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Jerofejew: Es wäre naiv zu glauben, Putins Abtritt würde die Aggression beenden

Jerofejew: Es wäre naiv zu glauben, Putins Abtritt würde die Aggression beenden

Titelbild: Der russische Präsident Wladimir Putin und der Präsident der Ukraine Petro Poroschenko beim Händedruck anlässlich der Gespräche in Minsk im September 2014.

Es wäre gefährlich “naiv” zu denken, dass Putins Abtritt ein Ende der russischen Aggressivität bedeutet, sagt Jerofejew

von Paul Goble, The Interpreter,  24. Oktober 2014

Viele Menschen in der Ukraine und im Westen sind davon überzeugt, dass im Fall eines Rücktritts von Wladimir Putin die russische Aggressivität ebenfalls enden würde. Aber diese Ansicht ist gefährlich “naiv”, wie der russische Schriftsteller Wiktor Jerofejew sagt, weil sie die heutigen russischen Realitäten ignoriert.

In einem Interview mit ukrainische Nachrichtenagenturen, das von Szona.org aufgenommen wurde, sagt Jerofejew, es sei wichtig zu verstehen, dass “die Ursache des ukrainisch-russischen Konflikts nicht bei Putin” allein begründet liegt sondern auch in einem “archaischen Bewusstsein, das nicht bereit ist, die westlichen Werte oder eine europäische Ukraine zu akzeptieren”.

Jerofejew, der Sohn von Stalins Dolmetscher und Autor des Buchs The Encyclopedia of the Russian Soul, argumentiert, es sei auch falsch zu glauben, dass diese Haltung das Ergebnis der Kreml-Propaganda sei. Stattdessen spiegele sie das wieder, wovon die Bevölkerung von Russland fest überzeugt sei: “Alle Maidane wurden von den Amerikanern organisiert,” ein Standpunkt, der sie es ihnen möglich macht, sich nicht mit dem eigenen Versagen auseinandersetzen zu müssen, selber einen zu organisieren.

Darüber hinaus weist er darauf hin, dass Putin “praktisch unbegrenzte Macht” besitzt und deshalb in der Lage ist, seine Nachfolger vorzubereiten. Folglich wird er nur aus denen wählen, die “seine Ansichten über die Ukraine absolut teilen”. Niemand wird unmittelbar nach ihm kommen und die europäische Wahl der Ukraine akzeptieren und nicht die teilweise oder vollständige Aufnahme der Ukraine in ein russisches Reich versuchen.

Wie bei einer Röntgenaufnahme, fährt Jerofejew fort, haben die Ereignisse des Jahres 2014 gezeigt, dass “der überwiegende Teil der [russischen] Bevölkerung absolut antiwestliche, antidemokratische und antiliberale Werte” besitzt und dass es die Akzeptanz dieser Werte von Seiten des Regimes nun als Indiz dafür betrachtet, dass der Kreml dem russischen Volk schließlich sagte: “Ihr habt völlig Recht”.

Bis zu diesem Jahr war die russische Führung “liberaler” als das russische Volk. Putin wollte eine Partnerschaft mit dem Westen, aber da er sich selbst in zweierlei Hinsicht verraten fühlt, wandte er sich vom Westen ab und verbündete sich mit der russischen Bevölkerung, setzt der russische Schriftsteller fort.

Auf der einen Seite war Putin erzürnt über die Rolle “seiner westlichen Freunden” wegen ihrer Unterstützung “der Protestbewegung in Russland in den Jahren 2011-2012”, einer Bewegung, die nicht nur ein allgemeiner Protest war sondern “eine spezifische Anti-Putin-Aktion”. Und auf der anderen Seite betrachtet er das, was auf dem Maidan passierte, als Verrat der Ukrainer an seinen Plänen für ein neues Reich.

Nach Jerofejew ist “Putin der Auffassung, dass es der Westen war, der seine Werte in der Ukraine eingeführt hat,” anstatt  jene Werte als “natürlichen” Teil der ukrainischen Werte zu sehen. “Das ist ein schwerer Fehler von Putin,” aber kann das nicht zugeben, und so versucht er, die Realität entsprechend dem, was er glaubt, umzuformen.

Nicht nur das russische Volk im Allgemeinen sondern auch viele russische Intellektuelle unterstützen Putins Auffassung, einige aus einem Gefühl, dass sie loyal zu einem Regime stehen müssen, das sie unterstützt, und andere weil sie wirklich an genau die gleichen Dinge glauben. Niemand sollte über Spaltungen innerhalb der russischen Intelligenz überrascht sein.

Was überrascht ist eher, dass “der Maidan [in der Ukraine] dem strengen Winter 2013-2014 widerstand und gewann. Das war unglaublich, Heldentum,” sagt Jerofejew. Das bedeutet nicht, dass Kyiw keine Fehler dabei gemacht hat, aber was geschehen ist, ist beeindruckend. Leider sind seine Aktionen nicht etwas, womit sich  Russland abfinden kann.

Der russische Schriftsteller sagt, dass er sich nicht vorstellen kann, dass die Russen, so wie sie sind heute sind, bereit sein könnten, “die Ukraine in Frieden zu lassen” und zuzulassen, dass sie sich in Europa integriert. Somit steht der Ukraine eine lange Periode russischer Anstrengungen bevor, Unordnung zu schaffen und sie zu untergraben, damit die Ukrainer ihren Traum nicht verwirklichen können.

In dieser Situation sagt Jerofejew: “Die Ukraine muss in einer komplexen und tiefen Weise die archaische Natur des russischen Bewusstseins analysieren.” Es einfach als “verrückt” zu verdammen, wird nicht helfen. Worum es geht, ist “nicht Putin, sondern gerade das archaische Bewusstsein der russischen Bevölkerung. Ohne dies zu verstehen, ist die Ukraine wie Don Quijote gegen die Windmühlen zum Scheitern verurteilt.”

Trotz der mehr als 20 Jahre seit dem Ende der UdSSR teilen nur etwa 15 Prozent der Russen demokratischen Werte, und diese Zahl wächst nicht schnell, weil niemand das fördert. Die ukrainische Gesellschaft ist auch nicht auf diese Weise geschult, aber ein “Teil [seines] Gebiets ist historisch mit Europa verbunden.”

Im Ergebnis teilen “mindestens 50 Prozent” der Ukrainer die westlichen Werte, aber sie müssen mit einem Russland fertig werden, in dem 85 Prozent der Bevölkerung dies nicht tut, und das ist etwas, was russische Liberale und Demokraten nicht willens oder nicht in der Lage sind zu verstehen, und das viele außerhalb Russlands ebenfalls nicht verstehen.

Jerofejew sagt, er könne “nicht verstehen, wie es möglich ist, dass man im 21. Jahrhundert die normalen menschlichen Werte nicht gutheißt, zum Beispiel, dass das Individuum wichtiger ist als der Staat, dass der Staat den Menschen zu dienen hat, und nicht umgekehrt, und dass der Staat nicht als etwas Heiliges behandelt werden sollte.”

Die Ukrainer sind auf der richtigen Seite der Geschichte, und die Russen nicht, nur leider wird der Preis hoch sein, den die Ukrainer dafür bezahlen müssen, auch wenn noch niemand weiß, wie hoch der Preis wirklich sein wird, den die Russen zu verhängen planen.

Autor: Paul Goble

Quelle: The Interpreter

Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch

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