Der finnische Außenminister Erkki Tuomioja (SDP – Sozialdemokratische Partei Finnlands) über die Ukraine, Information, Desinformation und Faschismus
(Übersetzung aus dem Englischen. Quelle: Website des Ministers; 19.5. 2014)
In Krisen-und Konfliktsituationen wird von Entscheidungsträgern erwartet, dass sie sofort Ereignisse kommentieren und Lösungen bieten. Das gilt auch und vor allem in Bezug auf die Ereignisse in der Ukraine. Wenn wir dem reichlichen Fluss der Nachrichten aus und über die Ukraine folgen, insbesondere, was im Internet veröffentlicht wird, sollten wir immer daran denken, dass das meiste davon, ob absichtlich oder versehentlich, Desinformation sein kann, unabhängig davon, ob die Quelle oder der Übermittler eine Regierungsstelle oder eine Nichtregierungsorganisation ist. In solchen Fällen besteht eine große Versuchung und Gefahr darin, dass Kommentare auf der Grundlage von unvollständigen oder falschen Informationen abgegeben werden.
Selbst eindeutig falsche Informationen, die als Propaganda verbreitet werden, können von einem echten Ereignis ausgehen, das dann verzerrt und interpretiert wird, so dass die ursprüngliche Wahrheit verloren geht oder zum Gegenteil davon wird.
Kommentare, Bewertungen und vor allem Entscheidungen müssen auf Informationen beruhen, die so genau wie möglich sein müssen. In einer solchen Situation wäre es äußerst wichtig, dass die Entscheidungsträger auch Zugang zu unabhängigen Überwachungs- und Analysekapazitäten haben, die in der Lage sind, falsche und wahrheitsgemäße Angaben deutlich voneinander zu unterscheiden, und für den Fall, wenn dies nicht möglich ist, das auch zu sagen. Wir müssen beachten, dass dies sowohl in den Medien als auch in der Verwaltung fehlt, in Finnland ebenso wie in zum Beispiel in der Europäischen Union.
Außerdem müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es im Prinzip keine staatlichen oder nichtstaatlichen Verbreiter von Informationen gibt, die als hundert Prozent zuverlässig angesehen werden können. Dies gilt für alle Parteien und Akteure – auch in der ukrainischen Krise.
Eine Klasse für sich sind allerdings die russischen Medien, die in zunehmendem Maße vom Staat gesteuert und Werkzeuge für die Verbreitung von Propaganda sind, unter fast vollständiger Missachtung der Fakten. Dies beginnt bereits mit der Verwendung von Labels wie dem des Faschismus, das ist vielleicht der am häufigstebenutzte und historisch effektivste Begriff der Einschüchterung in der Berichterstattung der russischen Medien.
Ich werde hier nicht auf die vielen Definitionen des Faschismus eingehen; statt dessen will ich versuchen, die zu verschiedenen Zeiten genannten Merkmale der faschistischen Bewegungen aufzulisten. Dazu gehören der Nationalismus, der ein Gefühl der ethnischen und sprachlichen Affinität bedeutet, die Zentralisierung der Führung, Verachtung für die Demokratie, die eine dekadente Kultur begünstigt, die Idealisierung der Machtpolitik, die Anwendung von Gewalt gegen und die Einschüchterung der Gegner, manipulierte Volksabstimmungen, Homophobie, die Ablehnung der Klassenkonflikte, eine Verzerrung zugunsten des Monopolkapitalismus, der sich der Lenkung durch den Staat unterordnet, die Kontrolle über die Verbreitung von Informationen und zentrale staatliche Propaganda sowie der Kult eines starken Führers.
Es ist schwierig, ein Land in Europa zu finden, in dem es keine Bewegungen oder Akteure gibt, auf die diese Eigenschaften zutreffen. In allen Ländern sollte dies als eine ernsthafte Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und die Umsetzung der Menschenrechte wahrgenommen werden. Noch schlimmer ist es, wenn solche Bewegungen es geschafft haben Einfluss auf die Macht einer Regierung zu bekommen.
In der Ostukraine haben die als Separatisten bezeichneten bewaffneten Akteure und ihre internationalen Unterstützer Rathäuser besetzt, Straßensperren errrichtet und ihre Gegner terrorisiert, dort treffen fast alle dieser Merkmale des Faschismus zu, zumindest sind sie sehr viel deutlicher vorhanden als bei der Regierung in Kyiw, die als solche gebrandmarkt wird.
Damit meine ich nicht, dass es auf der Seite der Regierung in Kyiw keine gefährlichen faschistischen Bewegungen gibt, wie der “Rechte Sektor” und andere, bei denen die Regierung nicht in der Lage war, oder vielleicht nicht immer bereit dazu gewesen ist, sie zu entwaffnen und für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Die Lösung des Problems, indem man solchen Gruppen einen offiziellen Status in der Staatssicherheit gewährt, ist weder akzeptabel noch eine nachhaltige Lösung.
In einem Land, das derart umfassend korrupt ist wie die Ukraine, müssen alle Unterstützungmaßnahmen für dessen Regierung offen und transparent sein und unter der strikten Bedingung von Wirtschaftsreformen und politischen Entscheidungen gewährt werden. Ein Missbrauch der Demokratie und der Menschenrechte, die ungerechte oder unkontrollierte Gewalt sowie Hass-Reden aller Akteure dürfen in keinem Fall übersehen werden, weil diejenigen, die solche Mittel anwenden, die geopolitisch günstigere Alternative anbieten. Das wäre ein Verrat an den Hoffnungen aller Ukrainer und würde den Aufbau der demokratischen Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine weder fördern noch zur Sicherung der Integrität beitragen.
Quelle: (finnisch und englisch):
http://www.tuomioja.org/index.php?mainAction=showPage&id=1)