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Nadija Sawtschenko: Entführt und dann wegen illegalen Grenzübertritts angeklagt

von Halya Coynash, Charkiwer Menschenrechtsgruppe

Ungebrochen in russischer Haft, jetzt ukrainische Parlamentarierin vom 27.10.2014 (aktualisierte Übersetzung) und Entführt und dann wegen illegalen Grenzübertritts angeklagt vom 29.10.2014

Wie leider zu erwarten war, hat Richterin Walentina Lewaschowa im Basmannij-Bezirksgericht in Moskau in nichtöffentlicher Sitzung auf Antrag der Ermittlungsbehörde die Untersuchungshaftanordnung gegen Nadija Sawtschenko um weitere viereinhalb Monaten verlängert, so dass sie bis zum 13. Februar 2015 in Untersuchungshaft bleiben muss.

[Inzwischen] ist die Stimmauszählung [der Parlamentswahlen der Ukraine] praktisch abgeschlossen, und es ist im Grunde sicher, dass Nadija Sawtschenko ins ukrainische Parlament gewählt wurde. Ihr Anwalt Mark Fejgin hat gesagt, dass er die Nachweise sammelt und Sawtschenkos Status als Parlamentsabgeordnete dem Gericht formal mitteilen wird. Die furchtlose ukrainische Pilotin war durch vom Kreml unterstützte Militanten gefangen genommen und dann nach Russland entführt worden, wo sie seit Anfang Juli widerrechtlich in Haft gehalten wird.

Die [vorhergehende] U-Haft-Anordnung endete am Montag, den 27. Oktober. Die Anhörung fand erneut hinter verschlossenen Türen und in Sawtschenkos Abwesenheit statt. Ihr war die persönliche Teilnahme bei den meisten Prozessterminen nicht erlaubt worden, in diesem Fall unter dem Vorwand, dass sie sich im berüchtigten Moskauer Serbski-Institut in Haft befindet, wo die Behörden sie zwangsweise einer “psychiatrische Beurteilung” unterziehen wollen. Sie hat dieses Vorgehen als rechtswidrig verurteilt und bereits im August erklärt, dass sie an so einer angeblichen “Prüfung” nicht teilnehmen werde. Laut ihrem Anwalt weigert sie sich, Fragen zu beantworten oder mit dem Personal des Instituts auf andere Weise zusammenarbeiten.

So wie der Ruf des Serbski-Instituts für Strafpsychiatrie der sowjetischen Zeit stammt, ist auch das Basmannij-Bezirksgericht in Moskau unter Präsident Wladimir Putin zu trauriger Berühmtheit gelangt, weil es in einer Vielzahl von Fällen politisch motivierte Urteile mit Gefängnisstrafen ausgesprochen hat. Insofern erscheint es unwahrscheinlich, dass das Gericht den Fall unvoreingenommen prüfen und Nadija Sawtschenko freilassen wird.

Ein Hinweis für das ungesetzliche Vorgehen in diesem Fall ist in der Tatsache zu sehen, dass das Gericht die Behandlung von Einsprüchen gegen die “psychiatrische Beurteilung” ständig aufgeschoben und schließlich bis nach dem Abschluss der “Beurteilung” verschoben hat.

Eine weitere Besonderheit dieses “Falls” ist die Tatsache, dass sowohl die Ermittlungsbehörde als auch das Gericht allen Ernstes die sogenannte Donbas-Region der Ukraine als Donezker und Luhansker Volksrepubliken bezeichnet haben.

Nach Angaben eines ukrainischen Beamten im Außenministerium handelt es sich bei Sawtschenko um eine der Gefangenen, die im Rahmen des Minsker Abkommens freigelassen werden sollte. Ein Sprecher des russischen Außenministeriums behauptete hingegen, dass dies nicht der Fall sei; da sie jedoch die erste von den durch Russland unterstützten Militanten verhaftete Gefangene ist, ist diese Leugnung völlig unhaltbar. Forderungen nach ihrer Freilassung kamen auch von hochrangigen westlichen Beamten.

Nadija Sawtschenko wurde in der [ukrainischen] Region Luhansk von Kämpfern der selbsternannten “Luhansker Volksrepublik” am 20. Juni gefangengenommen. Zwei Tage später erschien ein Video von ihr, wie sie von den Militanten verhört wird. Sie zeigte Mut bei der Vernehmung und weigerte sich, die Informationen zu geben, die die Militanten von ihr forderten.

Am 2. Juli ordnete ein russisches Gericht die Untersuchungshaft gegen sie an und verlängerte den Gewahrsam bis zum 30. August. Russlands Untersuchungsausschuss verkündete am 9. Juli, dass gegen Sawtschenko Anklage erhoben werde wegen angeblicher “in einer Gruppe begangener Komplizenschaft bei der Tötung von zwei oder mehr Personen, die ihrer amtlichen Tätigkeit nachgingen, auf eine gemeingefährliche Art und Weise und aus Gründen des politischen Hasses”.

Die Ermittlungsbehörde behauptet, dass Sawtschenko im Juni als ein Mitglied des Bataillons Aidar den Verbleib einer Gruppe von Journalisten von TV-Rossija und anderer Zivilisten außerhalb von Luhansk in Erfahrung gebracht habe und diese Informationen an Kämpfer weitergegeben habe, die die TV-Rossija-Mitarbeiter Igor Korneljuk und Anton Woloschin bei einem Mörserangriff getötet hätten.

Sie behaupten auch, dass Sawtschenko die Grenze zu Russland ohne Dokumente überquert habe, wobei sie vorgegeben habe, ein Flüchtling zu sein. Sie behaupten, dass sie zunächst festgenommen wurde, um ihre Identität festzustellen.

Diese Version der Geschichte wird von Sawtschenko mit Nachdruck abgestritten, sie selbst sagt aus, sie sei gewaltsam mit einem Sack über dem Kopf und in Handschellen über die Grenze transportiert worden. Die Version der russischen Ermittler ist insgesamt total unglaubwürdig. Mehr Einzelheiten über die Falschinformationen in diesem Fall und die Mitwirkung von russischen Fernsehjournalisten bei der Vertuschung des Sachverhalts hier: Das russische Fernsehen hilft der Staatsanwaltschaft im Fall von Nadja Sawtschenko.

Die Verteidigung hat überzeugendes Beweismaterial dafür vorgelegt, dass Sawtschenko sich bereits in Gefangenschaft befand, bevor die russischen Journalisten getötet wurden. Weder dies noch die Unstimmigkeiten in den von den Ermittlungsbehörden präsentierten Sachverhalten hatten eine Auswirkung auf die Gerichtsentscheidung, und es scheint sehr wahrscheinlich, dass einfach ein von oben verlangtes Urteil gesprochen wurde.

[…]

Der russische Untersuchungsausschuss [Ermittlungsbehörde) beabsichtigt, Nadija Sawtschenko, die von durch den Kreml unterstützten Militanten gefangen genommene und dann mit Gewalt nach Russland entführte ukrainische Pilotin wegen illegalen Grenzübertritts unter Anklage zu stellen.

Ihr Anwalt Mark Fejgin hat entsprechende Dokumente des Untersuchungsausschusses auf Twitter gepostet, in denen die Behörde zu dem Schluss kommt, dass, dass “die Ermittler glauben, dass Sawtschenko nicht entführt wurde, d.h. dass sie illegal die Grenze überschritten habe. Dies ist nach § 322 des Strafgesetzbuchs der Russischen Föderation strafbar.”

Wie hier berichtet versuchte Russland einen ähnlichen Trick nach der Entführung des linken Aktivisten Leonid Raswosschajew mitten im Zentrum von Kyiw am 17. Oktober 2012. Raswosschajew war kurz außer Haus gegangen, um etwas zu essen, während er auf die Anerkennung seines Asylantrags bei der UN-Menschenrechtskommission für Flüchtlinge (dem Kyiwer Partner des UNHCR) wartete. Seine Hilferufe waren im Büro zu hören, und er wurde gesehen, wie er in ein Auto gezwungen wurde. Zwei Tage später nahm ihn ein Moskauer Gericht für zwei Monate in Untersuchungshaft, die später verlängert wurd. Es hatte keinen Auslieferungsantrag gegeben, und Raswosschajews Aufenthalt in der Ukraine war legal. Er stand darüber hinaus als Asylbewerber unter internationalem Schutz. Die Behörden in Russland behaupteten, Raswosschajew habe sich selbst “gestellt” und “gestanden”, Massenunruhen organisiert zu haben, so heißt es in einem gegen die Opposition gerichteten Film im Kreml-eigenen Fernsehen NTV. Raswosschajew gelang es im Gerichtssaal auszurufen, dass er zu einem “Geständnis” gefoltert worden war. Auch er wurde später wegen illegalen Grenzübertritts angeklagt. Trotz all der Beweise gegen diese Version der Ereignisse verurteilte ihn ein russisches Gericht im Juli dieses Jahres (zusammen mit Sergey Udalzow) wegen Organisation von Massenunruhen und illegalen Grenzübertritts.

Die Anklageerhebung gegen Nadija Sawtschenko ist besonders grotesk, da die vom Kreml unterstützten Militanten, die sie in der [ukrainischen] Region Luhansk am 20. Juni dieses Jahres gefangen nahmen, ein Video veröffentlichten. Sie wurde von einem russischen Gericht am 3. Juli in U-Haft genommen. Auch ohne Sawtschenkos eigener Aussage, derzufolge sie gefesselt und mit einem Sack über den Kopf über die Grenze geschafft wurde, ist wohl kaum zu glauben, dass die Militanten sie zwischen dem 20. Juni und 3. Juli freigelassen hatten und sie auf eigene Faust – illegal! – nach Russland gegangen sei, um dann dort festgenommen zu werden und sich Anklagen ausgesetzt zu sehen, die sich ausschließlich auf die Aussagen der Militanten gründen.

Autorin: Halya Coynash

Quellen: Nadiya Savchenko: Unbroken in Russian detention, now Ukrainian MP vom 27.10.2014 (aktualisierte Übersetzung) und Savchenko: Abducted, then charged with ‘illegally crossing the border’ vom 29.10.2014

Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch

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