von Halya Coynash, Charkiwer Menschenrechtsgruppe
Die ukrainische Pilotin und jetzt auch Parlamentsabgeordnete Nadija Sawtschenko wurde schließlich am vergangenen Freitag dem Basmannij-Gericht in Moskau vorgeführt und zeigte ihre volle Verachtung sowohl für die russischen Medien als auch das “Gericht”. Allerdings ergab sich am Freitag bei der Gerichtsverhandlung eine völlig überraschende Wendung – eine nicht tadelnswerte, auf dem Gesetz basierende Entscheidung:
Die russischen “Ermittler” hatten sich ursprünglich geweigert, die Aussagen von drei Zeugen dem Beweismaterial hinzuzufügen. Ihre Motivation ist leider klar, da aus den Zeugenaussagen von zwei ukrainischen Soldaten und Nadija Sawtschenkos Schwester Wera hervorging, dass sie das Verbrechen, das ihr Russlands Untersuchungsausschuss vorwarf, gar nicht begangen haben konnte. Am 17. Juni, als nämlich zwei russische Journalisten auf Grund von Mörserfeuer zu Tode kamen, war Sawtschenko an einem ganz anderen Ort, an dem sie kurz später durch vom Kreml unterstützte Militanten der selbsternannten Luhansk Volksrepublik gefangen genommen wurde. Einer ihrer Anwälte, Ilja Nowikow fügt hinzu, dass auslegesene Daten ihres Mobiltelefons und aus den Handys anderer vorliegen, die dies untermauern.
Angesichts der zunehmenden Zahl von rechtswidrigen Entscheidungen und Handlungen in Bezug auf Nadija Sawtschenko äußerte sich Nikolai Polosow, ein anderer Verteidiger von Sawtschenko, gegenüber einem Korrespondenten von Radio RFE/RL, die Entscheidung über die Aufnahme der Zeugenaussagen in die Gerichtsakten stelle eine Kehrtwende und “eine angenehme Überraschung” für ihn und seine Kollegen dar.
Die Ermittlungsbehörde hatte behauptet, dass die Anwälte nicht befugt seien, Beweismaterial außerhalb Russlands zu sammeln. In einem Fall, in dem die Anklagepunkte anscheinend auf Behauptungen der vom Kreml unterstützten Militanten in der ukrainischen Region Luhansk basieren, die zuerst die ukrainische Offizierin gefangen genommen hatten und sie dann sie mit Gewalt nach Russland entführten, erscheint ein solches Argument besonders zynisch. Die Anwaltskammer von Moskau bestätigt ebenso, dass es sich dabei um eine ungenaue Auslegung der Rechtslage handelt. Polosow glaubt den Grund dafür, dass der Untersuchungsausschuss den Kampf aufgab und ein Ermittlungsbeamter buchstäblich am Vorabend der Gerichtsverhandlung einen Beschluss unterschrieb, das Beweismaterial den Gerichtsakten beizufügen, in der Tatsache zu sehen, dass die Rechtslage so eindeutig zugunsten Sawtschenkos spricht. Dies sei ein wichtiger Präzedenzfall, und er ermögliche der Verteidigung, auch andere Beweise hinzuzufügen.
Polosow weist jedoch darauf hin, dass der Fall insofern einzigartig ist, dass der Prozessausgang nicht durch ein Gericht bestimmt wird, sondern durch diplomatische und politische Mittel. Die Entscheidung wird im Kreml gefällt. Der Anwalt fügt aber hinzu, dass je mehr sie vor Gericht nachweisen können, dass Sawtschenko in Russland illegal festgehalten wird und der Untersuchungsausschuss sich rechtswidrig verhalten hat usw., desto größer der Druck wird, eine akzeptable politische Lösung zu erreichen. Er ist zuversichtlich, dass letztendlich eine politische Lösung gefunden wird und Sawtschenko freigelassen werden muss.
Die Verteidigung erkundet nach Aussage von Polosow eine Reihe von Vorgehensmöglichkeiten in diesem Fall – beispielsweise mit verschiedenen internationalen Organisationen. Wenn das Internationale Rote Kreuz Nadija Sawtschenko als Kriegsgefangener anerkennt, weist er darauf hin, wäre Russland nach der Genfer Konvention verpflichtet, die Strafverfolgung einzustellen. Er schlägt vor, dass die Parlamentsabgeordnete Sawtschenko als Delegierte für die Parlamentarische Versammlung des Europarates [PACE] benannt wird, was ihr diplomatische Immunität geben würde.
Wie berichtet, konnte Nadija Sawtschenko mindestens drei ihrer Entführer identifizieren. Bei einem davon handelt es sich um Igor Plotnytzkyij, jetzt der Anführer der sogenannten Luhansker Volksrepublik; sie erkannte ihn, als sie ihn im Fernsehen sah.
Ihre Verteidigung hat eine förmliche Beschwerde bezüglich ihrer Entführung eingereicht, an der mindestens 43 Personen beteiligt gewesen sein sollen.
Das Schicksal dieser Beschwerde ist leider leicht vorauszusehen. Russland hat immer wieder behauptet, dass Nadija Sawtschenko freiwillig nach Russland gekommen sei. Und vor gut einer Woche hat die Ermittlungsbehörde angedeutet, dass die Pilotin wegen “illegalen Grenzübertritts” belangt werden solle.
Angesichts des Sachverhalts, dass Nadija Sawtschenko von Militanten in der Ukraine gefangen genommen wurde und sie selbst kategorisch bestreitet, dass sie aus der “Haft” der vom Kreml unterstützten Militanten freikam und dann “freiwillig” die Grenze zu Russland überquert habe, sind diese Anklagen völlig unglaubhaft.
Nadija Sawtschenko wurde in der [ukrainischen] Region Luhansk von Kämpfern der selbsternannten “Luhansker Volksrepublik” am 20. Juni gefangengenommen. Zwei Tage später erschien ein Video von ihr, wie sie von den Militanten verhört wird. Sie zeigte Mut bei der Vernehmung und weigerte sich, die Informationen zu geben, die die Militanten von ihr forderten.
Am 2. Juli ordnete ein russisches Gericht die Untersuchungshaft gegen sie an und verlängerte den Gewahrsam bis zum 30. August. Russlands Untersuchungsausschuss verkündete am 9. Juli, dass gegen Sawtschenko Anklage erhoben werde wegen angeblicher “in einer Gruppe begangener Komplizenschaft bei der Tötung von zwei oder mehr Personen, die ihrer amtlichen Tätigkeit nachgingen, auf eine gemeingefährliche Art und Weise und aus Gründen des politischen Hasses”.
Die Ermittlungsbehörde behauptet, dass Sawtschenko im Juni als ein Mitglied des Bataillons Aidar den Verbleib einer Gruppe von Journalisten von TV-Rossija und anderer Zivilisten außerhalb von Luhansk in Erfahrung gebracht habe und diese Informationen an Kämpfer weitergegeben habe, die die TV-Rossija-Mitarbeiter Igor Korneljuk und Anton Woloschin bei einem Mörserangriff getötet hätten.
Sie behaupten auch, dass Sawtschenko die Grenze zu Russland ohne Dokumente überquert habe, wobei sie vorgegeben habe, ein Flüchtling zu sein. Sie behaupten, dass sie zunächst festgenommen wurde, um ihre Identität festzustellen. Wie sie begründen werden, weshalb sie illegal ins Land eingereist sei, ist nicht ganz klar.
Sawtschenko befindet sich nun wieder im Untersuchungsgefängnis, nachdem sie einen Monat lang im berüchtigten Serbski-Institut in Haft gehalten worden war. Ihre Beschwerde gegen die erzwungene “psychiatrische Beurteilung” wurde durch das Gericht einfach vertagt, aber sie selbst weigerte sich mit dem Personal des Serski-Instituts zusammenzuarbeiten.
Nadija Sawtschenko ist jetzt Abgeordnete in der Werchowna Rada, dem ukrainischen Parlament. Sie stand als Kandidat auf Platz 1 der Batkiwschtschyna-Partei. Julia Tymoschenko stand auf Platz 2 auf der Liste.
Autorin: Halya Coynash
Quelle: Charkiwer Menschenrechtsgruppe
Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch