Der Moskauer Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Alexejew: „Anhand der Informationen, die mir zugänglich sind, würde ich folgende Gründe nennen, weshalb Krim und die Ostukraine ein wichtiges Interessengebiet für Russland darstellen.
- Das Schiefergas in Slowjansk und die Erdöllagerstätten auf dem Krimschelf.
Der Abbau wurde an die amerikanischen Firmen übergeben. Es wurde geplant, in diesem beziehungsweise nächstem Jahr anzufangen. Das Vorratsvolumen ist so groß, dass sich die Ukraine in ein paar Jahren mit Kohlenwasserstoffen ausreichend versorgen könnte und zum reinen Exporteur werden würde. Als Resultat würden wir nicht nur den ukrainischen, sondern auch einen Teil des europäischen Marktes verlieren, weiter würden wir eine garantierte Gas- und Erdölpreissenkung wie auch den Risikozuwachs eines Transports durch die Ukraine erleben. Und dabei würden sogar North- und Southstream zusammen uns nicht erlauben, auf das Hauptrohr, das durch die Ukraine geht, zu verzichten. Für Russland bedeutet dieses Szenario, zusammen mit dem ökonomischen und politischen Modell, das vom Putin erschaffen wurde, einen Zerfall. Einen relativ harten Zerfall, bis zum jugoslawischen Szenario.
- Die Integration der Ukraine in die EU und ihr Austritt aus dem Einfluss Russlands, wobei es in der Ukraine ziemlich viele für Russland wichtige Verteidigungsbetriebe gibt: Juschmasch, Motor-Sitsch, Topas (Avionik) usw. Eine indirekte Bestätigung der Gewichtigkeit dieser Ursache ist die „Ausfuhr“ mancher Betriebsanlagen durch den ersten humanitären Konvoi nach Russland.
„Russische Hubschrauber schaffen es ohne die Ukraine nicht“
„An der ukrainischen „Raketennadel”. Ohne die Zusammenarbeit mit dem ukrainischen militärisch-industriellen Komplex wird das ganze ambitionierte Neuausrüstungsprogramm der russischen Armee zusammenstürzen“
„Juschmasch: Wenn Russland seine Söldner nicht zurücknimmt…“
- Das Streben des mit dem politischem Regime Russlands verbundenen Business nach einem Vorteil: nämlich eine Reihe von Betrieben in die eigenen Hände zu bekommen, im Rahmen der Privatisierung in der Ukraine. Schon damals hat man Käufer zu Janukowytsch gebracht. Die begehrten Business-Sektoren kann man ja auch anderweitig an sich reißen.
„Russland wird auf die ukrainischen Leckerbissen nicht verzichten“
Darüber, wie das russische Management die Betriebe der Ukraine in den Bankrott reißt und das wertvolle Personal aus dem Land bringt, wird unter anderem im Interview mit Frank van Kappen, einem Abgeordneten des niederländischen Parlaments und ehemaligen hochrangigen NATO-Mitarbeiter, besprochen. „Das Jackett reißt an der Naht“.
- Das Streben der Ukraine, das Gastransportsystem nicht zum Nutzen von Gasprom zu privatisieren, was an sich schon eine Gefahr für den russischen Export (zusammen mit den Bedrohungen, die unterm Punkt 1 aufgeführt wurden) darstellt.
«”Naftogas“ gibt kein Stück von der Ukraine an Russland ab»
- Die Basis der Schwarzmeerflotte
- Unmöglichkeit einer normalen Krimversorgung ohne einen Landkorridor nach Russland
Das Vorhandensein russischer Interessen in der Ukraine ist an sich eine normale Sache. Die Frage ist, welcher Methoden man sich bedient, um diese durchzusetzen. Für jedes Land, das an seine Ausbreitung orientiert ist, ist die sicherste Methode, seine Interessen durchzusetzen, der Export eines verlockenden Lebensstandards. Ein Land, das für seine Bürger eine hohe Lebensstandardqualität erschaffen hat, kann sein Gesellschaftsmodell auch der Außenwelt anbieten. Wenn dieses Modell attraktiv ist, werden die potentiellen Partner von alleine kommen. Was haben wir in die Ukraine exportiert? Das Janukowytschregime, das dem russischen Modell gleich korrupt und unfähig war, eine moderne Gesellschaft und effektive Wirtschaft aufzubauen.
Die Feststellungen des IWF
Eine Sondermission des IWF im Februar-März dieses Jahres hat festgestellt, das von den 35 Milliarden Dollar ausländischer Kreditaufnahmen, welche die Ukraine unter Janukowytsch bekommen hat, 30 Milliarden in den Offshorezonen verschwunden sind. Die Goldreserven im Wert von 20 Milliarden Dollar wurden auf direkte Art und Weise gestohlen. Insgesamt wurden während der Regierungszeit Janukowytschs 70 Milliarden Dollar aus dem ukrainischen Finanzsystem herausgeholt. Dabei betrug die Auslandsverschuldung der Ukraine zum 1. Januar dieses Jahres 75 Milliarden Dollar.
(Die Zahlen habe ich jetzt aus dem Gedächtnis zitiert, unbedeutende Abweichungen sind möglich).
Der Zustand von Putin
Die Art, wie Russland seine Interessen in der Ukraine weiter durchsetzte, wird in vielem durch die Lagebeurteilung unseres Präsidenten diktiert. Es gibt Gründe anzunehmen, das die Lagebeurteilung und die Handlungsweise unseres Präsidenten inadäquat sind.
Zur Frage über die psychische Gesundheit Putins
Belkowskij über das paranoide Bewusstsein Putins
Das Hauptproblem hier ist damit verbunden, dass der Mensch mit so einem Bewusstsein keine schwierigen Prozesse in den Umgebungsereignissen sieht, die durch eine Kombination an kausaler Wirkungszusammenhänge bedingt sind, sondern komplizierte Verschwörungsszenarien gegen sich selbst aufstellt. Die Verschwörungen gegen sich selbst werden dabei als Verschwörungen gegen das Land und umgekehrt aufgefasst. Wenn man Putins Auftritten genau zuhört, kann man verstehen, dass seine ganze Handlungsmotivation mit der Angst vor einer Verschwörung seitens der USA und der NATO durchtränkt ist.
Wurde Russland betrogen?
Angeblich hat man vor der Wiedervereinigung Deutschlands dem [damaligen Präsidenten] Gorbatschow Garantien gegeben, dass die NATO nach Osten nicht vordringen wird. Später wurde dieses Versprechen gebrochen. Die Politik von der USA und der NATO ist darauf ausgerichtet, Russland zu vernichten, darum kommen sie allmählich immer näher an unsere Grenzen.
Weder Gorbatschow selbst noch andere Teilnehmer der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands, so oft sie auch gefragt wurden, können sich an ein Versprechen der NATO, sich nach Osten nicht zu erweitern, erinnern.
Mehr noch, in den 90ern hat sich Russland direkt damit einverstanden erklärt, dass manche der ehemaligen UdSSR-Republiken und Warschauer Pakt-Länder der NATO beitreten, unter der Bedingung keiner Wehrentwicklung und keiner Atomwaffenstationierung auf dem Territorium jeweiliger Länder. Näheres dazu gibt es im genannten Interview mit van Kappen.
Verschwörungstheorien …
Zurück zur Ukraine: hier kann man sich an das Treffen Putins mit den jungen Aktivisten auf dem Forum „Seliger 2014“ erinnern, wo unser Präsident den Grund seiner Handlungen in der Ukraine erklärte:
„Was auch immer jemand sagt, und wir hier verstehen es ja, es gibt ja hier keine Dummen! Wir haben doch diese symbolischen Kekse, die am Maidan verteilt wurden, gesehen. Die Infounterstützung, die politische Unterstützung. Was bedeutet das? Eine vollkommene Involvierung der USA und der europäischen Länder in diesen Regierungswechselprozess, einen gewaltsamen, verfassungswidrigen Regierungswechsel“ (Quelle).
Eine äußerst aufschlussreiche Erklärung. Putin kann noch nicht mal annehmen, dass Menschen wegen der eigenen Notlage, wie auch der Notlage ihres Landes, wegen der absoluten Abwesenheit jeglicher Perspektiven im Entwicklungsmodell, das ihnen von Russland aufgezwungen wurde, auf den Maidan herausgekommen sind. Und darum sieht er in den US-Aussenministeriumskeksen am Maidan nur die Fortsetzung derselben globalen Verschwörung gegen Russland und gegen sich selbst persönlich, nimmt es als einen durch die westlichen Geheimdienste bewusst inspirierten Putsch wahr. Und antwortet auf die gleiche Art und Weise. Wenn die USA in den Irak eindringen und Jugoslawien bombardieren durfte, und auch die bunten Revolutionen organisierte, so werden wir nun genau so antworten, in dem Einflussbereich, den wir seit jeher als unseren eigenen wahrnehmen.
Dabei ist er sich der realen Lage in Russland nicht bewusst: der schweren Systemkrise, in die er Russland treibt; der Schwäche unserer Streitkräfte; der Abhängigkeit vom Westen in allen wichtigen Wirtschaftsbelangen, von Technologien bis zum wichtigsten Einnahmeposten des Staatsbudgets – dem Kohlenwasserstoffeexport. Und auf die US-Kekse antwortet er zuerst mit den höflichen „grünen Männchen“ auf der Krim, dann mit dem Terroristenexport in den Donbas, und später – mit den Panzern und mit den Unterabteilungen der regulären Armee im Donbas. Dabei kommt er sich selbst so groß und raffiniert vor, dass er sich seines Endsieges sicher ist, überzeugt davon, dass er alle überlisten und übers Ohr hauen wird.
Und in derselben Zeit wird er als ein alternder Diktator wahrgenommen, der zum Machverlust in den nächsten Jahren verdammt ist, diese Macht aber nicht selbst abgeben wollen wird“.
übersetzt von Irina Schlegel