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Rahmenkonzept für ein Lustrationsgesetz

Rahmenkonzept für ein Lustrationsgesetz
Article by: Yuriy Lukanov
Translated by: Christine Chraibi
Edited by: A. N.

Charkiwer Menschenrechtsgruppe

Lustration

Lustration bezeichnet eine Prozedur, welche das Recht, bestimmte Ämter im Staat oder in regionalen Behörden zu bekleiden, vorübergehend eingeschränkt, sofern einer Person bestimmte Handlungen zur Last gelegt werden, die in diesem Gesetz definiert sind.

Die Staatliche Lustrationsbehörde

Der Lustrationsausschuss setzt die Politik im Bereich der Lustration um.

Der Ausschuss besteht aus 11 Mitgliedern. Der Vorsitzende des Lustrationsausschusses wird vom Parlament der Ukraine für fünf Jahre gewählt. Die Mitglieder des Lustrationsausschusses werden vom Parlament der Ukraine auf Vorschlag des Vorsitzenden des Lustrationsausschusses für fünf Jahre gewählt. Die Mitglieder des Lustrationsausschusses haben Garantien der Unabhängigkeit, ihre Entlassung ist möglich nur aufgrund eines eigenen Antrages, im Todesfall oder bei Verurteilung für ein Verbrechen oder Todschlag. Sieben der elf Mitglieder des Lustrationsausschusses müssen ein abgeschlossenes Jurastudium nachweisen.

Lustrationskriterien

Die Lustration soll nach folgenden Kriterien durchgeführt werden:

  • die Zugehörigkeit zu der Führung der Regionalkomitees der KPdSU, der Kommunistischen Partei und des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, des Gebietskomitees des Komsomols der Ukraine und des Zentralkomitees des Komsomols der Ukraine bis zum 19. August 1991;
  • Die Zugehörigkeit zu dem Dienst in der 5. Direktion des KGB der UdSSR, des KGB der USSR, des KGB anderer Sowjetrepubliken als eingestellte Mitarbeiter und geheime KGB-Agenten;
  • Zusammenarbeit mit dem Sicherheitsdienst der Ukraine als heimlicher Agent oder angestellter Geheimagent;
  • Alle Personen, die das Amt des Präsidenten und des Ministerpräsidenten innehatten oder Mitglieder des Ministerkabinetts der Ukraine waren, staatliche Beamten der Kategorien 1.-3. und ähnliche Positionen, die in der Zeit vom 25. Februar 2010 bis zum 22. Februar 2014 ein Amt bekleideten;
  • Teilnahme an der Vorbereitung oder an Entscheidungen, die zu massiven Menschenrechtsverletzungen vom 30. November 2013 bis zum 22. Februar 2014 führten.

Die zur Lustration vorgesehene Ämter

Das Lustrationsgesetz gilt für Personen, die folgende Ämter bereits innehaben oder beabsichtigen, diese zu besetzen:

  • Präsident der Ukraine;
  • Volksabgeordnete der Ukraine, Stadt- und Dorfbürgermeister sowie Abgeordnete der Gemeinderäte;
  • Ministerpräsident der Ukraine sowie alle Mitglieder des Ministerkabinetts der Ukraine;
  • Erste, zweite und dritte Kategorien von Beamten sowie rangähnliche Ämter;
  • Richter;
  • Ämter in der Staatsanwaltschaft der Ukraine mit dem Rang des Staatlichen Justizrates, der Justizräte 1. bis 3. Klasse, des Oberjustizrates, Justizrates, Unterjustizrates;
  • Ämter der leitenden und hochrangigen Offiziere der Armee der Ukraine;
  • Mitglieder der Wahlkommission.

Jede Person, die diese Ämter bekleidet oder bekleiden möchte, legt eine Erklärung vor über das Nichtvorhandensein der in den Lustrationskriterien angegebenen Umstände.

Jede Person kann freiwillig eine Erklärung über das Vorhandensein der in den Lustrationskriterien angegebenen Umstände einreichen. Gleichzeitig muss diese Person von ihrem Posten zurücktreten und eine freiwillige Selbstverpflichtung einnehmen, ähnliche Ämter während der nächsten fünf Jahre nicht zu bekleiden. In diesem Fall wird die Information über diese Person nicht veröffentlicht und die Entscheidung wird geheim gehalten.

Der Verwendungsmechanismus

Erste Variante

1. Der Lustrationsausschuss prüft die Erklärung aus eigener Initiative oder auf Antrag einer beliebigen Person

2. Der Lustrationsausschuss bearbeitet den Sachverhalt einer falschen Erklärung. Die Person hat das Recht, eigene Beweise beizubringen und eine Stellungnahme abzugeben. Der Ausschuss beschließt eine Entscheidung, gegen die innerhalb von 10 Tagen Berufung eingelegt werden kann.

3. Der Beschluss des Ausschusses kann vor dem Landesgericht und dem Obersten Gerichtshof im Berufungsverfahren überprüft werden. Der Fall kann im allgemeinen Verfahren oder in speziell gebildeten Lustrationskammern untersucht werden.

Zweite Variante

1. Der Lustrationsausschuss prüft die Erklärung aus eigener Initiative oder auf Antrag einer beliebigen Person

2. Das Landgericht bildet eine Lustrationskammer, der Präsident ernennt die Richter. Der Fall wird durch drei Richter auf Vorschlag des Lustrationsausschusses unter Einhaltung der Gesetze in einem fairen Verfahren behandelt .

3. Gegen die Entscheidung des Gerichts kann vor dem Obersten Gerichtshof Berufung eingelegt werden, wo auch eine spezielle Lustrationskammer gebildet wird. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist endgültig.

Jeder hat das Recht, gegen den Beschluss über die Lustration vor Gericht in Übereinstimmung mit den Standards für ein faires Verfahren Berufung einzulegen.

Für Richter wird ein spezielles Verfahren der Lustration eingeführt: der Lustrationsausschuss überprüft die Richter bei der ersten Wahl auf diesen Posten und auch bei der lebenslangen Zulassung. Um diejenigen Richter zu überprüfen, die mit ihren Urteilen die Menschenrechte verletzt haben, ist es notwendig, eine entsprechende Überprüfung in Übereinstimmung mit dem überarbeiteten Verfahren für Disziplinarverfahren von Richtern ohne Beteiligung des Lustrationsausschusses zu beantragen. Das sollten pensionierte Richter mit allgemeiner öffentlicher Anerkennung durchführen. Dies kann von diesem oder einem anderen Gesetz festgelegt werden.

Die Gültigkeitsdauer der Lustration

Das Lustrationsverfahren kann innerhalb von zehn Jahren durchgeführt werden.

Die Gültigkeitsdauer der Verbote

Durch den Beschluss der zuständigen Behörde kann einer Person das Ausüben eines bestimmten Berufes für 3 bis 10 Jahre je nach der Schuld und der Bewertung des Vergehens verboten werden. Am meisten zufriedenstellend ist ein Berufsverbot von 5 Jahren.

Schutz der Privatsphäre

Der Beschluss über die Lustration wird erst nach dem Abschluss aller nationalen Beschwerdeverfahren veröffentlicht. Der veröffentlichte Beschluss listet alle Gründe für diese Entscheidung auf. Wenn die Person mit allen Anklagepunkten einverstanden ist, dann bleiben diese Informationen geheim.

Erklärungsnotiz zum Konzept des Entwurfes des Lustrationsgesetzes

Lustration ist ein Werkzeug der Übergangsjustiz (engl. “transitional justice”), die nach dem Übergang von einer Diktatur zur Demokratie verwendet wird, um die Demokratie vor möglicher Umkehr zu schützen .

Lustration besteht in der Einschränkung der Rechte von bestimmten festgelegten Kategorien von Personen, die bestimmte Ämter im öffentlichen Dienst zu bekleiden, bei Wahlen zu kandidieren, Richter sind u.s.w.

Obwohl die Lustration keine Strafe im herkömmlichen Sinne ist, wird sie im internationalen Völkerrecht und in der Praxis vieler Ländern im Rahmen des Strafrechts angewendet.

Lustration wird nicht gegen verschiedene Rechtsakte angewendet, die als Ordnungswidrigkeit eingestuft werden, und Tatbestände, für die eine Person zur verwaltungsrechtlichen oder strafrechtlichen Verantwortung herangezogen werden kann.

Die Risiken der Lustration:

  • übermäßige Eingriffe in das Privatleben der Verdächtigen: in Übereinstimmung mit internationalen Standards ist ein solcher Eingriff nur im Falle des Verdachts einer Straftat legitim;

  • die Anwendung der Lustration anhand gefälschter Dokumente: es gibt viele Fälle von gefälschten Dokumenten, die von speziellen Geheimdiensten angefertigt worden waren;

  • Verwendung der Lustration für politische Zwecke, insbesondere in den Fällen, in denen klare Kriterien für ihre Anwendung fehlen, denkbar sind auch Fälle von Korruption und Erpressungen.

Internationales Recht

Das internationale Recht in diesem Bereich[1]:

  • Die Europäische Menschenrechtskonvention im Rahmen des Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privatlebens): Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine Reihe von Fällen von Lustration in Polen, der Slowakei, Lettland und anderen Ländern behandelt und bestimmte Standpunkte festgelegt [2];

  • PACE (Parlamentarische Versammlung des Europarates)-Resolution № 1481 (2006) “Über die Notwendigkeit der internationalen Verurteilung von Verbrechen totalitärer kommunistischer Regime”[3];

  • PACE-Resolution № 1096 (1996) “Über die Maßnahmen, gerichtet auf den Abbau des Erbes der früheren kommunistischen totalitären Regime abzubauen”;

  • Urteile der Verfassungsgerichte in verschiedenen Ländern.

Diese Normen können wie folgt zusammengefasst werden:

  • Die Schuld der einzelnen Personen muss separat nachgewiesen werden;

  • Jeder Mensch hat das Recht auf Verteidigung, das er bei einer Strafverfolgung hat, einschließlich das Recht auf Berufung;

  • Lustration kann nur im bestimmten Zeitraum erfolgen;

  • Die Strafe muss zeitlich begrenzt sein und bei jeder Person verhältnismäßig und individuell abgestimmt werden (in der Regel nicht mehr als 5 bis10 Jahre)

  • Die Lustration darf nicht gegen juristische Personen, die sich privatrechtlich betätigt haben, und auch nicht gegen die Personen, die in Gewerkschaften und gesellschaftlichen Vereinen, politischen Parteien, Unternehmen tätig sind, angewendet werden.

Die Regierungsbehörde, die die Lustration durchführt

Nach internationalen Normen kann die Lustration ausschließlich von einer Behörde durchgeführt werden, die entsprechende Garantien für die Unabhängigkeit besitzt. Als solche gelten in der Ukraine beispielsweise die Gerichte, der Kommissar für Menschenrechte usw. Daher sollte der Lustrationsausschuss entsprechende Garantien für die Unabhängigkeit besitzen. Es kann nach verschiedenen Verfahren eingerichtet werden, das Wichtigste ist jedoch, dass seine Mitglieder nicht aus dem Amt entlassen werden können. Am besten wäre es, wenn das Parlament die Kandidaten bestätigt, die von dem Leiter des Komitees vorgeschlagen wurden.

Bezüglich der Definition der Berufsgruppen, die die Lustration betrifft

Die folgende Liste umfasst alle Führungspositionen der zentralstaatlichen Ebene und viele Ämter auf  regionaler Ebene.

Der Beschluss des Ministerkabinetts vom 29. Juli 1991 Nr. 114 “Über die Verabschiedung der Verordnung bezüglich des Wehrdienstablaufes von Soldaten und Offizieren” definiert das Verhältnis des Ranges des Beamten zu seinem Dienstgrad. Deshalb soll in den nicht definierten Fällen die darin beigefügte Tabelle für die Einstufung von Beamten benutzt werden.

Das Gesetz kann nicht gegen die Ämter angewandt werden, die nicht dem öffentlichen Recht unterliegen, das sind Positionen in öffentlichen oder privaten Unternehmen, Institutionen oder Organisationen.

Kriterien der Lustration

Die Kriterien der Lustration müssen klar und vorhersehbar sein. Sie dürfen keine wertenden Begriffe enthalten. Lustration ist keine Bestrafung für bestimmte Delikte, daher darf sie nicht wegen der Begehung von Straftaten  angewendet werden. Umgekehrt. Lustration muss dann angewendet werden, wenn es unmöglich ist, eine konkrete Straftat festzustellen. Daher ist es beispielsweise nicht möglich zu schreiben, dass sie für alle gilt, die in einem bestimmten Zeitraum Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Faktisch ist die Lustration nach objektiven Kriterien möglich, wie Ämter, Form der Tätigkeit oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation.

Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen gibt der Person das Recht, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu wenden.

Im Allgemeinen ist die Definition von klaren Kriterien der schwierigste Teil dieses Gesetzes.

Archiv des Nationalen Gedenkens

Gleichzeitig ist es notwendig, ein Archiv des Nationalen Gedenkens zu schaffen. Dafür muss eine  geeignete Rechtsgrundlage entwickelt (geschaffen) und sein Aufbauprozess bestimmt werden. Im Rahmen des Archivs, das vor dem 1. Dezember 1991 gegründet worden sein muss, sollen staatliche Facharchive des Staatsicherheitsdienstes, des Innenministeriums, der Gerichte u.a. in die Archivbestände einbezogen werden, sowie Archivmateriale bezüglich der politischen Verfolgungen bis zum 20. Februar 2014. Solches Archiv soll in das System der Archiveinrichtungen der Ukraine einbezogen werden und Zugang zu den Archiven soll auf der Grundlage eines besonderen Gesetzes ermöglicht werden. Es ist ratsam, das Archiv des Nationalen Gedenkens und das Institut des Nationalen Gedenkens zu vereinen (dann kann der Name “Institut des Nationalen Gedenkens” erhalten bleiben).

[1]  Siehe zusätzlich ukrainische Übersetzungen der internationalen Dokumente hier: Verurteilung der Verbrechen des kommunistischen Regimes der UdSSR, Ewgenij Zakharov 2013. khpg.org.ua

[2] Siehe die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den Fällen: Turek gegen die Slowakei, 14. Februar 2006 (Antrag № 57986/00), Moczyczki gegen Polen, 14 Juni 2011 (Antrag № 52443/07),  Czodyniczki gegen Polen, 2 September 2008 (Antrag № 17625/05), Adamsons gegen Lettland, 24 Juni 2008 (Antrag № 3669/03), Matijek gegen Polen, 24 April 2007 (Antrag № 38184/03), Liubosz gegen Polen, 14 Januar 2008 (Antrag № 37469/05), Rasmusen gegen Polen, 28 April 2008 (Antrag № 38886/05), Gorny gegen Polen, 8 Juni 2010 (Antrag № 50399/07) und andere.

Quellen:
Ukrainisch http://khpg.org/index.php?id=1394476141
Englisch: http://khpg.org/en/index.php?id=1394744969

Übersetzung: Oleksij Obolensky, Olha Poberezhna, Marina Bondas
Korrektur und Lektorat: Klaus H. Walter

 

Translated by: Christine Chraibi
Edited by: A. N.
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