Falls auch nur ein Krimtatare gehofft hatte, seine Ängste vor einer russischen Okkupation seiner Heimat seien unbegründet, so starb dieseHoffnung am 17. September. Dem Medschlis, oder die Repräsentanz des Krimtatarischen Volkes wurden 24 Stunden gegeben, sein Hauptquartier in Simferopol zu „räumen“. Assoziationen mit der Deportation [A.d.Ü.: unter Stalin], als man allen Krimtataren nur eine halbe Stunde Zeit gab, um sich auf das Exil vorzubereiten, sind möglicherweise übertrieben, doch das Echo der sowjetischen Repression nimmt Fahrt auf.
Das Okkupationsregime hat zwar formal auf die Wohltätigkeitsorganisation „Krim-Stiftung“ gezielt, der das in Rede stehende Gebäude an der Schmidt-Straße gehört, doch was wahre Ziel ist ganz klar der Medschlis.
Wie einer, sowohl dem Chef der „Krim-Stiftung“ als auch dem Mitglied des Medschlis am 17. September verlesenen einstweiligen Verfügung, zu entnehmen ist, muss das Gebäude binnen 24 Stunden „geräumt“ sein. Wenn nicht, wird dann aller Besitz beschlagnahmt und niemandem wird es dann noch erlaubt sein, das Gebäude zu betreten.
Der offizielle Grund, der dafür angegeben wird, ist eine Verfügung, die das zentrale Distriktgericht von Simferopol am 15. September erlassen hat. (Az № 2-1688/14).
Das Dokument verbietet der Stiftung, ihre Rechte als Eigentümerin des Medschlis-Hauptquartiers und einer Anzahl weiterer Immobilien wahrzunehmen, eingeschlossen des Rechts auf Vermietung oder Verkauf. Sollte die Stiftung dieser Anrordnung nicht nachkommen, könnte ihr strafrechtliche Verfolgung drohen.
Die kafkaeske Verfügung wurde erlassen, „um die Interessen eines nicht weiter spezifizierten Personenkreises“ in einem Rechtsstreit gegen die Krim-Stiftung zu verteidigen. Die „Interessen“ dieser mysteriösen Individuen werden weiter dadurch beschützt, daß man die Konten der Krim-Stiftung bei der Vadimkombank eingefroren hat. Der Stiftung wurde untersagt, neue Konten zu eröffnen.
Das Gebäude auf der Schmidt-Straße beherbergt den Medschlis, die Herausgeberbüros der offziellen Zeitung „Avdet“ und die Büros der Wohltätigkeitsstiftung. Schewkiew erklärte dem Krim-Service von Radio Swoboda, dass es klar unmöglich ist, die im Gebäude befindlichen Gegenstände herauszuholen. Doch, wenn sie das nicht schaffen, geben sie dem Besatzungsregime den offiziellen Grund, das Gebäude zu beschlagnahmen und zu besetzen. Übrigens hat keine westliche Regierung die „Wahlen“ anerkannt.
Schewkiew bringt die Entwicklung mit dem schwachen Ergebnis der am 14. September durchgeführten „Wahlen“ für das Krim-Parlament und die Gebietskörperschaften in Zusammenhang. Der Medschlis hatte die Krimtataren und alle Einwohner der Krim, wegen der seit der Annexion der Krim stattfindenden gravierenden Menschenrechtsverletzungen und besonders der Verletzung der Rechte der Krimtataren, dazu aufgerufen, die Wahlen zu boykottieren. Der Ruf wurde vollständig befolgt.
Shewkiew glaubt, daß die Krimtataren als Sündenbock herhalten sollen für all das Ungemach, dem die Krim sich zur Zeit gegenübersieht, und dass deswegen die Repressionsmaßnahmen auch eskaliert werden.
Es muss jedoch noch einen zusätzlichen Grund für die Offensive gegen dieKrimtataren – und andere, die sich der russischen Okkupation entgegenstellen – geben, die ja bereits erheblich früher begann und in den letzten Monaten eskaliert ist.
Heute wurden den zweiten Tag in Folge in einer großen Anzahl Razzien auf krimtatarische Häuser durchgeführt, und das Büro der Generalstaatsanwältin durchsucht verschiedene Institutionen. Solche Razzien begannen schon im Mai, doch das Ausmaß in den letzten zwei Tagen ist ohne Beispiel.
Am 15, September führten 16 bewaffnete Männer eine Durchsuchung der Wohnung von Eskander Bariew durch, einem Mitglied des Medschlis, und nahmen die Computer mit. Bariew sagt, dass die Männer, bewaffnet mit Maschinengewehren, um ca.6:30 am Dienstag in seine Wohnung einbrachen und anfingen, sie zu durchsuchen. Die Eindringlinge sahen auch keine Notwendigkeit, sich etwas zusammenzunehmen oder ihre Maschinengewehre zu verbergen, obwohl Bariews Frau und seine kleinen Kinder anwesend waren.
Sie behaupteten, sie suchten, als Teil einer strafrechtlichen Untersuchung der Ereignisse vom 3. Mai 2014, nach Waffen, Munition und verbotener Literatur. Einen Durchsuchungsbefehl zeigten sie nicht. [A.d.Ü.: Am 3. Mai 2014 wurde Mustafa Dschemiljew, einem der Wortführer der Krimtataren, Dissident schon zu Sowjetzeiten, die Einreise auf die Krim verwehrt und ihm mitgeteilt, dieses Verbot gelte für die gesamte Russische Föderation.]
Eine andere Durchsuchung wurde im Haus des Oberhaupts des Belgoroder Regional-Medschlis, Mustafa Asaba, durchgeführt.
Am 17. September führten Bewaffnete auch eine Razzia in mindestens vier krimtatarischen Häusern im Dort Kolytschugino, außerhalb von Simferopol durch. Auch hier wurden die Ereignisse des 3. Mai zum Vorwand genommen, dazu ein einige Monate zurückliegender häuslicher Vorfall. Sechs Polizeiautos und ein GAZ-Mannschaftswagen, der mit Maschinengewehren bewaffnete Männer transportierte, erschienen in dem Dorf. Die Suche selbst – angeblich nach Waffen,Drogen und „verbotener Literatur“, dauerte 2-3 Stunden.
Eine Durchsuchung einer Moschee im Simferopoler Vorort Fontany fand am Mittwoch statt. Schewket Bekirow, Oberhaupt des Medschlis von Fontany, sagt, dass Leute aus dem Büro der Generalstaatsanwältin überprüft hätten, ob Gläubige sich am Ritualgebet Salat beteiligten und ob sie in „Extremismus“ verwickelt seien.
Die Durchsuchung wurde während des gemeinsamen Gebets durchgeführt. Drei Bücher von der langen Bücherliste, die die russischen Behörden aus mehr oder weniger plausiblen Gründen für „extremistisch“ ansehen, wurden entfernt und fünf weitere zur „Überprüfung“ mitgenommen.
Ein bezeichnendes Beispiel, wo das Regime der Okkupanten nach „Extremismus“ sucht, wurde mit einer anderen Suche demonstriert, als am Mittwoch eine krimtatarische Schule in Zuya, im Distrikt Belgorod, durchsucht wurde.
Diese Razzien zielen klar darauf ab, die Krimtataren zuverängstigen und ihre Vertretung, den Medschlis, zu zerstören, der sich von Anfangan klar gegen die Besetzung der Krim positioniert hatte und betont hatte, dass die Krimtataren [A.d.Ü.: zurückgekehrt von ihren unter Stalin zugewiesenen Deportationsorten] jetzt in ihrer Heimat seien – der ukrainischen Krim.
Der Medschlis lässt sich zur Zeit juristisch beraten um seine nächsten Schritte abzusprechen. Bei einer solchen ominösen Eskalation hin zu offener Unterdrückung, gegen das eingeborene Volk der Krim, versteht sich von selbst, dass die Notwendigkeit für Unterstützung offensichtlich aus mehr als den üblichen Worte von der „tiefen Besorgnis“ besteht.