Russische Intellektuelle fordern das staatliche Fernsehen auf, Unwahrheiten in der Ukraine-Berichterstattung zuzugeben
Von Anna Dolgow, The Moscow Times 24. Oktober 2014
Titel: Pro-russische Rebellen auf einem Panzer gehen in der Nähe des Internationalen Sergej-Prokofjew-Flughafens Donezk in Stellung, 4. Oktober 2014. Foto: Shamil Zhumatov / Reuters
Ein Kongress von russischen Intellektuellen hat an den Leiter des staatlichen Fernsehprogramms Erster Kanal appelliert, die “Falschmeldungen” in der Berichterstattung über die Ukraine zu korrigieren und macht den Sender verantwortlich für den Tod von jungen Russen, die dadurch animiert wurden, in den Kampf zu gehen.
Der Kongress wandte sich den den Chef des 1. Kanals, Konstantin Ernst mit der Forderung, ein Eingeständnis zumindest einiger der Erfindungen seines Programms sowie eine Verpflichtungserklärung abzugeben, die von Moskau offiziell unterstützt wird, und so dazu beizutragen, der Gewalt im Osten der Ukraine ein Ende zu setzen, heißt es einem offenen Brief am Montag auf ihrer Website der Konferenz.
“Es ist für niemanden ein Geheimnis, dass führende russische Fernsehunternehmen auf verschiedene Arten von Falschmeldungen bei der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine zurückgreifen,” heißt es in dem Brief. “Alle Autoren solcher Fälschungen teilen sich die Verantwortung für das Blut, das in dem Bruderland vergossen wird.”
“Eine der tragischen Folgen der Verbreitung von Desinformationen ist der Wunsch von vielen Hunderten tapferer Idealisten aus unserem Land, meist jungen Menschen, sofort in den Donbas zu eilen und sich unterschiedlichen bewaffneten Einheiten anzuschließen, um friedliche Zivilisten gegen die angeblichen Bedrohungen von Völkermord und Terror zu schützen,” geht der Brief weiter. Donbas, die Abkürzung für das Donezk-Becken, ist eine gebräuchliche Bezeichnung für die ostukrainische Region Donezk und Umgebung.
Der Brief, der Anfang der Woche vom Kongress der “Intelligentsia gegen den Krieg, die Selbstisolierung Russlands und die Wiederherstellung des Totalitarismus” verabschiedet wurde, erschien inmitten von Berichten über eine Vielzahl von russischen Männern, die im Osten der Ukraine kämpfen und getötet wurden.
Die Russin Schanna Salogina, deren 18-jähriger Sohn vor kurzem in der Ukraine getötet wurde, sagte der RFE/RL-Nachrichtenagentur in einem am Donnerstag veröffentlichten Interview, dass der junge Mann durch “falsche Informationen” in den Nachrichten der staatlichen Medien in den Krieg getrieben worden sei.
“Er sagte, es täte ihm weh zu sehen, was sie in den Nachrichten zeigten, Kinder und Mütter getötet, Menschen, die Hilfe brauchen”, wurde Salogina zitiert. “Er wollte helfen, deswegen ging er dorthin.”
In einer Nachrichtensendung, die sofort Einwände von einigen Oppositionspolitikern und Journalisten hervorrief, hatte der 1. Kanal im Sommer einen angeblichen Augenzeugenbericht ausgestrahlt, demzufolge ein dreijähriger Junge vom ukrainischen Militär gefoltert und gekreuzigt wurde.
Ein anderer wichtiger staatlicher Sender, Rossija, benutzte Filmmaterial aus seinem eigenen Bericht von 2012 über eine Schießerei im Nordkaukasus als Beweis für aktuelle Gewalttaten gegen russischsprachige Einwohner in der Ukraine.
Wenngleich einige russische Persönlichkeiten ihrer Empörung über die Kreuzigung Anspruch öffentlichen Ausdruck gaben, hat der 1. Kanal nie irgendwelche Ungenauigkeiten in dem Bericht zugestanden, den der Kongress der Intelligentsia als “eines der erschreckendsten Beispiele für solche Falschmeldungen herausgegriffen hatte und der zu einem Symbol des Terrors umgewandelt wurde.”
“Wir appellieren an Sie, sich zumindest insoweit ein reines Gewissen für die Mitarbeiter von Kanal 1 und für sie selbst zu verschaffen, indem Sie wenigstens teilweise die Schuld an dieser Lüge übernehmen,” hieß es im Offenen Brief an den Chef des Senders.
Die russischen Kämpfer im Osten der Ukraine sind Berufssoldaten, von denen Moskau beharrlich behauptet, sie hätten sich dem Kampf als “Freiwillige” auf Urlaub von ihren regulären Pflichten in der Armee angeschlossen, sowie eine Reihe von Nationalisten, Bürgerwehrkämpfer und Idealisten, die in die Ukraine gereist seien, nachdem sie in den Sozialen Medien rekrutiert worden waren. Salogina, die Frau, deren Sohn in der Ukraine getötet wurde, sagte RFE / RL, er sei online rekrutiert worden.
Der Kongress der Intelligentsia appellierte an Konstantin Ernst, eine interne Untersuchung einzuleiten über die “Gründe für vorsätzliche Unwahrheiten, die ihren Weg in die Nachrichtensendungen finden” und das Versäumnis des Senders, die “Täuschung” zuzugestehen, gerade nachdem er öffentliche Empörung verursacht hatte.
Kanal Rossija wurde ebenfalls aufgefordert, ihre Nutzung falsch zugeordneter Hintergrundbilder zu korrigieren. Als die Fälschung aufgedeckt worden war, wischte der Chef der regierungseigenen Medien-Holding, zu der Rossija gehört, dies als “zufälligen Fehler” weg.
Autor: Anna Dolgow
Quelle: The Moscow Times 24. Oktober 2014
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch