von Paul Goble, Window on Eurasia – 14.12.2014
Einer der genauesten Hinweise darauf, was Moskau in der Ukraine vorhat, sind dessen Anklagen an den Westen, was dieser denn vorhat. Dieses Muster, wohl erprobt während des vergangenen Jahres, macht die letzte Behauptung, dass die Vereinigten Staaten angeblich plane, taktische Nuklearwaffen in der Ostukraine einzusetzen – besonders verstörend.
[Anm. d. Übers.: eine „taktische Nuklearwaffe“ ist eine Interkontinentalrakete (ICBM, Intercontinental Ballistic Missile), die – bislang fast ausschließlich – mit einem Nuklearsprengkopf bestückt ist, der eine maximale Sprengkraft von 9 MT (9 Millionen Tonnen) TNT-Äquivalent besitzen kann. Zum Vergleich: Die Sprengkraft der Bomben von Hiroshima und Nagasaki sowie der in der Wüste von Nevada gezündeten „Testbombe“ betrug 14 bzw 22 bzw 22 KT, also 14tausend bzw 22tausend Tonnen TNT-Äquivalent].Einer der anonymen Putin-Trolle arbeitet fleißig daran, die Horrornachricht zu verbreiten und zieht sich dafür prominente Bestätigung heran, nämlich …
… Netrebko-Impressario Oleg Zarjow, oder, wie Anton Chram transkribiert, Tsarjow. Tsarjowbomba sozusagen.
Im Verlauf eines 4600-Worte-Interview mit [Anm. d. Übers.: dem Girkin-Unterstützer-Portal „Russischer Frühling“] Russkaja Wjesna, breitet Michail Deljagin, ein Moskauer politischer Kommentator, das folgende Szenario – das eine breite, verschwörungstheoretische Version des Westens enthält – aus:
In Deljagins Wirklichkeit benötigen die USA, nach dem Abschuss von MH-17, eine neue Provokation, um zwischen Europa und Russland einen Keil zu treiben und somit beide zu schwächen. Und während er sagt, dass er hoffe, dass das, was er gehört habe, „ein Fake“ sei, und „Feindpropaganda“, legt er nahe, dass das folgende Szenario nun anläuft:
Deljagin sagt, dass die ukrainische Armee eine neue Angriffswelle gegen die russischen Kräfte beginnen werde, und „in der Angriffszone wird ein taktischer Nuklearsprengkopf explodieren“. Danach, so sagt er, würden die vom Westen und den Moskauer Liberalen kontrollierten Medien sagen: „das verfluchte Russland hat Nuklearwaffen eingesetzt.“
Doch Russland werde das nicht getan haben, setzt er fort. Keiner der russischen Kommandeure sei fähig, so etwas zu tun – „prinzipiell, nicht mal in der Theorie“. Aber für Amerikaner ist so etwas vollkommen normal, denn „sie sind die einzigen, die jemals Nuklearwaffen in der Vergangenheit eingesetzt haben und so dürfte so ein Einsatz in der Praxis auch jetzt kein Problem sein.
Wo könnte denn der radioaktive „Stoff“ für so einen Sprengkopf herkommen? Deljagin deutet an, dass er Informationen habe, daß es im estnischen Hafen Paldiski eine große Halde von „radioaktivem Müll“ gebe und die Amerikaner würden davon etwas nehmen und zu der Konfusion hinzufügen, die ein solcher Angriff hervorrufen würde.
Solch eine taktische Nuklearwaffe oder „schmutzige Bombe“ würde durch eine Cruise Missile oder irgendwie anders: [Anm. d. Übers.: Cruise Missiles bzw. Marschflugkörper sind nicht mit Interkontinentalraketen zu verwechseln, da sie einem vollkommen anderen Antriebsprinzip gehorchen]. Deljagin fährt fort, dass eine Cruise Missile unterhalb des Radars der russischen Streitkräfte duchfliegen könne und man somit alles, was die Schöpfer des Angriffs wünschten, als dessen Quelle aussehen lassen könne.
Würde ein solcher Angriff stattfinden, so der Moskauer Kommentator weiter, würde „die gesamte Intelligentsia der russischen Föderation sich einstimmig beim Westen für ihr verfluchtes Verbrecherregime entschuldigen“. Und die vom Westen kontrollierten Medien würden das sowohl in Russland als auch in der ganzen Welt aufblasen.
Für die, die für solche Medien arbeiten, genau wie für ihre Unterstützer gelte, „dass Realität niemanden interessiert“, legt er dar. „Sie haben für sich den Mythos erfunden, dass Russland an allem Schuld ist,“ und danach würden sie vorgehen, egal, wie die Faktenlage sei.
Deljagin sagt, dass solch eine westliche, nukleare „Provokation“ wahrscheinlich vor Weihnachten passieren wird – nicht nur, weil sich US-Präsident Barack Obama in seiner gegenwärtig geschwächten Position etwas tun muss, das seine Agenda ändert, sondern auch, weil das vollständig zu dem passen würde, was der Westen bis jetzt gemacht hat.
In der Tat, was Deljagin andeutet, ist genau wie die verschwörungstheoretische Sicht der Ereignisse in der Ukraine eine Projektion: Es geht nicht darum, was der Westen getan hat oder noch tut, sondern darum, was Moskau getan hat oder noch tun könnte. Man hofft, dass mit seinen Worten die Grenze der neuesten russischen Provokation erreicht ist, und es gibt Hoffnung, dass das so ist.
Deljagins Bemerkungen helfen dem Kreml auf zweierlei Weise. Einerseits mögen sie einige Ukrainer so einschüchtern, dass diese eine Übereinkunft mit Moskau suchen, oder alternativ in radikalere Positionen gegenüber Moskau treiben, Positionen, deren bloßer Radikalismus Kyiw einiges von der Unterstützung kosten wird, die es zur Zeit in den westlichen Hauptstädten genießt.
Andererseits werden seine Worte in den westlichen Hauptstädten ihre Wirkung nicht verfehlen, und mehr und mehr Offizielle dazu bringen, zu argumentieren, dass man eine Lösung für „das ukrainische Problem“ finden müsse, und zwar schnell, damit das Fehlen einer solchen Wirkung nicht den möglichen Einsatz von Nuklearwaffen auslöst.
Nachtrag: dieser Artikel bedarf einer Erwiderung, die folgen wird!
Teil 1 der Antwort hier: „Atomare Provokation“ in der Ostukraine, „Sender Gleiwitz“ 2.0 oder Buzzword-Bingo? – Eine Antwort auf Paul Goble. Teil 1
Autor: Paul Goble
Quelle: Window on Eurasia – 14.12.2014
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch