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Vor 75 Jahren, am 30. Oktober 1939, fing Russland den Winterkrieg gegen Finnland an

Vor 75 Jahren, am 30. Oktober 1939, fing Russland den Winterkrieg gegen Finnland an

Von Paul. A. Goble (auf dem Blog Window on Eurasia) 10.12.2014

Heute vor 75 Jahren begann Moskau das, was als Winterkrieg gegen Finnland bekannt wurde. Russland benutzte im Wesentlichen die gleiche Propaganda und die gleiche  Taktik, die es jetzt gegen die Ukraine benutzt. Russland sah sich weitaus größerem Widerstand gegenüber, als das krasse Missverhältnis der Kräfte es hatte glauben machen. Und – dank diesen Widerstandes – erreichte Moskau weniger, als es erwartet hatte.

Es ist nicht überraschend, dass viele Kommentatoren in der Ukraine und sogar in Russland und Finnland Parallelen zwischen diesen beiden russischen Kriegen ziehen, die Lehren für alle Seiten enthalten, Lehren über das Scheitern der internationalen Diplomatie, die Kontinuitäten russischer Politik und die relative Bedeutung von Waffen.

Der ukrainische Kommentator Oleh Schama stellt in einem Essay in „Nowoje Wremja“ die Basis für diese und andere Beobachtungen und Schlussfolgerungen für die gegenwärtige Situation in der Ukraine und der Welt zur Verfügung.

Im August 1939, daran erinnert Schama, mit dem Molotow-Ribbentrop-Pakt, kamen Hitler und Stalin miteinander ins Geschäft und teilten Europa in Einflusssphären auf. Auf dieser Basis zwang Moskau die drei baltischen Staaten, vor seinen Forderungen zu kapitulieren, und annektierte sie danach in die Sowjetunion.

Doch die Finnen weigerten sich, diesen Weg zu gehen. Sie wollten im sich abzeichnenden Krieg “ihre Neutralität behalten“, und sie erkannten, dass die Gegenwart sowjetischer Truppen auf ihrem Territorium nicht nur eine Verletzung ihrer Unabhängigkeit sein würde, sondern sie – auf welcher Seite auch immer – in den Konflikt hineinziehen würden.

Doch die sowjetische Regierung hatte nicht die Absicht von dem zurückzutreten, was sie – aufgrund des Molotow-Ribbentrop-Pakts – für ihr Recht hielt. Und dies, so Schama, umso mehr, als Moskau meinte, dass Finnland Teil der UdSSR sein sollte, wie es zwischen 1809 und 1917 Teil des Russischen Reiches gewesen war.

Der Kreml versuchte es zunächst mit Diplomatie und verlangte in Gesprächen mit Helsinki, die mehr als ein Jahr dauerten, dass Finnland ihm die Halbinsel Hanko (schwed. Hangö) verpachten und die Grenze 60 km weg von Leningrad verlegen soll. Solch eine Konzession, so sagten die sowjetischen Diplomaten und Generale, sei notwendig, um die Verteidigung der Nördlichen Hauptstadt sicherzustellen. [A.d.Ü.: Infolge des den Krieg beendenden Friedensvertrags von Moskau wurden die Finnen gezwungen, den Sowjets die Halbinsel Hanko für 30 Jahre als Flottenstützpunkt zu verpachten.] Am 22. Mai 1940 wurden die letzten dreitausend der achttausendköpfigen Einwohnerschaft evakuiert. Alle anderen hatten die Halbinsel schon vorher verlassen. Die Sowjets richteten eine Basis für die Baltische Flotte ein [A.d.Ü.: Die Ostsee heißt im russischen Sprachgebrauch: Балтийское море, Baltijskoje more), die aus 25.000 – 30.000 Soldaten bestand. Während des Fortsetzungskrieges belagerten finnische Truppen, zusammen mit schwedischen Freiwilligen, Hanko, und zwangen die Sowjets zum Abzug. Das taten sie auch, nicht ohne Hanko schwer zu verminen. Sie verzichteten auf Hanko und konnten daraufhin die Halbinsel Porkkala pachten. Der zunächst auf 50 Jahre geschlossene Pachtvertrag wurde 1956 aufgelöst.]

Doch die Finnen weigerten sich und brachen die Gespräche im Oktober 1939 ab. Am 3. November 1939 mobilisierte Moskau den Leningrader Militärdistrikt, und am 26. November organisierten russische Spezialkräfte eine Provokation, die das enthielt, was sowjetische Propagandisten einen Angriff auf Kräfte der UdSSR durch Kräfte Finnlands nannten. Helsinki verneinte, darin verwickelt zu sein und sicherte eine ausgedehnte Untersuchung zu. Doch Moskau war an Gesprächen nicht interessiert, und am 30. November 1939 befahl Stalin seinen Soldaten, Finnland anzugreifen. Sowjetische Flugzeuge warfen 600 Bomben, die 91 Finnen töteten.

„Obwohl die Kreml-Propaganda das behauptete“, setzt Schama fort, „waren die Finnen auf den Krieg nicht vorbereitet. Deren Armee bestand aus 30.000 Soldaten und Offizieren“, und sie hatten ihre Verteidigungsausgaben seit zwei Jahrzehnten herabgesetzt, im Vertrauen darauf, dass der Völkerbund jeglichem Angriff zuvorkommen und ihre Sicherheit garantieren würde.

Aha, Schurke, versuchst mich wohl anzugreifen, was?
Aha, Schurke, versuchst mich wohl anzugreifen, was?

Der unprovozierte Angriff machte die Finnen so wütend, dass Tausende von ihnen sofort zu den Waffen eilten und an die Front gingen – oft ohne Uniformen, denn es gab keine. Zahlenmäßig bei Weitem unterlegen, wurden sie durch Marschall Mannerheim inspiriert, der sagte, „wir kämpfen für Heim, Glauben und Vaterland“.

Die sowjetischen Soldaten wurden durch eine ganz andere Idee inspiriert. Ihnen hatte man erzählt, sie würden „das finnische Volk von der Unterdrückung durch die Kapitalisten befreien, doch schon nach einigen Tagen fragten sich die sowjetischen Soldaten auf finnischem Boden, „warum müssen wir denn die Finnen befreien? So gut, wie die leben…“

Und mehr noch: Die sowjetischen Truppen fanden niemanden zum Befreien, denn die Finnen zogen sich aus den Grenzgebieten zurück, und verbrannten ihre Häuser und Höfe, so dass die Sowjets nichts fanden, was sie gegen Finnland verwenden konnten.

Am ersten Tag der Kämpfe machten die sowjetischen Medien bekannt, dass sie in einem „befreiten“ Dorf in Grenznähe eine neue finnische Regierung gebildet hätten, geführt von Otto Kuusinen, dem Kommunisten, dessen Aufstand Mannerheim persönlich 1918 niedergeschlagen hatte. Einen Tag später unterzeichnete Kuusinen einen gegenseitigen Beistandspakt mit der sowjetischen Regierung, um die Aggression des Kreml zu „legalisieren“.

In Vorbereitung für diesen Feldzug hatte das sowjetische Militär, beginnend im Oktober 1939, eine „Finnische Volksarmee“ erschaffen, die es mit Finnen und Kareliern auffüllte, die auf sowjetischem Territorium lebten und sogar mit Weißrussen. Dies führte zu einem sowjetischen Witz: „Die Finnen aus Minsk werden auf finnische Minen treten“.

Die Finnen hatten schon früher einige Verteidigungsanlagen errichtet und das sowjetische Oberkommando war sich dessen wohl bewusst und gut vorbereitet, sie zu umgehen oder zu durchbrechen. Doch Moskau hatte nicht mit dem finnischen Kampfeswillen gerechnet und erwartete, bis zu Stalins Geburtstag am 21. Dezember einen leichten und schnellen Sieg.

Der sowjetische Vormarsch wurde verlangsamt, als der finnische Widerstand anwuchs [A.d.Ü.: Und Helden wie den besten Scharfschützen aller Zeiten, den Landwirt Symo Häyhä, hervorbrachte, der in nur 100 Tagen 705 Sowjetsoldaten tötete, bevor er selbst von einem sowjetischen Scharfschützen schwer im Gesicht verletzt wurde. Häyhä, der im Alter von 92 Jahren starb, ist einer der finnischen Nationalhelden]. Doch letztendlich mussten die Finnen, die im Lauf von 105 Gefechtstagen 25.000 Soldaten verloren hatten, um Frieden bitten, obwohl sie 126.000 Invasoren getötet hatten. Und sie hatten Moskau ein Zehntel ihres Territoriums abzutreten. Das war jedoch weniger als Moskau zu gewinnen erwartet hatte, und so konnte es wohl kaum die Ansprüche auf einen Sieg rechtfertigen, die es bereits herausposaunt hatte und die vom Westen akzeptiert würden. Darüber hinaus sprach die Art und Weise, wie Finnland und die Sowjetunion mit ihren Toten umgingen Bände über den Unterschied zwischen beiden Ländern, einen Unterschied, den wir auch zwischen Russland und der Ukraine sehen.

Als der Krieg begann, befahl Mannerheim, dass „jeder getötete Soldat mit militärischen Ehren begraben werden“ solle und dies auf speziell eingerichteten Friedhöfen. In der Sowjetunion verbot Andrej Schdanow, Gebiets- und Stadtsekretär der Leningrader Parteiorganisation und späterer Schwiegervater von Stalin-Tochter Swetlana, kategorisch, dass man den Verwandten der getöteten Soldaten von der Vernichtung ihrer Lieben berichtete und befahl weitere Maßnahmen um die Verluste zu verschleiern.

An diesem Jahrestag des Winterkriegs denken Ukrainer möglicherweise mehr an diesen Konflikt als andere Völker – mit Ausnahme der Finnen. Roman Botschkala, ein ukrainischer Militäranalyst, sprach für viele in seinem Land, als er über diesen weit entfernten Konflikt in Worten sprach, die jeder Ukrainer zur gegenwärtigen Lage in Beziehung setzen konnte.

Wie die Ukrainer standen die Finnen einem überwältigenden Gegner gegenüber, „einer Horde, die ihre Gegner durch ihre Größe niederringen wollte. David ging mit Goliath in den Ring. Und er siegte.“ Natürlich, so schreibt Botschkala, hatten die Finnen Angst, doch sie waren nicht eingeschüchtert und „kämpften wie Löwen“.

Sie verstanden etwas, das sich die Ukrainer zu Herzen nehmen können: „im Krieg ist das Wichtigste nicht die Menge, sondern Motivation und Intelligenz.“

Wadim Schtepa, der in Karelien lebt und der die ukrainischen Anstrengungen unterstützt, ihre Nation gegen Putins Aggression zu verteidigen, denkt über diesen Jahrestag nach: „Was kann man da sagen? Das einzige, das ich unseren ukrainischen Freunden in diesem neuen Winterkrieg wünsche, ist, dass sie nicht schwächer sein mögen als die Finnen!“

Paul-A.-Goble_avatar-75x75Autor: Paul. A. Goble

Quelle: Blog Window on Eurasia

Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch

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