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Andrej Subow: Der Leninsturz – ein Interview

Andrej Subow: Der Leninsturz – ein Interview

“Es ist klar, dass wir schon mehrere revolutionäre Know-hows haben. Das erste ist „Maidan“, die Zelte, also so eine bestimmte Lokalisierung. Das gab es in 1991, in 2004, und auch als es den Steuer-Maidan gab. Während dieser Revolution ist ein neues Know-how geboren: “der Leninsturz”. Besagt es etwas für Sie als Historiker?

Der Leninsturz [A.d.Ü.: das Umstürzen von Leninstatuen] ist mein Lieblingsthema. Ich habe alles beobachtet, was bei Euch auf dem Bessarabka-Platz und dann im ganzen Land passierte. Träume erfüllen sich, und ich habe so gehofft, dass sich dieser Sturz Lenins bis zum Pazifik erstreckt. Aber der ist nicht mal bis ans Ende der Ukraine durchgekommen, und das sagt auch vieles. In Wirklichkeit ist dieser Konflikt zwischen Russland und Ukraine nicht so sehr ein Konflikt zwischen den Russen und den Ukrainern, und sogar nicht zwischen den Interessen von zwei Staaten, sondern ein Konflikt zwischen dem Sowjetischen und dem Nicht-sowjetischen. Also ist der Leninsturz ein Beweis der Ernsthaftigkeit eurer Absichten. Bei uns in Russland sagt man auch seit 1991, seit das kommunistische Regime zusammengestürzt ist, dass man Lenin aus dem Mausoleum herausbringen sollte, dass man die Statuen stürzen sollte- aber das ist alles nur Gequatsche. Ihr seid vom Reden zum Handeln übergegangen, und das ist sehr wichtig, ruft aber auch dementsprechenden Hass hervor. Manchmal erinnert es mich an den Sturz irgendwelcher alter Idole, aber ein Idol ist nur eine Hülle, darin existiert ein Geist. Und nicht die Hüllen sind furchterregend, sondern die Geister selbst. Darum, obwohl die Idole schon gestürzt wurden, treiben die Geister nun ihr Unwesen. Wir sehen deutlich den leninistischen Nachlass des Bolschewismus, der nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Russland aktiv ist, und die russischen Menschen wahnsinnig macht. Das erinnert mich an die evangelische Geschichte, wie Christus aus einem Verrückten eine Million Geister vertrieben hatte, und diese in Schweine eingezogen sind, um sich dann ins Meer zu werfen und zu ertrinken. Und uns ist jetzt wichtig, dass diese Geister einer wahnsinnigen Vergangenheit, die so viel bei uns und bei Euch zerstört haben, uns endlich verlassen und wir anfangen können, normale Länder aufzubauen.

Wie kann man die zwei Völker befrieden, uns und die Russen?

Jetzt sind wir nicht wegen irgendwelchen prinzipiellen Sachen getrennt, sondern wegen verschiedener Beziehung zu unserer sowjetischen Vergangenheit. Putin hat das sowjetische Bewusstsein der Russen wiederbelebt, und den Maidan umgekehrt – der hatte dieses sowjetische Bewusstsein bei vielen Ukrainern unterdrückt. Bei einem schlechten Szenario kann es bei den Ukrainern wieder hochkommen, und bei einem guten – bei den Russen schnell verschwinden. Selbstverständlich muss man bestimmte globale Sachen machen: die Aggression stoppen, die Krim zurückgeben, normale wirtschaftliche Beziehungen wiederaufbauen, aber das Wichtigste- wir müssen den gleichen Bezug zu unserer Vergangenheit bekommen. Bei Euch ist Holodomor eine große Tragödie, aber für Russland doch auch: das gab es auch in Kuban, am Nordkaukasus, an der Niederwolga…. Aber in Russland ist es nicht verinnerlicht, es wird subjektiv nicht als eine Tragödie wahrgenommen. Und in diesem Sinne müssen wir zu einem gemeinsamen Verständnis der Vergangenheit kommen. Zum Beispiel, nehmen wir doch an, die UPA hat nach 1944-45 gegen den NKWD in der Ukraine gekämpft. Sind sie Helden oder Feinde? Das hängt davon ab, ob wir das Stalinregime oder das Beriaregime gut finden. Die UPA-Aktivität, bei allen für die heutige Zeit veraltenden Programmprinzipien, und der Widerstand gegenüber dem Stalinregime an sich, für die Rettung des ukrainischen Volkes, ruft Respekt hervor. Und in Russland sind ganz viele noch immer auf der Seite des NKWD und dessen Truppen, die Ukrainer und Russen töteten. Die Ukrainer haben ja dagegen gekämpft, dass der NKWD sein Unwesen in der Ukraine treibt, aber sie haben ja keine Russen getötet, wenn sie nicht vom NKWD oder dessen Helfershelfer waren. Und wenn sie diese waren, waren sie ja keine Russen mehr, sie hätten, ethnisch gesehen, alles Möglicher sein können. Also müssen wir hier zu einem gemeinsamen Nenner unserer Vergangenheit kommen.

Sie haben gesagt, daß wir uns von den historischen Dämonen in unserer Gesellschaft, in unseren Köpfen befreien müssen. Aber wir beobachten gerade, wie in Russland eine weitere moderne Dämonisierung stattfindet: Bandera, „Rechter Sektor“ usw.

Was Stepan Bandera angeht, so weiß man über sein Schicksal in Russland nichts, und etwas zu dämonisieren, wovon du keine Ahnung hast, ist ziemlich seltsam. Diese Person wurde totgeschwiegen, und mit Ausnahme des Namens, den man fehlerhaft ausspricht, hat die Mehrheit der Russen keine Ahnung, wer Bandera war, und erst recht nichts über seine Gefährten. Und der Stereotyp über die „Banderabanditen“ hat denselben Wert, wie über die „weißen Banditen“ zur sowjetischen Zeiten: über Denikin, Koltschak…. Jetzt werden Denikin militärische Ehren erwiesen, man hat ihn im Donskoi-Kloster beigesetzt, man nimmt ihn nun nicht als einen Banditen, sondern als einen Kämpfer für das befreite Russland wahr. Ungefähr so wird sich in Russland auch die Beziehung zu Bandera ändern. Jetzt versucht die Mehrheit der Medien, ein vollkommen erlogenes Stereotyp zu erschaffen. Es ist einfach, die Wahrheit zu erfahren, aber niemand will sie erfahren, und das ist das grösste Unheil”.

(übersetzt von Irina Schlegel)

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