Die jüngsten Entwicklungen in Russland und auf der Krim lassen vermuten, dass die Kreml-Strategen aus den wachsenden Ängsten im Westen vor dem ‘Islamischen Staat’ und den ‘radikalen Muslimen’ Kapital schlagen wollen. Der Trick hat bereits in der Vergangenheit funktioniert, als führende westliche Politiker bereit waren, ihre Augen vor den Methoden des russischen Staates zu verschließen – beispielsweise als Russland im Namen des angeblich gemeinsamen Kampfs “gegen den Terrorismus” gegen die tschetschenischen Rebellen vorging. In Bezug auf die Krimtataren ist diese Manipulation jedoch noch offensichtlicher: der erfundene “Extremismus”-Vorwurf dient als Waffe der Unterdrückung – und die Gefahren sind immens.
Es ist kein Zufall, dass die angekündigte Anklage des russischen Justizministeriums gegen die renommierte Menschenrechtsorganisation Memorial zeitlich zusammenfiel mit einer diffamierenden Fernsehsendung, in der behauptet wurde, die Organisation hätte Hand in Hand mit Terroristen und Radikalen gearbeitet, die jetzt für den “Islamischen Staat” kämpfen.
Über ähnlich skurrile Berichte in den russischen Medien wurde nun versucht, die Krimtataren als “radikale Muslime” darzustellen, die eine Welle der Gewalt auf der Krim entfesseln könnten – auch wenn dabei keinerlei harte Fakten geliefert wurden.
Russland und seine Marionettenregierung auf der Krim verschwendeten keine Zeit, um repressive Maßnahmen gegen die Krimtataren, ethnischen Ukrainer und alle Gegner der russischen Besatzung einzuleiten. Es kam zu bewaffneten Durchsuchungen von Häusern, Moscheen und Religionsschulen der Krimtataren; Verwarnungen wegen angeblichen “Extremismus” gegen die Krimtataren-Zeitung Avdet, den einzigen Krimtataren-Fernsehsender ATR, sowie gegen den Medschlis des krimtatarischen Volks (Repräsentativorgan der Krimtataren) und dessen Vorsitzenden Refat Tschubarow. Zusammen mit dem erfahrenen krimtatarischen Politiker Mustafa Dschemiljew ist Tschubarow jetzt aus seiner Heimat verbannt.
Aus dem Exil haben sie die neueste Welle des Terrors beobachtet: Vier junge Krimtataren wurden entführt oder sind “verschwunden”. Einer – Edem Asanow – wurde am vergangenen Montag unter Umständen tot aufgefunden, die nur den Behörden zufolge unverdächtig sind.
Nach Ansicht von Ali Chamsin vom Medschlis entwickeln sich die Ereignisse auf der Krim nach dem “tschetschenischen Szenario”. Er erinnert daran, dass es zu Beginn der bewaffneten Konflikte in Tschetschenien und anderen Teilen des Kaukasus Entführungen und Fälle von “Verschwindenlassen” gab, in den Medien Vorwürfe über die angebliche Radikalisierung und die Bildung von bewaffnete Kampfgruppen erschienen, und die russischen Vollzugsbehörden als Folge dann aktive Maßnahmen gegen bestimmte Gruppen ergriffen.
Am 8. Oktober erschien ein besonders finsterer Artikel mit der Überschrift “Islamisten auf der Krim bereiten etwas vor” in der russischen Zeitung Nesawissimaja. Der Artikel beginnt mit den Worten: “Durch den Krieg in Syrien und in Noworossija ausgebildete Kämpfer versammeln sich an den Grenzen der Halbinsel.”
Der Autor Wladimir Muchin behauptet dann weiter, die ukrainischen Behörden hätten beschlossen, “den brüchingen Waffenstillstand im Südosten des Landes zu nutzen, um zusammen mit radikalen Islamisten Störungen auf der Krim vorzubereiten”. Der Autor stützt diese Behauptung auf Berichte aus “verschiedenen unabhängigen Quellen”.
“Die russischen Behörden nehmen solche Meldungen nach Beurteilung der Gesamtumstände ernst. Die Medien berichten über einer erneuten Anstieg von Durchsuchungen und Verhaftungen von Mitgliedern der radikal-islamischen Organisationen, die nach wie vor ihren illegalen Aktivitäten auf der Krim nachgehen. Doch Moskau ist derzeit nicht in der Lage, um die größte Bedrohung anzugehen – krimtatarische Kämpfer in der Ukraine.”
Nicht eine solche Festnahme wurde berichtet,
Die Natur der “Quellen” des Autors wird bald deutlich. Eine davon ist Ruslan Saitwaljew, der Chef des neu geschaffenen und höchst umstrittenen Tauridischen Muftiats. Wenige Tage nach der “Gründung” des neuen Muftiats gab Saitwaljew einer russischen Zeitung ein Interview, in dem er behauptete, dass die meisten Moscheen auf der Krim von Anhängern des “nicht-traditionellen Islam”, und zwar “Wahhabiten” oder Mitgliedern der in Russland verbotenen “Hizb ul-Takhrir” geführt werden.
Die Geistliche Direktion der Muslime der Krim war über diesen provokativen Unsinn empört und verlangte eine Erklärung vom Obermufti von Russland, der eine wichtige Rolle bei der Schaffung des neuen Muftiats gespielt hatte.
Ob daraufhin eine Antwort kam, ist nicht bekannt, aber die Gründe für solche weit hergeholten Falschbehauptungen werden immer deutlicher. Nach Angaben des Autors hat Saitwaljew erneut in sozialen Netzwerken behauptet, diese “Wahhabiten” und Mitglieder der “Hizb ul-Takhrir” hätten zum Krieg auf der Krim aufgerufen.
Der Autor zitiert Igor Drus, einen der vom Kreml unterstützten Militanten der selbsternannten Donezker Volksrepublik, der behauptet, dass Kämpfergruppen für den Einsatz auf der Halbinsel aus Krimtataren gebildet wurden, die zuvor in Syrien gekämpf haben. Letztere werden angeblich in einem SBU- [ukrainischer Sicherheitsdienst] Stützpunkt ausgebildet.
“Er glaubt, dass im Laufe der subversiven Aktionen wichtige Teile der Infrastruktur, darunter auch Eisenbahnknotenpunkte und Bahnhöfe, zerstört werden könnten. Doch das Hauptziel der Kämpfer, sagt Igor Drus, sei es, “eine Revolte anzuzetteln”. Der Sekretär des russischen Sicherheitsrates Nikolai Patruschew möchte ein solches Szenario auch nicht ausschließen, wie er Ende September zu Kollegen aus den GUS-Staaten sagte.”
Nach anderen ungenannten Quellen gibt es zwei Rekrutierungsstellen für die Muslime Die gibt es auch tatsächlich, wobei es natürlich sowohl diejenigen . Wir haben ein paar von denen getroffen, und Videointerviews erstellt. Muss mich im Süden der Ukraine, während ebenso namenlosen Experten sagen, “die größte Gefahr für Russland ist in Dnipropetrowsk konzentriert”. Diese wird, so heißt es, wird von einer Umgruppierung des Krimtataren-Freiwilligen-Bataillons “Krym” ausgehen, das der Autor als ein “besonderes Bataillon, in dem islamische Kämpfer sind,” bezeichnet. Wenig überraschend wird der Hauptfeind der russischen Medien, der Dnipropetrowsker Gouverneur Ihor Kolomojskyj, nicht nur als Finanzier des Bataillons sondern jetzt auch noch mit der Erhöhung der Anzahl der Kämpfer durch den ständig verunglimpfte nationalistischen “Rechten Sektor” genannt. Neue Aufgabe des Bataillons, behauptet der Autor, sei die Durchführung von subversiven Aktionen auf der Krim.
Damit die Leser nicht mit ihrer Angst alleine gelassen werden, hat der Autor auch Worte der Beruhigung: Russlands Sicherheitsdienst und Militär haben es bemerkt und sind darauf vorbereitet, zusammen mit denjenigen Kräfte vorzugehen, die früher in der Ukraine Kräfte des Innenministeriums waren und nun umgruppiert und durch “Anwohner” ergänzt wurden. Diese verfügen “über eine gute Beherrschung der Situation und Fähigkeiten zur Bekämpfung von Aufständischen aus der Zeit des Kyiwer Maidan”. Die paramilitärischen Einheiten der sogenannten “Selbstverteidigung”, auf die hier eindeutig Bezug genommen wird, werden für zahlreiche gewalttätige Übergriffe und Entführungen in den letzten acht Monaten verantwortlich gemacht. Es gibt Videoaufnahmen, die zeigen, dass sie hinter der Entführung des Krimtataren Reschat Ametow stehen, dessen verstümmelte Leiche am 16. März aufgefunden wurde.
Im September drohte Sergej Aksjonow, der nach der am 27. Februar erfolgten Besetzung von Regierungsgebäuden durch russische Soldaten mit vorgehaltener Waffe installierte “Ministerpräsident”, mit Deportation oder strafrechtlicher Verfolgung für alle, die “inter-ethnische Konflikte” schüren – er meint damit alle, die die russische Besatzung nicht anerkennen wollen. Diese Ankündigung wurde auf geradezu unheimliche Weise durch die Entführung und das “Verschwinden” der vier jungen Männer innerhalb von etwas mehr als einer Woche und durch solche Artikel bekräftigt.
Das Ziel ist auch klar: So viele Krimtataren wie nur möglich einzuschüchtern, damit sie sich unterwerfen, und die anderen zu zwingen, auf das ukrainische Festland zu fliehen. Sowohl Mustafa Dschemiljew und der Medschlis haben die Krimtataren aufgerufen, in ihrer Heimat zu bleiben. Sie haben sich auch wiederholt mit Aufrufen an die westlichen Länder gewandt und um Beachtung der Situation der Krimtataren gebeten. Der Westen war langsam, ernstzunehmende Maßnahmen gegen Russland zu ergreifen, und schickt sich nun zunehmend zu einer Lockerung der Sanktionen an, weil doch Russland sein Engagement im Osten der Ukraine zurückfahre. Im Licht der Behandlung, denen sich die Krimtataren – und andere auf der Krim, die sich der russischen Besatzung zu widersetzen wagen – ausgesetzt sehen, würde eine solche Bereitschaft, Russlands Annexion der Krim effektiv zu akzeptieren, nicht nur eine geopolitische Schwäche sondern den moralischen Bankrott offenbaren.
Titelfoto: Ein Militärhubschrauber kreist über der Kundgebung anlässlich des 70. Jahrestages der Deportation der Krimtataren. Zwei Tage vor dem Jahrestag verbot die Besatzungsregierung alle Veranstaltungen, und Soldaten und Polizisten wurden eingesetzt, um jede Menschenansammlung im Zentrum von Simferopol zu verhindern (Foto: Radio Swoboda, Krim)