen Umfrage auswertet, die im Sommer [2012] von der Gesellschaft Research & Branding Group auf Auftrag des UNO-Entwicklungsprogramm auf der Krim durchgeführt wurde. Es hat sich herausgestellt, dass die Zahl der Krimbewohner, die einen Anschluss der Autonomrepublik an die Russische Föderation begrüßen, sich im vergangenem Jahr um 15% verringert hat. Fast um die gleiche Prozentzahl ist die Zahl derer angestiegen, die den Status quo unterstützen. Weitere 9,9 % der Bürger sind nach wie vor der Meinung, die beste Option für die Entwicklung der Halbinsel wäre eine Unabhängigkeitserklärung.
Das Krimer Büro des UNDP, das über alle Rechte über die Ergebnisse der Studie verfügt, teilte der “NG” (Nezavisimaja Gazeta) mit, dass die Frage bezüglich der Zukunft, die an die Krimbewohner gestellt wurde, korrekt formuliert wurde: “ Es gibt verschiedene Meinungen bezüglich darüber, welcher Status für die Krim die beste Option wäre.
Welche der genannten Optionen entspricht am ehesten Ihren Ansichten?” Unten wurde die Liste der möglichen Antworten aufgeführt. Die Ergebnisse waren: 40% der Krimbewohner unterstützten den Autonomiestatus der Krim innerhalb der Ukraine, 38% würden ihre kleine Heimat gerne als Verwaltungseinheit der Russischen Föderation sehen. Es ging dabei ausschließlich um Ansichten und Sympathien und nicht um separatistische Stimmungen, betonen die Experten. Laut der Studie wurde der Abwärtstrend der pro-russischen Stimmungen auf der Krim bereits Ende des vergangenen Jahres [2011] bemerkt.
Mitarbeiter des Research & Branding Group sagten, dass sie aufgrund der Vertragsbedingungen mit dem Kunden weder das Recht haben, die Ergebnisse zu veröffentlichen noch diese zu kommentieren. Dennoch bemerkte der Leiter der Gesellschaft, der Soziologe Jewgenij Kopatko, dass nicht nur auf der Krim, sondern insgesamt in der Ukraine die Meinungen der einfachen Bürger keine Konstanten aufweise, die Situation ändere sich immer wieder. “ Auf dem Höhepunkt des Konfliktes der zwischenstaatlichen Beziehungen wurde Russland von der Mehrheit der Ukrainer nicht einfach als Partnerstaat, sondern als Bruderstaat betrachtet. Ein Jahr später, als die Charkiwer Abkommen unterschrieben wurden, wurden diese von mehr als 60% der ukrainischen Bürger unterstützt. Doch im 2011 verringerte sich diese Zahl auf 20%,” erzählte er.
Der Politologe Witalij Bala bemerkte, dass die Enttäuschung bei der Abkühlung der Beziehungen ihre Rolle gespielt hat:” Als die Charkiwer Abkommen unterschrieben wurden, hat man den Menschen billiges Gas versprochen. Die Zeit vergeht, das Gas wird teurer, und die Verhandlungen mit “Gasprom” bewegen sich nicht vom toten Punkt weg.” Er fügte hinzu, dass die Stimmung der Ukrainer von der offensichtlichen Unnachgiebigkeit Russlands bezüglich der für ihren Partner lebenswichtigen Fragen beeinflusst wird: ”um die Sympathien der Ukrainer zu behalten, hätte Russland dem Partner und Brudervolk wenigstens ein bisschen entgegenkommen müssen”.
Dabei meinte der Experte, dass die öffnentliche Meinungen in diesem Bereich plastisch sind. Bala bemerkte ein Kuriosum: ”die Meinung der Ukrainer wird vom durch die Regierung gewählten außenpolitischen Vektor beeinflusst. Dieser Einfluss bewirkt eine Unterstützung jedoch nur solange, wie die Regierung das Vertrauen mindestens der Hälfte der Bevölkerung genießt. Sobald die Bewertung abfällt, kippen die Stimmungen der Ukrainer in die Gegenrichtung zu den außenpolitischen Richtlinien der Regierung.”. Als Beispiel erinnerte er daran, wie die Ukrainer nach der Orangen-Revolution sich alle zusammen an der Integration in westliche Strukturen orientierten, jedoch ein paar Jahre später, als das Vertrauen zum Präsidenten Juschtschenko einen kritischen Tiefpunkt erreichte, haben sich die Symphatien in Richtung Russland gewendet. Auf dieser Welle kam dann Wiktor Janukowytsch an die Macht, denn er galt als pro-russisch. “Doch die Regierung verliert zur Zeit an ihrer Beliebtheit. Nicht zuletzt aufgrund interner Probleme, vor allem durch die Widersprüche (unter anderem durch die Handelskriege und den Gasstreit) mit Russland bedingt. Die Ukrainer schauen wieder in Richtung EU und USA.”
Die Situation auf der Krim hat ihre Besonderheiten, sagte der Leiter des Instituts für ukrainische Politik Konstantin Bondarenko gegenüber der “NG” . Er bemerkte, dass die Meinungen der Halbinselbewohner von der einheimischen Elite beeinflusst werden: “Bis vor Kurzem wurde die Situation durch die Tatsache bestimmt, dass viele Krim “Baronen” ihre Abhängigkeit von Kyiw verringern, sich vom Zentrum distanzieren und sich von ukrainischen Justizbehörden fernhalten wollten. Dies erklärte die pro-russischen Leitsätze, die man nur selten als ehrlich oder ideologisch begründet bezeichnen konnte. Doch als die Vertreter des Teams von Wiktor Janukowytsch an die Macht kamen, hat sich die Situation geändert: die Vertreter der einstigen Elite wurden zurückgedrängt, es wurde “Ordnung” geschaffen”. Dies erklärt die Steigung der Symphatien der Halbinselbewohner gegenüber der Zentralregierung, meint der Experte.
Außerdem wirkt auf die Situation die Haltung Russlands, bemerkte im Kommentar für “NG” der Leiter der Partei “Russischer Block” Gennadji Bassow: ”Die Landsleute fühlen sich nutzlos und verlassen. Russland betreibt zu wenig Aufwand, um auf die Krimbewohner, die in der Mehrheit ethnische Russen sind, richtig einzugehen. Sie führen irgendwo irgendwelche Programme durch, doch diese bleiben im Hinblick auf die Propaganda der Gegenseite unbemerkt.”
Doch auch an den Organisationen der Landsleute haben viele Krimbewohner Einiges auszusetzen. “Indem sie seit Jahren um Geld betteln und Ideologie zum profitablen Geschäft machen, haben sie das Vertrauen der Menschen verloren. Es fragt sich also, über wen, über welche Strukturen könnte Russland auf der Krim effektiv arbeiten?”-sagte der “NG” ein ehemaliger Staatsbeamter, der darum gebeten hat, seinen Name nicht zu veröffentlichen. Er erinnerte daran, dass im Juni [2012] in Simferopol eine Außenstelle für russische Zusammenarbeit eröffnet wurde. Doch diese hat ihre Tätigkeit noch nicht in voller Kraft entfaltet, und auf die einheimischen Organisationen ist kein Verlass, da sie laut Gesprächspartner der “NG” “sich marginalisiert haben und untereinander in Konflikten verstrickt sind”
In der Außenstelle für russische Zusammenarbeit bemerkt man eine andere Schwierigkeit: den koordinierten Widerstand der westlichen Strukturen. Wie die Agentur UNIAN kürzlich mitteilte, erklärte der Leiter der Außenstelle für russische Zusammenarbeit in der Ukraine, Konstantin Worobjow, in Moskau: ”alle westlichen Informations-und Kulturzentren, die es in der Ukraine gibt, bieten einheitlich Programme der staatlichen humanitären Politik, die auf die Einbeziehung der Ukraine in die Umlaufbahn der EU, USA und deren Partner ausgerichtet ist.” Er bemerkte, dass zu diesem Zweck groß angelegte und gut finanzierte Projekte und Programme realisiert werden, von denen die meisten auf die Meinungsbildung von Jugendlichen ausgerichtet sind.
“Die Ergebnisse der Umfrage um den Status der Krim sind vermutlich durch die Meinung junger Leute bedingt. Jedoch möchte ich nicht beurteilen, ob es wirklich so ist oder nicht. Wir haben keinen Vergleich. Russland, beispielsweise, bestellt keine Umfragen bezüglich der öffentlichen Meinung auf der Krim. Schwer zu sagen, warum. Man kann doch nicht adäquat und erfolgreich Politik durchführen, ohne die Stimmungen der Menschen zu kennen, mit denen man arbeiten muss” – sagte der “NG” die Leiterin des soziologischen Dienstleistungsunternehmens «КБ-САМ» (“KB-SAM”), Natalja Kiseljova. Der Politologe Wiktor Charabuga stimmte dieser Meinung zu und bezweifelte gleichzeitig, dass die Mehrheit der Krimbewohner ihre Ansichten geändert hat: ”Wenn die Anzahl der Menschen, die sich an die Annäherung mit Russland orientieren, sich zur Zeit verringert hat, dann muss man klarstellen, warum das passiert, was solche Stimmungen beeinflusst. Doch solange die Russen hier die Mehrheit ausmachen, kann man Verbindungen und freundschaftliche Beziehungen wieder herstellen und eine neue Ebene der Zusammenarbeit erreichen.
Kyiw
Quelle: http://www.ng.ru/cis/2012-09-14/1_crym.html
Übersetzung: Marina Bondas