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Ha, und die Krim haben wir weggeschnappt!

Von Olga Kokorina

Na, meine Herrschaften Patrioten, seid Ihr stolz darauf, dass Artek [das berühmteste Sommercamp der Pioniere in der UdSSR, es befindet sich auf der Krim, Anm. d. Übers.] euch wieder gehört?

Das Krimer Referendum wurde zu einem Kunstflug der Frechheit. Tja, in ein fremdes Land gekommen, eine Abstimmung angestellt… Die Krim vor der Nase des verdutzten Westens mitgehen lassen. Ich denke der Westen hat bis zur letzten Minute nicht geglaubt, das sowas möglich ist. Aber bei uns, Jungs, ist alles möglich! 93 % – na das ist ja Demokratie! Obwohl, das sind ja noch Blühmchen, schaut mal auf Tschetschenien 2012 – da haben 99,61% für Putin gestimmt! Demokratischer ist nur Nordkorea.

Andererseits – als Kinder haben wir alle das Märchen vom Fuchs und Hase vorgelesen bekommen: Kam der Fuchs zum Hasen und bat ihn um die Übernachtung, einmal in das Haus eingeladen, verjagte er dann den Hasen aus dessen eigener Hütte; worüber soll man sich da noch wundern? Jedes Volk hat seine maßgebende Märchen. Die Helden, die über russische Schicksale bestimmen – schlaue Füchse und dumme verprügelte Wölfe, Iwan der Trottel oder der faule Jemelia, der im Leben nur einen Traum hat – liegen-ohne-aufzustehen, und dass die Brote selber in seinen Mund reinfliegen und der Ofen [auf dem er liegt] selber fährt… Das goldene Ei haben unsere Ded und Baba [Greis und die Greisin, oder Opa und Oma – Charaktere vieler russischen Märchen, Anm d. Übers.] verquackelt, Kolobok [der runde Brotlaib, auch ein Held der russischen Märchen, Anm d. Übers.] abgehauen, das Häuschen zerfallen. Doch immer können wir jemanden abzocken, der schwächer ist, oder jemanden austricksen, der naiver ist.

Dies ist das Fundament der russischen Frechheit, der so symbolisch in den Volksmärchen beschrieben wurde. Danach kommt jemand, der stärker ist als wir, er wird uns verjagen oder bestrafen, doch das kommt erst später. Dafür haben wir, so auf dem Ofenbett liegend, als einzige in der Welt in der kürzesten Zeit den Marxismus und das Evangelium verstanden, besser gesagt – auf der eigenen Haut gespürt, alle anderen sind uns so weit hinterher, wie zu Fuß nach Peking. Wir bekreuzigen uns mit unseren stählernen Flügeln, unser feuriger Motor brummt im Rhythmus der orthodoxen Gebete. Lasst die anderen mit ihrem Verstand und Zivilisation, wir haben dafür Gefühle und Vorahnungen.

Da ahnen wir gerade, dass das böse Amerika uns erobern, versklaven und auf die Knie zwingen will, und das unsittliche Europa alle unsere, ins Eiswasser bei -40 Grad tauchenden echte Kerle in Schwule verwandeln will, und es ist zum Platzen, doch unsere Gefühle sind stärker als Logik. Bei uns wird alles mit Gefühlen erklärt, damit konnten wir auch das folgende Phänomen erklären “Je mehr er schlägt, desto stärker liebt er”. [altes russisches Sprichwort, Anm. d. Übers.] Sowas nennt man bei uns geistige Werte. Weil wir eine Seele haben. Und nicht irgendeine kleine in den Gliedmaßen verlorene, sondern unsere Seele – die “russische Seele” – sie ist die Seele aller Seelen, sie entwickelt sich und wächst im Leid. Wir haben die echten Werte: das Leiden, die Gefühle der Gläubigen und Nächstenliebe.

Nicht umsonst haben wir doch die Krim stibitzt! Wir haben sie im Namen der Liebe gerettet, wir konnten es nicht anders, unser Herz blutete für sie, die Seele schmerzte, und die Vorahnung war “ach es ist alles nicht zum Guten”. Dafür werden wir respektiert – für unsere “russische Seele” und für den moralischen Kern, für deren Schutz uns weder Kräfte noch Finanzen zu schade sind. Wir schließen unabhängige Zeitungen, unabhängige Fernsehsender, üben auf die unabhängigen Radiosender Druck aus, blockieren unabhängige Internetseiten, stecken Oppositionelle in den Knast, psychiatrische Anstalten und unter Hausarrest, Lassen die Armee in die Nachbarstaaten einmarschieren. Wir kämpfen mit aller Macht um die moralische Befreiung von dem unsittlichen Westen. Und für die Befreiung des kleinen Bruders – selbstverständlich, denn für uns sind sie alle klein, dumm, unerfahren, wo kommen sie denn hin ohne uns. Die klügsten sind wir, und derjenige, der damit nicht einverstanden ist, wird es von uns so erklärt bekommen, dass er nie wieder zweifeln wird (oder gar kann).

Ich schreibe diese Zeilen und stelle mir schon vor, wie meine “geistigen Brüder und Schwestern” in den Kommentaren mir “die Augen auskratzen werden”, denn in der Vorstellung des erhabenen Mitbürgers ist es eine bewährte Methode der Verteidigung der Idealen und Prinzipien. Ich war zusammen mit den Ukrainern auf der Kundgebung vor der russischen Botschaft in Paris. Jemand stimmte die ukrainische Hymne an, andere folgten, mit verschiedenen Stimmen. Eine reine Vielstimmigkeit klang und schillerte. Die Menschen, die so zusammen und vielstimmig singen können ohne einander zu kennen, werden glücklich sein – mit oder ohne die Krim, dachte ich mir. Und wir, Jungs – lasst uns weiter den Mittelfinger von der Ofenliege zeigen, wie cool haben wir es doch letztes Wochenende allen gezeigt!

Olga Kokorina ist Regisseurin und Theaterpädagogin, Aktivistin der Bewegung Russie-Libertés, Paris (http://russie-libertes.org/ )

Quelle: http://www.svoboda.org/content/article/25300350.html

Übersetzung: Marina Bondas

 

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