17.05.14 | Halya Coynash – Charkiwer Menschenrechtsgruppe
Die eingeschränkte Kraft der Worte, auch solche von westlichen Führern, ihre volle Solidarität mit den Krimtataren auszudrücken, ist an diesem – siebzigsten – Jahrestag ihrer Deportation aus ihrer Heimat eindringlich klar geworden. Am 16. Mai hat Sergej Axjonow, der selbsternannte Regierungschef der Krim, ein Dekret mit einem drastischen Verbot aller Gedenkveranstaltungen erlassen.
Hätte es nicht die russische Annexion der Krim gegeben, wären Vertreter der EU, der USA und anderer Länder unter den vielen Gästen der Veranstaltungen der Krimtataren zur Erinnerung an die Opfer eines schrecklichen Verbrechens gewesen. Ihre Anwesenheit hätte dieses außergewöhnliche Verbot abwenden können und als Garantie für die Sicherheit der Menschen wirken können, wenn Krimtataren sich entschieden hätten, das Verbot zu ignorieren. Obwohl der Medschlis am Samstag beschloss, die Großkundgebung im Zentrum von Simferopol nicht abzuhalten, sagte der Medschlis-Vorsitzende Refat Tschubarow am Freitag, dass viele Krimtataren ihm gesagt hätten, sie würden das Verbot nicht beachten. Diese Versammlung hat jedes Jahr seit der Unabhängigkeit der Ukraine stattgefunden und wurde in der Regel von bis zu 30.000 Menschen besucht. Mustafa Dschemiljew, erfahrener und altgedienter Verfechter der Rechte der Krimtataren, glaubt ebenfalls, dass die Menschen dennoch auf den zentralen Platz kommen werden, “und sie haben recht – Wir müssen unsere Rechte wahren Es gab viele Dinge, die sie in der Sowjetzeit auch verboten haben”.
Das Dilemma für den Medschlis war fürchterlich. Tschubarow hat darauf hingewiesen, dass Simferopol voller “Speznas” [Sonderpolizeieinheiten] und russischen OMON (Bereitschaftspolizei) ist, die am Samstag mitten in der Stadt “Übungen” abhielten. Die Gefahr von Blutvergießen war enorm hoch.
“Können Sie sich vorstellen – gibt es 22 Regionen und in jeder Region gibt es Orte, wo die Leute hinkommen, um ihre Toten zu ehren, Orte mit Gedenksteinen; und die Krimtataren haben am 17. und 18. Mai nicht das Recht, dort zusammenzukommen, um ihren Respekt zu zollen, um die Menschen zu ehren! Ich weiß nicht, was für ein Mensch man muss sein, um nicht an die Folgen zu denken! Ich weiß nicht, wie die Menschen aufzuhalten sind, so dass sie nicht dorthin gehen. Es ist gerade so, wie wenn man allen sagt “geht nicht zu Euren heiligen Stätten, besucht Eure Toten nicht!” Wenn sie es Ihnen verboten hätten, wie würden Sie handeln? Gewalt kann alles stoppen, oder eben nicht alles – sie wird jedenfalls den menschlichen Geist nicht stoppen.”
Er verglich die Lage damit, wenn den jüdischen Menschen verboten würde, die Opfer des Holocaust zu ehren, oder den Ukrainern verboten würden – derjenigen zu gedenken, die in Holodomor verhungert sind.
Tschubarow wies die für das Verbot angegebenen Gründe als Ausreden zurück: die Ereignisse in der Südostukraine, “mögliche Provokationen von Extremisten” und die “Störung der Touristensaison”, und stellte fest, dass das Verbot gerade rechtzeitig zu den geplanten Feierlichkeiten zum Festival des “Großen Russischen Wortes” am 6. Juni endet.
Da ein Treffen zwischen Tschubarow und der Menschen- und Bürgerrechtsbeauftragten der Russischen Föderation, Ella Pamfilowa, am Samstag nicht zu einem Verzicht des Verbots geführt hat, ist es klar, dass das Vorgehen zumindest die stillschweigende Zustimmung der Behörden in Russland genießt.
Bei einer Dringlichkeitssitzung am Samstag beschloss der Medschlis, die große Versammlung in Simferopol sowie die Gedenkveranstaltung am Abend des 17. Mai “Entzünde eine Flamme in deinem Herzen” abzusagen. Die Menschen wurden statt dessen aufgefordert, in ihren eigenen Häusern Kerzen anzuzünden. Mit den Organen der örtlichen Selbstverwaltung wurden Gedenkveranstaltungen in den Dörfern und Siedlungen auf der Krim am 18. Mai von 8:00 bis 9:30 Uhr vereinbart, in Stadtteilzentren von 11:00 bis 13:00 Uhr. Tschubarow erklärte, dass die Kundgebung, die in der Stadtmitte der Hauptstadt der Krim stattfinden sollte, in diesem Jahr in der Form eines Krim-weiten Gebets stattfindet, das um um 13:00 Uhr im Simferopoler Stadtbezirk Ak-Mechet außerhalb der lokalen Moschee begonnen wird.
Die Behörden waren offensichtlich unnachgiebig. Kurz vor der Bekanntgabe der Entscheidung des Medschlis verabschiedete ein der Besatzungsregierung nahestehendes Organisationskomitee eine Entscheidung mit äußerst bruchstückhaften “Zugeständnissen” und einem offensiven “amtlich” verordneten Ton für die Gedenkveranstaltungen. Am 18. Mai werden die “Staatsflaggen der Republik der Krim auf halbmast gesetzt werden”, und Erinnerungsveranstaltungen in Städten und Stadtteilzentren zwischen 11:00 und 13:00 Uhr zugelassen. Der Ausschuss befand jedoch, es wäre “nicht ratsam”, in Simferopol eine Gedenkveranstaltung abzuhalten.
Gelenkte Erinnerung?
Die eigenartige Einstellung des russischen Präsident Wladimir Putin zur Wahrheit wird nicht nur in seiner Leugnung des russischen militärischen Engagements auf der Krim deutlich sondern ebenso in seinen unehrlichen Zusicherungen des Respekts für die Rechte der Krimtataren. Im jüngsten Bericht der UNO über die Menschenrechtssituation im Osten der Ukraine und auf der Krim werden ausdrücklich viele schwere Verstöße gegen die Krimtataren erwähnt. Dazu gehört natürlich auch das Verbot des geachteten Krimtataren-Führers Mustafa Dschemiljew, in seine Heimat zurückzukehren. In der letzten Woche gab es eine beunruhigende Anzahl von Hausdurchsuchungen bei Krimtataren, angeblich wegen des Verdachts auf “Terrorismus”.
Es scheint, dass Russland und seine Marionettenregierung auf der Krim sich auf die wenigen Krimtataren konzentrieren, die der Zusammenarbeit mit dem Besatzungsregime zugestimmt haben. Da der Medschlis und die Krimtataren die Invasion kategorisch verurteilen und die Krim als Teil Ukraine betrachten, scheint das Regime Tataren aus Kasan in Tatarstan herzubringen.
Vielen Krimtataren ist schon der Arbeitsplatz gekündigt worden, oder sie haben ihren Landbesitz verloren, wenn sie nicht die russische Staatsbürgerschaft annehmen, und es gibt einen enormen Druck, sich unterzuordnen und zu akzeptieren, wie Putin vor bestimmten ausgewählten Tataren am Freitag sagte, dass ihre Zukunft nun mit Russland verbunden sei.
Wie lange dies dauern wird, ist tragischerweise unklar. Die repressiven Maßnahmen der letzten Wochen machen es jedoch sehr unwahrscheinlich, dass mehr als nur eine Handvoll von Krimtataren die russische Herrschaft anders als als eine Tragödie ansehen wird.
Quelle: http://khpg.org/index.php?id=1400338152
Übersetzt von Euromaidan PR auf Deutsch