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Brief von Ao. o. Univ. Prof. Dr. Michael Moser an Bundespräsident Dr. Heinz Fischer

Brief von Ao. o. Univ. Prof. Dr. Michael Moser an Bundespräsident Dr. Heinz Fischer
Betreff: Besuch Präsident Vladimir Putins in Wien

Sehr geehrter Herr Bundespräsident!

Gestatten Sie mir als einfachem österreichischem Staatsbürger, ein paar offene Worte an Sie zu richten. Letzte Woche hat das offizielle Österreich Vladimir Putin, den Präsidenten der Russischen Föderation, in Wien willkommen geheißen und in allen Ehren empfangen.

Man konnte während dieses Besuchs hören, dass die Mentalität der Österreicher und Russen sehr ähnlich sei, so ja auch von Ihnen.

Das wäre alles schön und gut, wenn nicht Herr Putin in diesem Jahr die europäische Grundidee erschüttert hätte: Man überfällt nicht einfach einen anderen Staat. Man annektiert nicht ein Territorium dieses Staates. Man terrorisiert nicht die Randgebiete dieses Staates, indem man nicht nur Separatisten heranzüchtet und dirigiert, sondern sie auch noch mit hauseigenen Söldnern und Militärgerät verstärkt. Man drängt nicht auf Waffenstillstände, erreicht sie auch und schickt zur gleichen Zeit Panzer. All das tut man einfach nicht.

Herr Putin aber hat all das getan und tut es nach wie vor.

Während all dies abläuft, wird er in Wien sogar mit Standing ovations bedacht.

Wenig später wird auch noch bekannt, dass Herr Siegfried Wolf neuer ÖIAG-Präsident wird. Herr Wolf ist jener Mann, der sich gerade in einer Zeit, in der sich Herr Putin geradezu unmöglich benimmt (vor laufenden Kameras hat er einen Krieg empfohlen, in dem die Aggressoren Frauen und Kinder als Schilde benützen). Er hat sich mehrfach hervorgetan als jemand, der Putin geradezu offensiv verteidigt. Herr Wolf ist Putins Vertrauter.

Hat die politische Führung Österreichs eigentlich vernommen, welche Botschaft Herr Putin in diesem Jahr mehrfach ausgegeben hat?

Sie lautet im Kern wie folgt: „Wir holen unsere Volksgenossen heim ins Reich!“ (Russen oder Russischsprachige, das wird bewusst unklar gehalten.)

Um seine in jeder Hinsicht fragwürdige Politik zu rechtfertigen, hat Putins Propagandamaschine schier unglaubliche Lügenkonstrukte produziert.

Wie internationale Organisationen mehrfach bestätigt haben, werden weder Russen noch Russischsprachige in der Ukraine in irgendeiner Weise diskriminiert. Auf der Krim, die Autonomiestatus genoss, gab es zum Zeitpunkt der Annexion kaum irgendwelche ukrainische Schulen und die russischsprachigen Medien waren allgegenwärtig. Das Russische wird in der Ukraine seit dem Jahr 1989 geschützt, u.a. auch durch die Verfassung der Ukraine. Lassen Sie bitte die zuständigen Behörden bei kompetenten Organisationen nachfragen, wie es heute den Ukrainern und den Krimtataren ergeht, nach der russischen Besetzung der Krim!

Einer der Gründe für die russische Aggression war ja die angebliche Aufhebung des Sprachengesetzes aus dem Jahr 2012. Über dieses Sprachengesetz habe ich ein ganzes Buch geschrieben: Michael Moser, Language Policy and the Discourse on Languages in Ukraine under President Viktor Yanukovych (25 February 2010–28 October 2012). (Soviet and Post-Soviet Politics and Society, vol. 122). Stuttgart: ibidem-Verlag 2013. Hardcover and paperback).

Auch ohne dieses äußerst dubiose Sprachengesetz, dessen Implementierung sowohl von der OSZE als auch von der Venedigkommission ausdrücklich nicht empfohlen wurde, wird das Russische in der Ukraine sehr gut geschützt. Internationale Monitorings haben schon vor dem Jahr 2012 mehrfach bestätigt, dass die Bedürfnisse der Russischsprachigen in der Ukraine weitgehend ausgezeichnet erfüllt werden. Herrn Putins Aggressionspolitik und sein Terror gegenüber einem europäischen Nachbarland sind durch absolut nichts zu rechtfertigen.

Der russischen Propaganda sind ja zuletzt schon alle Mittel recht geworden – die österreichischen Medien haben die russischen Propagandalügen häufig unbeschaut übernommen. So hat man zum Zeitpunkt der Majdan-Protestbewegung nicht einmal davor zurückgescheut, Nachrichten von antisemitischen Pogromen in Kyjiv zu verbreiten, was dann freilich prompt von internationalen jüdischen Organisationen zurückgewiesen wurde. Damit haben Herr Putin und sein Apparat einen weiteren Grundkonsens der internationalen Gemeinschaft außer Kraft gesetzt: Man missbraucht nicht das historische Leid des Judentums für eine zynische Machtpolitik.

Statt Herrn Putin mit Sanktionen einzuschränken, hat man ihn nun also in Wien hofiert und Geschäfte mit ihm gemacht.

Die letzte Woche war ein absoluter Tiefpunkt in der Geschichte meines Heimatlandes, der Republik Österreich.

Das haben im Übrigen viele so wahrgenommen, ganz besonders Millionen von Ukrainerinnen und Ukrainern, die ihre Einstellung gegenüber Österreich besonders grundlegend revidiert haben und sich vom offiziellen Österreich verraten fühlen.

Sie warten auf eine Erklärung der jüngsten Ereignisse.

Mit Hochachtung

Michael Moser

Ao. o. Univ. Prof. Dr. Michael Moser

Institut für Slawistik

Spitalgasse 2-4, Hof 3

A-1090 Wien

Präsident der Internationalen Ukrainistenvereinigung

Ursprünglich veröffentlicht auf: Facebook

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