von Jewhen Sacharow (Yevhen Zakharov), Charkiwer Menschenrechtsgruppe
19.4.2014; Übersetzung aus dem Englischen
Als Folge der Besetzung der Krim kamen von März bis Mai mehr als 10.000 Krimtataren in die Festland-Ukraine, und die Zahl dieser Zwangsvertriebenen steigt. Letzte Woche (8.-15. Juni) kamen Zehntausende von Menschen aus dem Donbas nach Charkiw, Dnipropetrowsk, Odesa, Cherson und in andere regionale Zentren im Osten des Landes, nachdem sie ihre Häuser in den Zonen der Militäreinsätzen aus Angst um ihr Leben fluchtartig hatten verlassen müssen.
Diese Kategorie von Menschen werden im internationalen Recht als “Inlandsflüchtlinge” [IDP – internally displaced people] bezeichnet. Die Probleme, für die Inlandsflüchtlinge Unterkunft, soziale, medizinische und andere Hilfeleistungen bereitzustellen, werden derzeit sowohl von zivilgesellschaftlichen Organisationen und informellen Gruppen der Öffentlichkeit, als auch von Städten und lokalen Selbstverwaltungen gelöst. Es gibt unterschiedliche Ebenen der Koordination für diese Hilfe, nach den bisherigen Erfahrungen ist es jedoch möglich, die wichtigsten Bedürfnisse der Inlandsflüchtlinge zu formulieren. Dies sind in erster Linie Unterkunft, Lebensmittel, Kleidung, Medizin und medizinische Versorgung sowie Hilfen bei der Arbeitssuche. All diese Arbeiten werden auf freiwilliger Basis durchgeführt. Manchmal gibt es eine Notwendigkeit für eine direkte finanzielle Unterstützung, da es jedoch nicht immer möglich ist, den tatsächlichen Bedarf dafür festzustellen, versuchen die Freiwilligen, solche Situationen zu vermeiden, und bieten Hilfe in Form von Sachleistungen und nicht Geldzahlung an. Nachstehend beschreiben wir einige der Gruppen von Freiwilligen und geben Informationen über die Ergebnisse ihrer Arbeit.
Die erste systematische Hilfe für Inlandsflüchtlinge begann in Lwiw (Lemberg), wo mehr als dreitausend Flüchtlinge von der Krim, vor allem Krimtataren, empfangen wurden. Dies wurde von der Künstlervereinigung “Dzyga ‘durchgeführt.
In Kyiw vereinigten sich eine Reihe von Gruppen und Organisationen, die während des EuroMaidan aktiv waren, für die Hilfe für Inlandsflüchtlinge, z.B. die “Hundertschaft der Freiwilligen”, Wostok- [Osten-] SOS, das Krankenhaus Nr. 17, das Maidan- Rehabilitationszentrum, Ruslana und der Ruslana-Lyzhychko-Fonds, das Koordinierungszentrum für Vertriebene; das “Schwadron der Guten” usw. Hier wurde die Arbeit aller Gruppen von Freiwilligen bei der Evakuierung von Menschen aus dem Donbas beteiligten Organisationen (von 10 bis 800 Inlandsflüchtlinge jeweils) koordiniert. Für sie wurden dann gemeinsame Unterkünfte in Hostels vorgesehen, in ehemaligen Pionierlagern, Pensionaten usw. Für jeden dieser Orte wurde ein Koordinator ernannt, als für die Lösung aller Probleme verantwortliche Person. Eine Lagermöglichkeit für die Entgegennahme humanitärer Hilfesleistungen wie Medizin, Alltagstechnik, nicht verderbliche Lebensmittel u.ä. wurde eingerichtet, medizinische und psychologische Unterstützung sowie Unterhaltung für Kinder zur Verfügung gestellt.
Gerade in der letzten Woche wurden an die 300.000 UAH gesammelt. Die Gruppe verfügt über eine geschlossene Facebook-Seite und eine Telefonhotline – 091 352 94 52.
In Charkiw gibt es einen informellen Zusammenschluss von ehrenamtlichen Gruppen, die alle Aktivitäten mit der regionalen staatlichen Verwaltung koordiniert. Dazu gehört das Telesense-Zentrum; eine Hochschule für Computertechnologie; mehrere Programmierer-Teams; die Charkiwer Menschenrechtsgruppe und andere Gruppen. Eine Website wurde eröffnet: www.keepua.org, für die Kommunikation und für die Lösung der Probleme der Inlandsflüchtlinge – Bereitstellung von Unterkünften; Lebensmitteln; Kleidung; Hilfe bei der Arbeitssuche; medizinische und juristische Hilfe; usw. Eine Besonderheit ist, dass 20.000 Schulabgänger der Schulen im Donbas nach Charkiw kommen werden, um die externen Prüfungen (ZNO) abzulegen – planmäßig in einer Woche. Die Menschen werden hauptsächlich außerhalb der Stadt Charkiw in ehemaligen Pionierlagern und Pensionaten untergebracht.
In Dnipropetrowsk wird die Hilfe für Inlandsflüchtlinge vom “Nationalen Verteidigungshauptquartier” koordiniert, das vom lokalen EuroMaidan geschaffen wurde. Diese Organisation befindet sich in ständigem Kontakt mit der regionalen staatlichen Verwaltung. Hier gibt es praktisch keine Orte, wo Menschen in Gruppen untergebracht werden können, und die Freiwilligen besprechen sich direkt mit jeder Familie von Inlandsflüchtlingen, die um Hilfe bittet. Die Hotline-Nummer ist 067 698 65 64.
Es gibt entsprechende Verbände in anderen Städten (Odesa, Cherson; Kirowohrad und andere) die auf ähnliche Weise wie oben beschrieben aktiv sind.
Die Komponenten der Hilfe für Inlandsflüchtlinge sind überall die aktive Teilnahme von Freiwilligen; Registrierung der Neuankömmlinge; die Schaffung einer Lagerungsmöglichkeit, wohin die Anwohner die humanitäre Hilfe bringen (Essen, das nicht in einem Kühlschrank aufbewahrt werden muss, Kleidung, Haushaltsbedarf wie Zahnbürsten, Seife, Produkte der persönlichen Hygiene usw., Medizin, Alltagstechnik, etc.); Geldsammlung und Bedarfsberechnung; öffentliche Rechenschaftslegung für die Ausgaben.
Es besteht ein dringender Bedarf für den Erlass eines Gesetzes über Inlandsflüchtlinge, da es kaum möglich ist, die Probleme der Binnenvertriebenen, deren Anzahl sich vermutlich noch erhöhen wird, nur durch ehrenamtlichen Einsatz alleine zu lösen. Auch wenn die Antiterroroperation erfolgreich beendet wird und die Inlandsflüchtlinge aus dem Donbas nach Hause zurückkehren können, bevor die kalte Jahreszeit beginnt, wird der Strom von Menschen aus der Krim nur größer werden. Ein Gesetzentwurf, der von der Charkiwer Menschenrechtsgruppe entworfen und zweimal von der Öffentlichkeit diskutiert wurde – in der Geschäftsstelle der Ombudsfrau für Menschenrechte und im Kyiwer Büro des UNHCR, wurde von den Abgeordneten Serhiy Soboljew, Walerij Patzkan und Wolodymyr Arjew am 17. Juni im Parlament eingebracht.
Quelle: http://khpg.org.ua/index.php?id=1403190364