(Teil 2 von 3) – von John Besemeres, insidestory.org.au – Teil 1 hier: Euromaidan Press
Vor kurzem hat eine Gruppe einfühlsamer US-amerikanischer Persönlichkeiten ein Treffen mit ihren ehemaligen russischen Kollegen abgehalten, um über einen Friedensplan für die Ukraine zu diskutieren. Die Verdienste dieser Pläne beiseite gelassen, alleine die Idee, dass eine Gruppe Amerikaner sich anmasst, eine solche Initiative ins Leben zu rufen, in einer Zeit, in der die russische Aggression immer mehr zunimmt, und ohne sich zu bemühen, nur einen einzigen Vertreter aus der Ukraine daranteilhaben zu lassen, war sinnbildlich für ihre beschwichtigende Geisteshaltung.
Die Beweisführung der Russlandversteher ist typischerweise, dass Putin der Herrscher eines grossen, atomar-bewaffneten Landes ist, welches sie gerne “den Bären” nennen, und wessen Sorgen gegenüber der westlichen Politik gegenüber vollkommen begründet sind. Jedenfalls, argumentieren sie, abgesehen davon, wie einsichtig sie sind, sollten wir sehr bedacht sein, den “Bären nicht zu pieksen”.
Die Befindlichkeiten von 140 Mio. Russen sind vorrangig in diesem Gedankengang, nicht die Interessen der 160 Mio. Osteuropäer, die zwischen Russland und Mitteleuropa leben. Es scheint nicht relevant zu sein, dass die NATO sich als Antwort auf Wunsch vieler osteuropäischer Staaten, die sich von möchtegern-lebenslangen Autokraten wie Lukaschenko oder Janukowytsch, oder vor erneuter russischer Aggression befreien wollten, erweitert hat, und nicht, weil sie das Bedürfnis hatte, Moskau zu drohen.
Der Ukraine wurden sogar schriftliche Zusicherungen gemacht, die öffentlich zugänglich sind. Im Jahr 1994, unter Druck aus Moskau und westlicher Mächte, erklärte sich Kyiw bereit, sich seiner atomarer Waffen zu entledigen im Tausch gegen schriftliche Zusicherungen, dass die Ukraine nie Gegenstand wirtschaftlicher oder militärischer Nötigungen wird, und dass Russland, die Vereinigten Staaten, Grossbritannien und Frankreich bereit wären, im Fall einer solchen Nötigung die Ukraine zu verteidigen. Diese Zusicherungen haben sich als wertlos erwiesen.
Das Argument, dass die Ausdehnung der NATO gegen den Osten eine intolerierbare Provokation gegenüber Moskau darstellt, ist schon von sich aus nicht überzeugend. Wenn Moskau wirklich so Angst vor einer Ost-Expansion der NATO hätte, wieso hat es sich nicht von der Tatsache beruhigen lassen, dass die NATO jahrelang eine selbstverleugnende Verordnungslage beachtet hat? In der NATO-Russland-Gründungsakte aus dem Jahr 1997 wurde nämlich festgehalten, keine bedeutende militärischen Ausrüstung und Personal in den neuen Mitgliedstaaten aufzustellen. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die neuen Mitglieder diejenigen sind, die von Russlands aggressivem Revanchismus unter Putin bedroht werden, und nicht umgekehrt. Am 18. August hat Angela Merkel während eines Besuches in Riga nochmals beteuert, dass mit der Verordnung gemeint war, dass es auch jetzt noch, abgesehen von Moskaus vielfachen Angriffen und Überschreitungen, keine dauerhaften Basen in den baltischen Staaten geben wird, ungeachtet deren verzweifelten Bitten.
In der Zwischenzeit fährt Russland fort, Überflüge in und nahe der Lufträume ihrer westlicher Nachbarn zu tätigen. Es handelt sich um Lufträume von NATO- und Nicht-NATO-Mitgliedsstaaten, besonders häufig geschieht das in den baltischen und nordischen Regionen, aber nicht nur. Russland führte im Jahr 2007 mithilfe russischer Minderheiten in Estland einen Cyberkrieg gegen Estland, und vergangenen Monat (September) hat Russland einen estnischen Sicherheitsoffizier auf estnischem Hoheitsgebiet entführt. Und das nur zwei Tage, nachdem Präsident Obama Tallinn besucht hatte, um erneut zu beteuern, dass Estland nicht im Stich gelassen werde, falls es angegriffen würde. Der Einmarsch Russlands in Georgien im Jahr 2008 – nach einer langen Vorgeschichte mit aggressiver Provokation von Moskau und seinen Stellvertretern in Abchasien und Südossetien – und die enormen Militärübungen gleich an der Grenze zu seinen westlichen Nachbarn im 2009 und 2013 – eine dieser Übungen schloss mit einem simulierten Atomanschlag auf Warschau ab – haben alle einen ähnlichen Nachhall. Wie sicherlich auch die häufigen Handelskriege, die Russland gegen ehemalige, auf Abwege gekommene Knechte entfesselt hat.
Westliche Experten der Region haben wahrscheinlich eine grössere Ahnung von russischen Angelegenheiten als von georgischen, moldauischen, estnischen oder sogar ukrainischen Angelegenheiten. Das Ergebnis davon ist, dass sich diese Experten ein schlechtes Stück vom induzierten russischen Chauvinismus aneignen und unbewusst etwas dieser herablassenden Einstellung der Mehrheit der Russen, der hochgebildeten Leute ebenso wie auch der Skinheads von der Strasse, gegenüber kleineren ethnischen Gruppen innerhalb und an den Grenzen Russlands, annehmen. Das macht die Experten anfällig für russische Propaganda, obwohl sie sich dieser generellen Erscheinung natürlich bewusst sind und im Glauben sind, dass sie diese angemessen in Betracht ziehen. Und es macht sie ebenfalls empfänglicher für den Gedanken, dass jeder kleinere, lästige Nachbar, falls nötig, in seine Kiste verfrachtet werden soll, um den Bären bei Laune zu halten.
Auf diese Weise könnte nicht nur das Post-1990-Sicherheitssystem untergraben werden, sondern es könnte auch dabei helfen, ein aggressives, selbstsicheres, antiwestliches und expansionierendes Russland wiederherzustellen, und das scheint sie nicht zu beunruhigen. Und gleichermassen, dass es zu einem Auseinanderentwickeln der westlichen strategischen Gemeinschaft führen könnte, mit Ländern, die zwischen beiden, Russland und der EU, liegen, die sich nun vermehrt entscheiden, Moskaus aggressiven oder verührerischen Angeboten entgegenzutreten, da sie keine Aussicht sehen, dass sich jemand Moskau widersetzen kann. Einige osteuropäische NATO-Mitglieder, einschliesslich Ungarn, der Slowakei und Bulgariens, scheinen bereits mit einer solchen fundamentalen Reorientierung zu liebäugeln.
“Der Bürgerkrieg in der Ukraine,” “die Ukrainekrise,” “Separatisten,” “Pro-Russen,” “Rebellen” – Ausdrücke wie diese sind bedeutungsschwer vorbeladen und helfen Moskau den Eindruck zu erwecken, dass es sogar jetzt nur ein beunruhigter Zuschauer ist, der besorgt ist über das tragische Schicksal seiner sootetschestwenniki (“Landsleute”), und dass Moskau sich nur bemüht, für alle Betroffenen einen ehrenhaften Weg daraus zu finden. Schon vor dem Einmarsch auf der Krim hat Russland hart daran gearbeitet durch Handelsboykotte, Manipulation der Energiepreise und grossen Druck auf seinen eigensinnigen Schützling Janukowytsch Kyiw dazu zu bringen, das mühsam mit der Europäischen Union ausgehandelte Assoziierungsabkommen aufzugeben.
Als Janukowytsch sich schlussendlich fügte [Anm. d. Ü.: dem Kreml fügte] und als Antwort darauf Massendemonstrationen ausbrachen, welche man unter dem Namen Euromaidan kennt, drängte Putin ihn, eine der russischen ähnliche polizeistaatliche Gesetzesgebung einzuführen. Als auch dies fehlschlug, griff Janukowytsch auf Massenerschiessungen zurück, mit dem Bestreben die Proteste zu unterdrücken. Solche Handlungen hatten zuvor nicht zu seinem Repertoire gehört, also waren sie wahrscheinlich ebenfalls eine Antwort auf den Druck aus Moskau. Und als diese Aktionen auch misslangen, floh er und überliess Kyiw der Maidan-Koalition.
Die Operation auf der Krim trug noch eine grössere Handschrift Moskaus. Abgesehen von den unbeschrifteten Uniformen und schweren Waffen war es klar, dass Russlands Spezialeinheiten massiv daran beteiligt waren, wie auch die bewaffneten russischen Einheiten, die auf der Halbinsel stationiert waren (offensichtlich eine grobe Verletzung des Schwarzmeerflotte-Abkommens mit Kyiw). Es gab ebenfalls eine Beimischung von lokalen russischen Patrioten und fügsamen Politikern und Administratoren, manche waren ansässig und manche waren heimlich ins Land gebracht worden. Der russische Föderale Sicherheitsdienst (FSB), die inländische Nachfolgeorganisation des KGB (sowjetischer Geheimdienst), hat rasch seine Präsenz durchgesetzt, indem die Bevölkerung dazu aufgefordert wurde, Nachbarn zu denunzieren, die an den Maidan-Aufständen teilgenommen hatten. In den Monaten seit der Annexion ist die Krim zu einem wirtschaftlich rückläufigen Polizeistaaten abgestiegen, voll von aggressiver Homophobie und all den anderen Markenzeichen des putinschen Provinzialismus.
Vierzehn Tage nach der Annexion der Krim wurde ein äusserst ähnliches Muster im Donbas und anderen süd-östlichen Teilen der Ukraine angewandt. Auch hier waren wieder auffällig sichtbar Russen aus Russland in der Führerschaft, und die militärische Professionalität der Mehrheit der Angriffe machte es offensichtlich, dass Russland direkt darin verwickelt war, die Machtergreifungen herbeizuführen, mit Personal zu besetzen und zu managen. Der Anteil der teilhabenden lokalen Fanatiker war jedoch grösser, als auf der Krim. Dies hat wahrscheinlich auch zur grösseren Disziplinlosigkeit unter den Kräften der Stellvertreter und zu ihrer Neigung für die übliche Kriminalität und groben Menschenrechtsverletzungen (Entführungen, Zusammenschlagen, “Verschwindenlassen”, Verhaftungen) gegen die lokale Bevölkerung geführt.
Will man diesen Konflikt als Bügerkrieg betiteln, muss man sich darüber im Klaren sein, dass durch die massgebliche Einmischung und Beteiligung Russlands es sich jedoch um einen künstlich befruchteten Bürgerkrieg handelt. Er kann weder “Ukrainekrise” genannt werden, noch können die Kämpfer, die unter russischer Beeinflussung stehen, korrekt oder richtig “Separatisten” oder “Rebellen” genannt werden. Um ein Separatist zu sein, muss man im eigenen Land und versucht sein, einen Teil davon in ein unabhängiges Gebilde zu verwandeln. Die sogenannten “Separatisten” im Osten der Ukraine können Irredentisten sein, allerdings kann man ihre Bewegung nicht als aufrichtig separatistisch bezeichnen. Aus ähnlichen Gründen können die ausländischen Soldaten nicht als Rebellen eingestuft werden.
Es besteht hier eine echte terminologische Schwierigkeit, aber meistens sind die Lösungen im gewöhnlichen Gebrauch tendenziös und dienen dazu, Moskaus entscheidende Beteiligung zu verwischen. In anderen solchen Fällen werden die Kämpfer als “fünfte Kololnne” oder sogar als Verräter beschrieben.
Ferner gibt es Beweismittel dafür, dass eine grosse Anzahl der Kämpfer keine “Freiwilligen” sondern bezahlte Söldner sind, die ursprünglich aus dem russischen Nordkaukasus stammen und über die Grenze transportiert wurden.
“Rebellen” und “Separatisten” sind keine angemessenen Begriffe für die einheimischen Personen, die in der Ostukraine kämpfen und, es sollte kein Milizsoldat, der sich hat rekrutieren lassen, um für eine fremde Imperialmacht zu kämpfen, berechtigt sein, einen sprachlichen Deckmantel umgehängt zu bekommen. Es ist bemerkenswert, dass Kyiws bevorzugter Begriff “Terroristen” fleissig von der westlichen Presse ignoriert wird, obwohl es viel bessere Argumente (Gewaltanwendung gegen legitimierte Institutionen und Zivilisten, Massenmissbrauch von Menschenrechten, Vermeidung identifizierender Abzeichen, Waffenstationierung in Wohngebieten, und so weiter) für diesen Ausdruck gibt, als für die viel häufiger angewandten Redewendungen.
Die terminologischen Schwierigkeiten haben zum weitverbreiteten Begriff “pro-russisch” geführt. Häufig ist er als Adjektiv anzutreffen, manchmal jedoch auch als Nomen für diejenigen, die gegen die ukrainischen bewaffneten Einheiten und deren freiwilligen Milizunterstützer kämpfen. Aber das ist zu unzureichend. Manche von ihnen sind zunächst einmal schlichtweg Russen.
Die letze Wende der Ereignisse in den Kämpfen hat einer weiteren Lawine von irreführenden Beschreibungen Raum gegeben, die wieder einen verschleiernden Effekt für Russlands wahre Rolle in diesen Ereignissen haben. Wie man sich wieder ins Gedächtnis rufen wird, schien es während der Anfangszeit, als ob die Stellvertretermiliz alles zunichte machte, die ukrainischen Kampkräfte schienen entmutigt, wie auch hoffnungslos schlecht ausgestattet, und die lokale Bevölkerung im Osten schien sich nicht gegen die Stellvertreter zu wehren, obwohl Meinungsumfragen zeigten, dass sogar auf der Krim die Mehrheit der Bewohner nicht zu Russland gehören wollte.
Alsdann kam die ukrainische Armee auf die Füsse, unterstützt durch die Freiwilligenmiliz und die finanzielle Beteiligung vieler gewöhnlicher Ukrainer, wie auch einiger Schlüssel-Oligarchen. Zwischen Mai bis Mitte August übernahmen die ukrainischen Kräfte Schritt für Schritt die Kontrolle über die Situation, sie trieben die Stellvertreter zurück und konnten fast die gesamte Fläche der verlorenen Gebiete in Donezk und Luhansk zurückerobern.
Die ukrainischen Kräfte standen während diesen Operationen schwierigen Dilemmas gegenüber. Da sich die russischen Kräfte gut eingebuddelt hatten, war es unumgänglich, Luft- und Artilleriebeschüsse durchzuführen, um sie aus den Verstecken hervorzuholen und blutige Strassenschlachten zu vermeiden. Noch dazu kam, dass Kyiw dringend um Unterstützung bei den Oligarchen bitten und auch die Unterstützung einiger beibehalten musste, wie auch diejenige Unterstützung der enthusiastischen, aber manchmal problematischen freiwilligen Kampftruppen.
Bewaffnete Konflikte haben die Tendenz, irreguläre Kräfte zu generieren, die extreme Einstellungen haben, u.a. gerade in kritischen Augenblicken in Halb-Demokratien, wie es nun in der Ukraine derzeit der Fall ist. Die Ukraine kämpft für ihre Unabhängigkeit, in letzter Zeit wohl für ihre Existenz, ohne zuverlässige Verbündete und gegen einen Feind, der stärker und viel besser ausgestattet ist als sie selbst. Es existieren viel mehr militante und extremistische Formationen in Russland und auf der russischen Seite des Kampfes in der Ukraine. Aber während Moskau diese Formationen meistens nicht einschränkt, könnte es sie zweifelsohne zügeln, wenn es dies für nötig erachten würde. Poroschenko hat jedoch nicht dasselbe Leistungsvermögen, trotz seines starken präsidialen Mandates. Ausserdem hat er viele andere, extrem dringende und schwierige Probleme, mit denen er zurzeit klarkommen muss.
Quelle: insidestory.org.au
Übersetzung: Nadia M. Venko
Redaktion: Euromaidan Press Übersetzerteam Deutsch
Teil 1 finden Sie hier auf Euromaidan Press
Titelbild: Auf der Krim verteiltes Flugblatt des russischen Föderalen Sicherheitsdienstes FSB. Der Text lautet: “Bürger von Russland !!! / PATRIOTEN !!! / Obwohl der Frieden in unserem Land hergestellt wurde, gibt es noch Abschaum, der Chaos, Unordnung, Krieg will … / Und sie leben unter uns, gehen mit uns in die gleichen Geschäfte, reisen Sie mit uns in den gleichen öffentlichen Verkehrsmitteln … / Es ist möglich, dass Sie Menschen kennen, die gegen die Rückkehr der Krim nach Russland waren / Oder / die an örtlichen Maidan-Aktivitäten beteiligt waren/ Informieren Sie den FSB unverzüglich über solche Personen bei der folgenden Adresse: / Franko Boulevard 13, Simferopol / oder Telefon 37-42-76 (Sie können anonym bleiben) / Wir müssen den Faschismus beenden!” (Hervorhebung im Original)