Operation „Massengrab“
Russlands Außenministerium hat zum wiederholten Male demonstriert, wie eng es mit den von ihm unterstützten Militanten im Donbas sowie seinen eigenen Kreml-loyalen Medien zusammenarbeitet. Alle drei traten am 23. September bei der Operation „Massengrab“ in Aktion und beschuldigten das ukrainische Militär, sich durch Kriegsverbrechen schuldig gemacht zu haben. Da Moskau schon lauthals eine „prinzipienfeste Untersuchung von OSZE, UN und Europarat gefordert hat, lohnt es sich, den Bericht der OSZE zu hören.
Der Bericht der OSZE
In ihrem Bericht vom 23. September erläutert die OSZE-Beobachtermission, dass die „Militärpolizei der Donezker Volksrepublik (DVR) mit ihnen Verbindung aufgenommen habe und sie über drei unmarkierte Gräber informiert habe, die eine Menge Leichen enthielten. Zwei Gräber seien im Kohlebergwerk von Komunar, das dritte im Dorf Nischnia Krinka. Die OSZE fand vier Leichen im Bergwerk, genauso wie acht „9mm Makarow-Patronenhülsen, etwa fünf Meter von den Leichen entfernt“. Außerhalb des Dorfes fanden sie einen Erdhaufen, der aussah wie ein Grabhügel, auf dem an einem Pfahl ein Schild befestigt war, auf dem die Namen von fünf Personen stehen. Die Inschrift sagt aus, dass die fünf Personen am 27. August 2014 gestorben seien. Die Überschrift lautet: „Gestorben für Putins Lügen“. Die OSZE betont, dass sie nirgendwo Gerichtsmediziner
gesehen habe und auch nicht in der Lage sei, für eine gerichtsmedizinische Untersuchung zu sorgen.
Die russischen Medien
Das war für die russischen Medien natürlich nicht sensationsträchtig genug. Itar-Tass zitierte die OSZE, aber zitierte vollkommen falsch, dass die Besondere Beobachtermission in ihrem täglichen Bericht festgestellt habe, Repräsentanten der DVR hätten „drei Massengräber gefunden“.
Die Militanten waren, wie üblich, begierig, den russischen Medien entgegenzukommen, und der „Premierminister“ der DVR wird mit der Bestätigung zitiert, dass in einem Grab, das die Militanten gefunden hätten, die Leichen von vierzig Militanten gefunden worden seien, in den beiden anderen – die Körper gefangener Militanter und ukrainischer Soldaten.
Alle russischen Berichte sagen, dass die ukrainische Nationalgarde „zuvor“ in diesem Gebiet ihren Sitz hatte. Wie die Karte des ukrainischen Sicherheitsrats von dessen „Antiterroristischer Operation“ zeigt, war das ukrainische Militär dort lediglich während der ersten Augusttage und dann noch für ein paar Tage in der Septembermitte. Da der OSZE-Report beschreibt, dass die Leichen schon in Verwesung übergingen, kann man den späteren Zeitraum ausschließen, während das Schild über der möglichen Grabstätte sagt, einer der Menschen sein am 27. August gestorben sei.
Sachartschenkos Bericht, sogar was die Zahlen betrifft, unterscheidet sich radikal von dem der OSZE-Mission. Keines der „Details“, die verschwenderisch in den Medien und durch das russische Außenministerium ausgebreitet wurden, wurde von der OSZE erwähnt. Das Gegenteil war dann der Fall mit dem von der OSZE beklagten Fehlen gerichtsmedizinischer Befunde, sowohl bei den Medien als auch bei den Militanten.
Doch das russische Außenministerium behauptet, dass es „offensichtlich“ Opfer von Exekutionen sind, und das wird angeblich dadurch bestätigt, dass die Opfer „die Hände auf dem Rücken zusammengebunden hätten und die Zeichen von ,Kontrollschüssen‘ [Anm. d. Übers.: „Gnaden“-Schüsse] im Nacken. Das Ministerium versichert, das seien „Kriegsverbrechen, für die es keine Rechtfertigung geben“ könne und verlangt eine vollständige Aufklärung.
Währenddessen hat es im Warschauer Sofitel Hotel, in dem die OSZE-Konferenzen stattfinden, eine Ausstellung gegeben. Radio Swoboda berichtet, dass diese Ausstellung Bilder von Ermordeten, einschließlich Zivilisten, präsentiert und behauptet, dass diese Opfer des ukrainischen Militärs seien, bringt allerdings keinen einzigen Beweis.
[Anm. d. Übers.: eine wohl gleichartige Ausstellung wurde mittlerweile auch in London eröffnet, die von entsprechenden Unterstützerkreisen auch mit den üblichen Sprechblasen beworben wird. Darf somit auf ein Berliner oder Leipziger Pendant gewartet werden?]
Radio Swoboda sprach auch mit Jewhen Sacharow, dem Vorsitzenden der Charkiwer Menschenrechtsgruppe, die sich bemüht, Informationen über alle Rechtsverletzungen im Donbas zusammenzutragen, einschließlich derer, die von den ukrainischen Freiwilligenbataillonen begangen wurden. Er ist überzeugt, dass die Anklagen von durch das ukrainische Militär durchgeführten Exekutionen falsch sind und sagt, die Gruppe habe keinen einzigen Bericht über solche Tötungen, weder von Einheimischen, noch von Leuten, die in den Konflikt verwickelt waren. Hätten diese Tötungen stattgefunden, so sagt er, wären Informationen darüber durchgesickert. Er stellt fest, dass es jedoch Berichte über Hinrichtungen durch „die andere Seite“ gebe.
„Berichte“ über Exekutionen werden in der Tat recht oft von beiden Seiten des Konflikts verbreitet. Mit einem Unterschied: Viele der Opfer der DVR Folter und Hinrichtungen haben einen Namen. Sie schließen ein: Wolodymyr Rybak, einen Abgeordneten aus Horliwka; den 19-jährigen Studenten Juri Poprawko; den 25-jährigen Juri Djakowsky; vier Mitglieder einer evangelikalen Kirche in Slowjansk, sowie Mykola Zelenec, Honorarkonsul von Litauen für den Oblast Luhansk. Die Militanten selbst
haben zugegeben, Menschen hinzurichten. Diese Erklärung wurde gegenüber der BBC abgegeben, kurz nachdem man, unmittelbar nach der Flucht der Militanten aus Slowjansk, dort mehrere Massengräber gefunden hatte.
Es gibt noch einen anderen Aspekt an der Geschichte seit es einen Beweis zu geben scheint, dass das Zeichen „starben für Putins Lügen“ Anfang September im Internet erschien. Das Titelbild dieses Beitrags wurde offensichtlich als Original auf der Facebook-Seite „Fracht-200 aus der
Ukraine nach Russland“, auf der Menschen herausfinden wollen, ob ihre Söhne oder Männer in der Ukraine kämpfen oder dort bereits gestorben sind. In der letzten Zeile steht deutlich zu lesen: Russische Streitkräfte (B C России), sowie eine Personalkennziffer [Anm. d. Übers.: üblicherweise auf der sog. „Hundemarke“ eingeprägt, die jeder Soldat um den Hals tragen muss und anhand derer er zweifelsfrei zu identifizieren ist]. Einer der Kommentare darunter versichert, dass drei der Getöteten aus Tatarstan stammten. Das war kurz nachdem die erste große Zahl russischer Soldaten in der Ukraine getötet worden waren, und als viele Menschen, zusammen mit der russischen Zeitung „Vedomosti“ fragten: „Wenn Russland nicht im Krieg ist, wer liegt denn dann in diesen frischen Gräbern?“ Die Worte auf dem Schild könnten genauso gut darauf hinweisen, dass die toten Männer durch russische Propaganda und die Lügen über den Krieg getäuscht worden waren. Dahinter, dass dieses Schild nun erwähnt wird und behauptet wird, dass es ein Beweisstück für ukrainische Verbrechen gegen ukrainische Zivilisten sein soll, könnte die Absicht stehen, die unerwünschte Aufmerksamkeit von Sterben russischer Soldaten abzulenken.
Ob das Letztgenannte wahr ist oder nicht – es ist unwahrscheinlich, dass dies der letzte Bericht über angebliche ukrainische Verbrechen ist, „aufgedeckt“ von den Kreml-gestützten Militanten in den von ihnen kontrollierten Gebieten. Mit solch einflussreicher Rückendeckung: warum sollten sie damit aufhören?
[Nachtrag d. Übers.: Heute wurde, wie die Tagesschau berichtet, schon gegen den angeblichen ukrainischen „Faschismus“ demonstriert, dem diese Massengräber anzurechnen seien. Offensichtlich hat das noch mal die den Zulauf für die „Separatisten“ befeuert: Es handelt sich hier sicherlich bei der Moskauer Demonstration des am 27.9. durchgeführten „Globalen Anti-Maidan-Marschs“.