Ein neues Gerücht sickert – noch – still und leise durch die sozialen Netzwerke: Die ukrainische Armee plane einen „großflächigen Angriff“ im Donbas, zu dessen Unterstützung ein „Atomsprengsatz“ gezündet werden solle. Diesen „atomaren Angriff“ werde man dann „der russischen Armee“ anhängen. Was soll das? Müssen wir „bereit sein“? Oder ist das die neueste Verschwörungstheorie aus der Desinformations-Giftküche? Ich denke, ich kann das, trotz der drögen, wissenschaftlichen Fakten kurzweilig erklären, die Reizworte (buzzwords) dekonstruieren und die Angst nehmen, die diese neuerliche Desinformation hervorrufen soll.
„Bereitet Moskau die Bühne für den Einsatz taktischer Nuklearwaffen vor?“
Dazu hat Paul Goble auf seinem Blog „Window on Eurasia“ einen Beitrag verfasst, auf den ich mich hier beziehe. Paul Goble schreibt über den Fernsehauftritt eines „politischen Kommentators“ namens Michail Deljagin, offensichtlich Mitglied der ultranationalistischen Partei „Rodina“, die so illustre Gestalten in ihren Führungsgremien zählte wie den Oligarchen Alexej Babakow, der in der Finanzaffäre Front National/Familie Le Pen eine nicht unwesentliche Rolle spielt – Mediapart nennt ihn eine „Schlüsselfigur“ oder Sergej Glasjew, Präsidentenberater, der auf der „Raschisten“-Konferenz von Jalta Ende August anwesend war. Gegründet wurde Rodina von Hardliner Dmitri Rogosin, vormals Botschafter Russlands bei der NATO, jetzt einer der Vizepremiers und „Minister für den militärisch-industriellen Komplex”.
Verbreitet wird Herrn Deljagins Wahrnehmung der Wirklichkeit durch das ebenfalls ultranationalistische Portal „Russkaja Wjesna“ (Russischer Frühling), auf dem wir auch Herrn Zarjows Artikel wiederfinden. Offensichtlich hat sich Deljagin von Zarjow inspirieren lassen – Zarjow war einen Tag früher. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auch der siegreiche, ruhmbedeckte Donbas-Feldherr Igor Girkin auf diesem Portal nicht fehlen darf, früher bejubelt, jetzt reduziert auf die Kommentare von der Seitenlinie.
Somit hätten wir den geistigen Humus geklärt, auf dem Herrn Deljagins Äußerungen gewachsen sind, und können uns dem Faktencheck zuwenden.
Der Faktencheck – Teil 1
Jetzt muss ich Euch leider mit einigen Fakten behelligen, die man kennen muss, um die Deljagin/Zarjow-Show bewerten zu können – und zwar in jeder Hinsicht.
„Solch eine taktische Nuklearwaffe oder ‚schmutzige Bombe‘“ … eijeijeijei! Das ist eine „Alternative“ wie, sagen wir „Tyrannosaurus Rex oder Schmusekatze“. Zwei vollkommen unterschiedliche Prinzipien. Oleg Zarjow suggeriert schon durch seine Bebilderung einen großen Nuklearsprengkörper. Nuklearsprengkörper oder „Atombomben“ funktionieren nach dem Prinzip der Kernspaltung: Ein Zündmechanismus wird ausgelöst, indem man z.B. die zwei Hälften eines Bombenzünders mit hoher Energie aneinanderdrückt. Dadurch entsteht eine „kritische Masse“, die eine Kettenreaktion in Gang setzt – es gibt noch andere Prinzipien, doch das muss hier nicht vertieft werden.
Als spaltbares Material für den Bau kommen Uran, Plutonium oder Wasserstoff – je nach Technik – infrage, als Herausforderung gilt der Bau des Zündmechanismus: je plumper, desto mehr Platz benötigt er, und desto weniger Sprengkraft kann man z.B. im Kopf einer Rakete unterbringen. Dieses Problem haben Sowjets/Russen und Amerikaner allerdings schon längst gelöst.
Die Sprengkraft einer Atombombe wird in TNT-Äquivalenten gemessen. Die 14 Kilotonnen (KT) der Hiroshima-Bombe entspricht der von 14.000 Tonnen TNT.
Für die vier Explosionen des Reaktors 4 in Tschernobyl wird eine Sprengkraft von 150 KT angegeben, diejenige von Fukushima mit 300 KT, bedingt durch das gleichzeitige Erdbeben.
In diesem Video sind die vier Hauptwirkungen einer A-Bombe sehr kurz und einprägsam dargestellt:
http://www.youtube.com/watch?v=9TyCymqc9nQ
Es handelt sich um:
- Hitze (schwarz): am Detonationsort (Nullpunkt, Ground Zero – GZ) haben nach dem Abwurf der Bombe bis in eine Entfernung von 2 km –Temperaturen (von 60000 C unmittelbar am GZ) geherrscht, die mit dem Leben nicht vereinbar waren. Weiter entfernt erlitten die Menschen ausgedehnte Verbrennungen, größtenteils dritten Grades. Solche Verbrennungen erlitten 50% aller Opfer. Die Hitzewelle hat die weiteste Ausdehnung, die relativ zur Größe des Sprengkörpers mehr zunimmt als dessen Masse.
- Druckwelle (grau): Direkt im Zentrum herrschen tödliche Druckspitzen, die ebenfalls mit dem Leben nicht vereinbar sind. Diese Druckspitzen fallen steil ab. Ein solcher Druck hat schädigende Auswirkungen nicht nur auf die Knochen – es gibt Berichte aus Hiroshima, nach denen Menschen bis zu 600m durch die Luft geschleudert sind, bevor sie auf eine Hauswand prallten und sich dabei fast alle Knochen brachen – sondern auch auf das Innenohr: auf das Ohr, das Trommelfell und die dahinterliegenden Teile des Gehirns. Eine solche Druckwelle, die wie ein Schuss ins Ohr wirkt, ist in der Nähe des Nullpunkt ebenfalls tödlich und ruft weiter entfernt schwere Dauerschäden hervor.
- Strahlung (weiß): ruft akut – abhängig von der Dosis – die Strahlenkrankheit hervor. Die wirklich schlechte Nachricht ist: Man stirbt nicht sofort. Diese Strahlenkrankheit ist allerdings selten. Denn die Opfer von Atomexplosionen sterben meistens – in 85% – an Verbrennungen oder Druckschäden. Strahlenkrank wurden auch die Liquidatoren von Tschernobyl und die Opfer verschiedener von der IAEA dokumentierter Arbeitsunfälle. Strahlung verringert sich in Abhängigkeit von der Entfernung nach dem Abstands-Quadrat-Gesetz.
Die bislang aufgelisteten Folgen treten akut nach einer Detonation auf. Dies sind die Frühschäden.
4. Fallout: durch die Energie werden Staub, Trümmer und radioaktive
Partikel zunächst in die Höhe geschleudert, im Einzelfall bis zu 65 km hoch
(“Zar Bomba”). Da Herr Zarjow aber offensichtlich nicht ohne Grund, die
stärkste amerikanische Bombe zu Illustration gewählt hat (Castle Bravo,
15 Megatonnen, = 15 Millionen TNT-Äquivalente oder ca. 1000-fach
Hiroshima, aber nur 1/6 der Zar-Bombe), wollen wir uns jetzt an dieser
Bombe orientieren.
http://www.youtube.com/watch?v=yEje927dygM
Man muß den Text nicht verstehen, um die Wirkung der Detonation anzuschauen.
Und jetzt die Wirkungen: Castle Bravo produzierte einen „Atompilz“ von 40 km Höhe und 100 km im Durchmesser. Castle Bravo hatte eine Sprengkraft von 15 MT, das Ergebnis fiel allerdings 2 ½ – fach so stark aus wie berechnet:
Wie ersichtlich, wird der Fallout, bedingt durch das Zusammenspiel von Erdumdrehung, Wind- und Corioliskraft, wie allgemein auf der Nordhalbkugel üblich, nach Osten getrieben. Tschernobyl war hier eine absolute Ausnahme. Das Bikini-Atoll wird erst seit 2011 als „wieder offen“ beworben. (Übrigens wurde der schon auf den Fresken von Pompeji zu bewundernde 2-teilige Badeanzug 1946 „zu Ehren“ der Atomtests so genannt – in einer Zeit, als man alles, was mit „Atom“ zu tun hatte, noch toll fand.)
Berühmt wurde der Castle-Bravo-Test auch durch das tragische Schicksal der Männer des Tunfisch-Fangschiffs Daigo Fukuryū Maru V, auf Deutsch: Glücksdrache Nr. 5, die unwissentlich immer unter dem nach Osten treibenden Fallout einherfuhren – was ihnen die Strahlenkrankheit und den USA diplomatische Verstimmungen mit Japan einbrachte.
Und was hat das mit dem taktischen Nuklearsprengkörper in der Ostukraine zu tun?
Wie oben bereits erwähnt, kann eine Interkontinentalrakete einen Sprengkopf bis zu 9 MT tragen.
Und jetzt mal eine Karte der Ostukraine mit Donezk, Luhansk und der russischen Grenze … maximal 9 Megatonnen, Fallout nach Osten. Na?
Und jetzt denken Sie sich auf die Karte mal die Umrisse des Fallouts einer taktischen Nuklearwaffe. Hätten unsere Kassandras sich das genauer überlegt, hätten sie entweder viel lauter geschrieen, oder diesen Stunt schon mal gelassen.
Wird fortgesetzt …
buzzword – bingo !
Autor: Dagmar Schatz
Überarbeitung: Euromaidan Press auf Deutsch