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Stalin in den russischen Lehrplänen

Stalin in den russischen Lehrplänen

von Halya Coynash, Charkiwer Menschenrechtsgruppe

Im Rahmen der aktuellen Bemühungen, Stalin, den blutigen Diktator, wieder nutzbar zu machen, soll jetzt eine Rede, die er kurz nach dem Überfall Nazideutschlands auf die UdSSR hielt, in eine Liste wichtiger Quellen für den fortgeschrittenen Geschichtsunterricht aufgenommen werden.

Das russische Kultusministerium stellt eine Liste von „100 Grundlagentexten der russischen Geschichte“ zusammen, die in Schulen und Universitäten durchgenommen werden sollen. In diese Liste soll die Stalinrede aufgenommen werden. Dagegen werden andere Reden, wie zum Beispiel die „Geheimrede“ von Chruschtschow, in der dieser 1956 mit Stalin abrechnete, nicht erwähnt.

Die russische Zeitung Iswestija zitiert Michail Ipatow aus dem Ministerium mit der Behauptung, dass das Projekt helfen werde, „die Zahl geschichtlicher Konstrukte“ zu reduzieren, die „auf Meinungen und Verurteilungen basieren und so“ die Sicht auf „unsere Vergangenheit verzerren“.

Es hat seit 2007 schon einige Versuche gegeben, „den korrekten“ Zugang zur Geschichte sicherzustellen. Im Juni jenes Jahres hatte der russische Präsident Wladimir Putin russischen Lehrern gesagt, sie müssten sich mehr auf die „positiven Aspekte“ der russischen Geschichte fokussieren. Seitdem nimmt die Zahl derer, die Stalin als positiven Führer sehen, ständig zu.

Es ist jedoch nicht so, dass Stalin als solcher gepriesen würde, doch es werden die sowjetischen „Errungenschaften“ jener Periode stark herausgestellt, während Terror und Repression und die Millionen zerstörter Leben kaum oder wenig beachtet werden. Zur gleichen Zeit wird der Zugang zu sowjetischen Archiven deutlich erschwert.

Die Webseite des Ministeriums stellt keine Informationen zur Verfügung, und anderes Material kann nur erraten werden. Es erscheint wahrscheinlich, dass die Iswestija das kontroverseste Material veröffentlicht hätte und Chruschtschows Geheimrede, wie auch andere Texte erwähnt hätte.

Alle Historiker, mit denen Iswestija Verbindung aufnahm, unterstützten die Initiative. Jefim Raschewskij, vom Moskauer Bildungszentrum Zaryzino Nr. 548, sah kein Problem darin, in der Liste auch abscheuliche Figuren zu haben. „Eine normale Person kann Stalin nicht lieben, aber es ist doch interessant, was für eine Rede dieses Schwein hielt,“ versicherte er.

Raschewskijs Statement ist hinterhältig. Sogar, wenn die Hintergrundinformationen die Millionen erwähnen, die in den ersten Wochen, aufgrund von Stalins Blindheit und krimineller Inkompetenz in den ersten Wochen des Krieges, ihr Leben verloren, so wird die Rede, die Stalin am 3. Juli 1941 hielt, unvermeidlich in einem positiven Licht gesehen werden. Das ist der beabsichtigte Effekt und der macht es noch weniger wahrscheinlich, dass sich die Schüler und Studenten auf Stalins Verbrechen konzentrieren.

Es gibt in jedem Fall wenig Grund, anzunehmen, dass die Hintergrundinformationen objektiv und umfassend sind. Stalins Rede präsentiert eine Rechtfertigung des Ribbentrop-Molotow-Pakts, indem er behauptet, dieser sei nur ein Nichtangriffspakt gewesen. Das Geheime Zusatzprotokoll fügt dieser Täuschung die Lüge hinzu, denn Polen war das wirkliche Ziel der Aggression beider Länder. Anlässlich des 75. Jahrestages der Unterzeichnung dieses Pakts im Jahr 2014 reagierte Russland wütend auf jede Erwähnung der Zerstückelung Polens. Am 17. September erwähnte nur eine russische Zeitung (Nesawissimaja), dass dies der Tag war, an dem sowjetische Truppen, zusammen mit dem NKWD, das, was damals von Polen noch übrig war, an sich rissen.

Dass diese Ansprache ausgewählt wurde, bedeutet, kurz gesagt, dass damit das Schlüsselthema befestigt werden soll: Die Sowjetunion/Russland kämpfte gegen den Nazi-Faschismus und das rechtfertigt die massenhafte Repression der sogenannten „Verräter“ und feindlichen Elemente, sowie die Enteignungen und andere Maßnahmen, bevor der Krieg dann Millionen tötete.

Und all dies mit Stalins eigenen Worten, wobei er das Sowjetvolk als „Brüder und Schwestern“ ansprach.

Seriöse Historiker, die sich, sagen wir mal, mit der deutschen Geschichte des Zweiten Weltkriegs befassen, müssen Hitlers Mein Kampf lesen. Das Gleiche kann man über die Schriften und Reden von Stalin in Bezug auf die Historiker der sowjetischen Periode sagen.

Würde man irgendeine Rede Hitlers auf den Lehrplan der Schulen setzen, würde das Empörung hervorrufen. Schülern fehlt im Regelfall die Kritikfähigkeit und das historische Wissen, um irgendetwas von einer Übung mit so einem Text zu gewinnen. Gleichzeitig könnte die Aufnahme solcher Texte ohne angemessene Präsentation und Diskussion dazu führen, dass viele Schüler Stalin als nur einen weiteren langweiligen Typen sehen, der mal was gesagt hat.

Dies ist recht wahrscheinlich eines der Ziele die man mit der Aufnahme der Stalin-Rede in die Liste der wichtigsten Quellen verfolgt. In einem Land, in dem es niemals ein wahrhaft weitverbreitetes Verständnis für das Ausmaß der Stalin’schen Verbrechen gegeben hat, einem Land, das nun von einem Mann geführt wird, der den Zusammenbruch der Sowjetunion als die „größte Tragödie des zwanzigsten Jahrhunderts“ ansieht, ist das nur ein weiterer, gefährlicher Schritt zurück in die Lügen sowjetischen Stils.

Quelle: Charkiwer Menschenrechtsgruppe
Original veröffentlich am 10. Oktober 2014
Übersetzt von: Übersetzerkollektiv Euromaidan Press auf Deutsch
Bildnachweis: www.photo-finish.ru

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