Professor Lorenz Haag gibt russischen Medien ständig Kommentare. Allerdings kennt man in Deutschland keinen solchen Experten.
Alles begann mit einem Post von Dmitryj Chmelnicki, eines Historikers, der in Berlin lebt und einige Bücher über die Stalin-Zeit geschrieben hat, auf seiner Facebook-Seite:
“Zur Frage nach Putins Agenten in Deutschland. Professor Lorenz Haag, Leiter der Agentur für Globale Kommunikation, existiert nur in der Einbildung der Korrespondenten von ITAR-TASS, denen er regelmäßig und seit Jahren Interviews gibt und in seiner Rolle als “deutscher Experte” Putin lobt. In Deutschland gibt es einen solchen Professor nicht. Und eine solche Agentur gibt es nicht.”
Der Blogger Pavel Gnilorybov hat sich die Aussagen von Lorenz Haag in den russischen Medien genauer angeschaut:
“Die vaterländischen Medien hatten immer Probleme mit ausländischen Sprechern. Unsere singen ja immer Hosianna angesichts jeder Neuerung; aber wie findet man einen Sonderling im Ausland, der alle Handlungen der russischen Seite gutheißt?”
Die Sowjetunion hat die Freunde in aller Welt gefüttert, deswegen konnte das Fernsehen immer das nötige Bild zeigen. Die Mitarbeiter von ITAR-TASS haben ein Vabanquespiel begonnen, sich einen deutschen Professor einschließlich seiner Biographie und Ämter ausgedacht. Sieben Jahre lang, seit 2007, hat der wunderbar lächelnde Lorenz Haag Journalisten “Kommentare gegeben”.
Die Sache hat allerdings einen kleinen Schönheitsfehler: Sobald man anfängt, den lieben Freund des zeitgenössischen Russlands zu googeln, findet man seinen Namen nirgends – außer auf ein paar russischsprachigen Seiten. Eine Seifenblase. Eine Fiktion. Ein Prophet Samuel, der auf die Fragen des Publikums antwortet.
In allen Artikeln von ITAR-TASS wird Lorenz Haag als Vorsitzender der Agentur für Globale Kommunikation geführt. In anderen Meldungen ist er bereits Vorsitzender der Gesellschaft “Süd-Westliches Sachsen”. Seit 2008 hat er überzeugt seine Gedanken zu Süd-Ossetien, der Raketenstationierung in Polen, dem Flug Gagarins, der Landung der Alliierten in der Normandie, der Rolle der UdSSR im Zweiten Weltkrieg, der Wahrnehmung des Großen Vaterländischen Krieges [Anm.d.Übers.: russische Bezeichnung für den 2. Weltkrieg] im Baltikum, dem Anschluss der Krim dargelegt. Er hat sich insgesamt als bewanderter Mensch erwiesen, wäre er nicht von vorne bis hinten ausgedacht worden.
Wie sich herausgestellt hat, ist Herr Haag auch dem Schaffen von Rasul Gamzatov gegenüber nicht gleichgültig. Nach seinen Worten hat Rasul Gamzatov “höchst ungewöhnliche Höhen erreicht, von wo aus er Kraft seines Schaffens Pushkin, Goethe, Milton und Shakespeare gleichsteht und dabei außergewöhnlich plastisch den geistigen Reichtum und den Charakter der Völker Russlands ausdrückt.” “Der Dichter hat den künftigen Generationen ein riesiges Erbe hinterlassen, das niemals verblassen wird”, schloss der Professor.
Danach geriet der umtriebige Professor auf einen Auftritt eines Ensembles aus Lipezk (!). “Wir haben russische und kosakische Lieder gehört, Zigeunermotive, russische Tänze und Lezginka gesehen. Ja, und die legendären [Lieder] “Kalinka” und “Katjusha” haben viele der im Saal versammelten mit dem Ensemble mitgesungen. Das war ein neues Atmen der russischen Seele, das man mit dem Herzen wahrnehmen muss” schreibt Pavel Gnilorybov.
Ich habe mich bemüht, irgendwelche Spuren der wissenschaftlichen Arbeit von Professor Haag zu finden, aus der Überlegung, dass Professoren nicht im luftleeren Raum existieren, sondern entweder Professoren konkreter Lehreinrichtungen oder emeritiert sind; in beiden Fällen muss es einfach im Internet Spuren einer forschenden oder unterrichtenden Tätigkeit geben. Ich habe allerdings weder Spuren der Professur von Lorenz Haag noch Spuren seiner Studenten oder Doktoranden gefunden. Das einzige, was ich gefunden habe, waren seine unterschiedlichen Interviews, in denen er die Politik der russischen Regierung rechtfertigt.
Es gibt auch eine Erwähnung seiner Teilnahme an der Überreichung einer Gagarin-Büste an das Museum für Kosmonautik der Stadt Chemnitz [Anm.d.Übers.: diese Bezeichnung kennt nur die russische Presse, tatsächlich heißt es “Kosmonautenzentrum Siegfried Jähn Chemnitz”]. Dort wird Lorenz Haag übrigens als bevollmächtigter Vertreter der Föderation für Kosmonautik Russlands in den Ländern Europas, Amerika [Anm.d.Übers.: tatsächlich der USA] und Kanada angeführt.
Ich habe bei zwei Organisationen angerufen, deren Bezeichnungen der “Agentur für Globale Kommunikation” ähneln. Eine entpuppte sich als PR-Agentur und dort kannte man keinen Professor Haag; in der anderen Agentur mit identischem Namen “Agentur für Globale Kommunikation” hatte man nie von ihm gehört.
Dafür ließ sich in Chemnitz das “Institut für Wirtschaftsnahe Innovation” finden. Auf dieser Seite gibt es ein Foto von Professor Haag als wissenschaftlichem Leiter. Lorenz Haag wohnt tatsächlich in der Stadt Chemnitz, die von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt hieß.
Ich habe unter den zwei angegebenen Telefonnummern des Institutes für Wirtschaftsnahe Innovation angerufen. Eine Bandansage teilte mir mit, dass diese Nummern entweder nicht existieren oder abgeschaltet sind. Im Ergebnis habe ich keine Kontaktmöglichkeiten zu Professor Lorenz Haag gefunden, ebenso wenig Spuren seiner Organisation.
Und dann habe ich Dmitryj Chmelnizki angerufen und um einen Kommentar zu der Situation um den Professor der “Akademie der Wissenschaftlichen Künste”, wie Majakovskij sagte, gebeten.
“Auf diesen Namen bin ich vor vielen Jahren gestoßen, als ich an einem Artikel über die Akademie für Sicherheitsfragen, Schutz und Rechtsordnung gearbeitet hatte. Das war eine quasi-gesellschaftliche Stroh-Organisation, die vom KGB gegründet worden war; zu ihr gehörten alle möglichen hochrangigen KGBler und Armeeangehörige, die um die ganzen Welt reisten und unter diesem Namen Orden verliehen haben, die sehr echt wirkten: den Orden Peters des Großen, Katharinas der Großen und so weiter.
2008 gab es wegen ihr einen großen Skandal in Deutschland, der “Focus” und “Die Welt” haben über sie als über eine reine Spionageorganisation geschrieben, die mit dem Anwerben von Agenten befasst ist. Wonach sie schnell in Moskau aufgelöst wurde. Damals bin ich auf diesen Menschen gestoßen, der an der Verleihung von Orden beteiligt war, in Dresden hatte er irgendjemandem irgendeinen Orden im Namen dieser Organisation verliehen. Den Namen habe ich mir gemerkt. Professor Lorenz Haag existiert nur in der russischen Presse.
Es ist der Regelfall, dass er von TASS-Journalisten interviewt wird, ebenso ist der Regelfall, dass derselbe Name auftaucht: Vladimir Smelov. Von ihm wird er interviewt, danach wird es in Zeitungen abgedruckt, insbesondere bei “Duell”, “Vzgljad”, “Izvestija”. Er ist schon seit einigen Jahren recht aktiv, gibt Interviews zu allen wichtigen politischen Ereignissen und ergreift dabei Partei für Russland und lobt Putin. Und dabei wird er überall als deutscher Experte vorgestellt. Ich habe seine Titel gesammelt, er hat sich als Leiter der Agentur für Globale Kommunikation, die sich in Chemnitz befindet, vorgestellt.
Diese Agentur gibt es nicht, in der westlichen Presse finden sich keine Spuren von ihr. Ebensowenig wie Spuren von dem Professor. Höchstwahrscheinlich ist Haag ein Professor genau dieser Sicherheitsakademie, die hat auch solche drolligen wissenschaftlichen Titel verliehen.
Außerdem war er bevollmächtigter Vertreter der Föderation für Kosmonautik Russlands in den Ländern Europas, der USA und Kanada und war Chefredakteur der Zeitschrift “Elite Russlands”. Vor zwei Jahren hat er die Hochschule für Wirtschaft zum zwanzigjährigen Jubiläum in Moskau beglückwünscht. In dieser Glückwunschnote hat er den Titel “Professor, Doktor honoris causa”.”
“Wie nehmen Sie selbst diese Geschichte auf? Bringt sie Sie zum Lachen oder muss man das ernst nehmen?”
“Nein, das provoziert keinesfalls ein Lachen. Die massenhafte Verbreitung von Verweisen auf einen gewissen westlichen Experten, der die Politik Putins unterstützt – das ist schwerwiegend,” sagt Dmitryj Chmelnicki.
“Professor” Haag hat sich wieder in einem Interview bei TASS gemeldet. Er hat auf die Kommentare der Blogger reagiert, aber nicht erklärt, wie er zu seinem wissenschaftlichen Titel gekommen ist; er hat lediglich angezweifelt, dass Dmitryj Chmelnicki Historiker ist, und vorgeschlagen “dieser Verbreiter von Gerüchten [solle] der Annäherung zwischen dem Westen und Russland dienen und nicht Feindschaft säen”.
Lorenz Haag. Foto in der russischen Ausgabe von “Nascha Vlast” (“Unsere Regierung”)