von Wolodymyr Dubowyk – European Council on Foreign Relations – 31. Oktober 2014
Die Parlamentswahlen in der Ukraine im Oktober zeigten den eindeutigen Wunsch des ukrainischen Volkes nach Reformen, einer Bewegung des Landes in Richtung Europa und einer starken Aversion gegen die russische Aggression. Jedoch haben die verschiedenen Regionen des Landes, wie erwartet, etwas unterschiedlich gewählt. Von Anfang an war eine der größten Unsicherheiten, wie der Osten und Süden abstimmen würden.
Im ganzen Land erhielt der von Präsident Petro Poroschenko geführte Block eine deutliche Unterstützung. Dennoch lagen die Zahlen aber deutlich niedriger als Poroschenkos Ergebnis bei bei den Präsidentschaftswahlen im Mai. Der Block Poroschenko gewann von 13,48 % in der Region Luhansk bis hin zu etwas mehr als 20 % in einer Reihe von anderen Oblasten. Dies war immer noch ein gutes Ergebnis, aber nicht so beeindruckend wie bei der Persönlichkeitswahl des Präsidenten im Mai, als er 54,7 % der Stimmen erhielt.
Für den verminderten Rückhalt für den Präsidenten wurden verschiedenartige Erklärungen aufgestellt. Die Erwartungen nach seinem Sieg im Mai waren wohl zu hoch. Es gab keinen Grund zu erwarten, dass er über Nacht radikale Veränderungen liefern kann, aber manche Leute sind wohl inzwischen enttäuscht. Darüber hinaus hat dem Präsidenten bei so manchen Wählern die Tatsache geschadet, dass sie ihn als den Führer einer “Friedenspartei” betrachten – wegen des “Waffenstillstands” und des Gesetzes über die Sonderstellung für bestimmte östliche Gebiete. Dies ist vor allem im Westen des Landes der Fall, aber es gilt auch für einige Wähler im Osten und Süden. Viele waren unglücklich über die Fortsetzung der alten Art der Regierungsführung (die in erster Linie zu den Demonstrationen auf dem Maidan geführt hat) – entgegen der Wahlversprechen im Präsidentschaftswahlkampf. Reformen, Lustration, und Korruptionsbekämpfung sind die Schlüsselwörter hier – und die Leistungen des Präsidenten bei diesen Themen waren insgesamt nicht sehr überzeugend. Die Menschen erinnern sich an die Zeiten nach der Orangenen Revolution von 2004, als vielen Versprechungen wenig Action folgte. Um fair zu sein, natürlich, muss man sagen, dass der Präsident in diesen Tagen nicht die gesamte Regierung kontrolliert, aber die Wähler neigen halt immer noch dazu, sich auf seine persönlichen Fähigkeiten zu konzentrieren, Veränderungen zu bringen.
Während der Präsidentschaftsblock etwas Unterstützung verlor, gewann die Volksfront von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk mehr Stimmen als erwartet. Das Gute daran ist, dass diese beiden Parteien in vielerlei Hinsicht gleich denken, insofern sollten sie in der Lage sein, gemeinsam in der Regierung zum Wohle des Landes zu arbeiten. Jazenjuks etwas entschiedenere Haltung als “Falke” gegenüber der russischen Aggression ergab für seine Partei nicht wenige Stimmen. Viele Wähler waren mit dem Eindruck nicht einverstanden, dass Kyiw irgendwie nur im Osten Ländereien aufgegeben hat, auch wenn dies nicht ganz richtig ist – Die Regierung hat einfach erkannt, dass es im Moment unmöglich ist, die militärischen Operationen erfolgreich fortsetzen. Die stärkste Unterstützung für die Volksfront bekam sie außerhalb des Südens und Ostens. Ihr bestes Ergebnis im Süden und Osten war in Cherson, wo sie 16,14 % der Stimmen holte. In Sumy, Poltawa und Kirowograd waren es noch mehr Wähler, aber man kann sich streiten, ob diese Regionen noch als Teil des “Ostens” als solcher eingestuft werden können – die ukrainische politische Geographie ist ein wenig schwierig in diesen Tagen.
Viel Aufmerksamkeit wurde dem Stimmenanteil von politischen Kräften zuteil, die das Ancien Regime auf sich vereinigt hat: Die Überbleibsel der früheren “Partei der Regionen” die sich jetzt “Oppositionsblock” und “Starke Ukraine” nennen:. Eines ist klar: Die einst gewaltige und gefürchtete Partei der Regionen ist jetzt ein heilloses Durcheinander. Und für diese beiden Parteien war es nicht dienlich, dass einige Wähler (in den besetzten Teilen der Regionen Donezk und Luhansk) nicht abstimmen konnten. Vor den Wahlen ging man weitgehend davon aus, dass keine der beiden Parteien eine echte Chance hatte, in das neue Parlament zu kommen. Wie sich herausstellte, gewann der Oppositionsblock mehr als 5 %, die für eine Vertretung im neuen Parlament nötig sind, und die “Starke Ukraine” nicht.
Offensichtlich überzeugte der Oppostionsblock viele Wählern im Osten und Süden. Einige Leute waren nicht glücklich mit den Ereignissen auf dem Maidan oder damit ansehen zu müssen, dass “ihr Mann”, der ehemalige Präsident Wiktor Janukowytsch außer Landes geflohen ist. Viele dieser Wähler erhalten ihre Informationen und Wahrnehmungen aus den russischen Medien, die nicht gerade Fans der aktuellen ukrainischen Regierung sind. Und viele Menschen sind einfach nicht glücklich über die schwierige wirtschaftliche Situation. Sie geben der derzeitigen Regierung die Schuld und unterstützen deswegen die Opposition. Es sollte aber auch nicht vergessen werden, dass viele der Mitglieder des Oppositionsblocks durch ihr Handeln während sie an der Macht waren für diese wirtschaftlich schwierigen Zeiten direkt verantwortlich waren. Letztlich verhalf der Partei zum Wahlerfolg, dass viele ihrer Mitglieder über erhebliche politische Erfahrung und immens große Finanzmittel verfügen. Einige ihrer Kandidaten waren in ihren jeweiligen Wahlkreisen bekannt und hatten keine wirkliche Konkurrenz. Der Oppositionsblock gewann die meisten Stimme in den Regionen Donezk, Luhansk und Charkiw, in denen er jeweils mehr als 30 % Prozent der Stimmen erhielten.
Der Erfolg von “Samopomitsch” (Selbsthilfe) war besonders bemerkenswert. Diese Partei erhielt eine ziemlich starke Unterstützung in den Regionen – nicht schlecht für eine völlig neue politische Partei. Das Image ihrer Kandidaten als ehrliche, unbefleckte Neulinge in der ukrainischen politischen Szene überzeugte viele Wähler. Die meisten Stimmen erhielten sie in Lemberg und Kyiw, aber sie hatten auch im gesamten Süden und Osten Erfolg und erhielten über 5 % der Stimmen, mal abgesehen von der Region Donezk.
Oleh Ljaschkos Radikaler Partei erging es viel schlimmer als erwartet. Die meisten Stimmen errang sie in der Region Cherson, rund 9 %. Ljaschkos eklatanter Populismus und seine Demagogie gefällt den Wählern offensichtlich nicht mehr so gut. Die “Vaterlandspartei” (“Batkiwschtschyna”) von Ex-Ministerpräsidentin Julia Tymoschenko hat im ganzen Land einen ziemlich geringen Prozentsatz erreicht, auch im Osten und Süden. Die “Eiserne Lady” der ukrainischen Politik hat noch einige eingefleischte Fans, aber nicht mehr allzu viele. Ihre Glanzzeit war in der Vergangenheit. Angesichts ihrer umfangreichen politischen Erfahrung wäre es unklug sie abzuschreiben, aber die Zukunft sieht im Moment nicht allzu rosig für sie aus.
Der Autor Wolodymyr Dubowyk ist Direktor des Zentrums für Internationale Studien an der I.-I.-Mechnikow-Universität in Odesa.
Quelle: European Council on Foreign Relations
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch