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Marsch für den Frieden in Kaliningrad endet mit Gewalttätigkeiten

Article by: Martina Steis
Edited by: Klaus H. Walter

Am Sonntag, den 21. September 2014 gingen in Moskau Tausende auf die Straße, um für Frieden in der Ukraine zu demonstrieren; die Moskauer Polizei sprich von 5000 Teilnehmern, die Organisatoren von 100.000, laut Angaben der Deutschen Welle war der Demonstrationszug mindestens zwei Kilometer lang.
Doch auch in mindestens zehn anderen russischen Städten fanden Friedensmärsche, kleinere Versammlungen und nach russischem Recht genehmigungsfreie Einzelkundgebungen statt. Allen russischen Städten gemeinsam war, dass auch Gegendemonstranten und Provokateure den Weg auf die Straße fanden. Während sie in Moskau eindeutig zahlenmäßig unterlegen waren, waren sie in anderen Städten ein massives Problem. In Nowosibirsk etwa gelang es ihnen, die Durchführung der Veranstaltung quasi unmöglich zu machen, in Woronesch griffen Gegendemonstranten zu Gewalt. Alle Friedensaktivisten gehen davon aus, dass ein Großteil ihrer Gegner von staatlicher Seite organisiert worden waren.

Besonders erschreckend sind die Nachrichten aus Kaliningrad, mehrere Demonstrationsteilnehmer wurden auf dem Heimweg überfallen und zusammengeschlagen.

Erstaunlicherweise ist bereits die facebook-Seite von Ewgenij Labudin eine gute Quelle [Anm. d. Red.: Inzwischen hat er wohl alle Inhalte entfernt oder nur noch eingeschränkt zugänglich gemacht – viele Fotos sind aber auf der Blogseite von Roman Yhnovec auf Yandex.ru zu sehen], um zu rekonstruieren, was am Wochenende in Kaliningrad passiert ist. Labudin ist seines Zeichens Kosaken-Ataman und parteiloser Abgeordneter in einer Kleinstadt im Kaliningrader Gebiet. Er soll inoffiziell für die Polizei arbeiten und sein politisches Fähnchen nach dem Wind hängen; früher hat er an Anti-Putin-Protesten teilgenommen, aktuell weht sein Fähnchen für „Neurussland“. Er sammelt auf dem zentralen Platz Kaliningrads Geld für den Donbas und konkret für kosakische Freiwillige, die an den Kämpfen in der Ostukraine teilnehmen– auch nach russischem Recht ist das strafbar. Aber das gilt ebenfalls für seine Aufrufe zu Gewalt gegen die Friedensdemonstranten, die er am Samstag auf Facebook veröffentlicht und an einen ausgewählten Kreis per SMS verschickt hat. Einer der Empfänger einer solchen SMS war Alexei Schabunin, Redakteur der Kaliningrader Zeitung  „Dwornik“  und kremlkritisch eingestellt. Er charakterisiert die generelle Situation in Kaliningrad wie folgt: „Fernsehen schauen praktisch alle. Dementsprechend befinden sich alle unter diesem zombierenden Einfluss der Putinschen Medien. [Anm.: der Fernseher wird auf Russisch umgangssprachlich Zombiekiste genannt] Kaliningrad zeichnet sich im schlechten Sinne dadurch aus, dass es hier einen hohen Prozentanteil ehemaliger Armeeangehöriger gibt – traditionell werden die sich immer vor Putin und den aktuellen Machthabern verbeugen. […] Heute [23.09.14] hat eine Leserin angerufen und gefordert, dass ein McDonalds-Restaurant nicht gebaut wird. Einige rufen an und fordern, dass Geschäfte kontrolliert werden, weil sie dort „illegal eingeführte litauische und polnische Waren“ gesehen hätten. Wenn Sie wissen, wie die UdSSR Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre war, dann verstehen sie die Atmosphäre: die Suche nach dem Feind. Einer ist schon gefunden, die Ukraine. Der zweite sind die USA. Alle, die sie befürworten, sind ebenfalls Feinde.“

„Schande der fünften Kolonne“ Foto: Roman Yhnovec
„Schande der fünften Kolonne“ Foto: Roman Yhnovec

Und so ruft Ewgenij Labudin den Friedensdemonstranten am Sonntag auch „Schande den Verrätern Russlands!“ entgegen und hält ein Schild mit der Aufschrift „Schande der fünften Kolonne“.

Nach unterschiedlichen Angaben wird er von zwischen 50 und 150 Personen dabei unterstützt, die zwischen 15 bis 20 Mutigen, die trotzdem auf die Straße gegangen sind, einzuschüchtern. Deren Transparente lauten „Russen und Ukrainer sind Brüder“ und „Beweise, dass du keine Leiche bist – schalte die Zombiekiste aus“.

Es gibt ein 34-minütiges Youtube-Video der Kaliningrader Kundgebung, darauf erzählt ein Demonstrationsteilnehmer, dass nach seinem Eindruck seit Februar staatlicherseits versucht wird, Gegendemonstranten gegen jegliche Art von zivilgesellschaftlichem Protest in der Stadt zu organisieren, an diesem Sonntag aber erstmals eine neue Qualität erreicht worden sei, der Verbalaustausch sei von tatsächlichen Übergriffen abgelöst worden.

Mit grüner Desinfektionsflüssigkeit besprühter Demonstrant - Foto: Roman Yhnovec
Mit grüner Desinfektionsflüssigkeit besprühter Demonstrant – Foto: Roman Yhnovec

Während der Demonstration wurden Teilnehmer mit dem stark grün färbenden russischen Jod bespritzt, Plakate wurden ihnen aus der Hand gerissen, die Polizei gab sich allerdings Mühe, Zusammenstöße zu verhindern und bot den Demonstrationsteilnehmern an, sie per Bus an einen ungefährlichen Ort zu bringen. Was auf den ersten Blick wie Schutz aussieht, scheint eine neue, perfide Strategie der Machthaber zu sein – auch in Nowosibirsk wurde ein Gefangenen-Transporter zum Taxi für den Heimweg umfunktioniert. In Kaliningrad eskalierte die Situation erst richtig nach Kundgebungsende.

Wieder ist Ewgenij Labudins Facebook-Seite eine gute Quelle, wer an dem Tag zu den Opfern von Übergriffen wurde. „Wasja Adrianow wurde geschlagen und hat ein Ei abbekommen, der Provokateur Schidenko ist mit Jod übergossen worden, drei sind beim „Zarja“ zusammengeschlagen worden, aus Versehen hat es Jaroslaw Wolowik getroffen (man muss doch ein Georgsband tragen als Erkennungszeichen „Unserer – Fremder”).
Die Schläge für Gorbunow und Bogdanow sind eine offensichtliche Provokation ihrerseits. Orschulewitsch und Tropar waren nicht da, sind der Strafe entgangen, Mistkerle.“

Wiktor Gorbunow ist Parteimitglied von Jabloko und bloggt auf rugrad.eu. Ihn hat es im eigenen Treppenhaus erwischt, bereits beim ersten Schlag hat er das Bewusstsein verloren.

Wiktor Gordunow im Krankenhaus - Foto: regnum.ru
Wiktor Gordunow im Krankenhaus – Foto: regnum.ru

Glücklicherweise haben sich die ersten Meldungen, er sei in der Intensivstation, nicht bestätigt. Verletzungen mittleren bis schweren Grades einschließlich einer Gehirnerschütterung werden ihn voraussichtlich bis zum 27.09. im Krankenhaus halten. Der Journalist Schabunin hatte am Dienstag mit ihm Kontakt, über den Aufenthaltsort von Andrej Bogdanow, Mitarbeiter eines Abgeordneten der Partei „Patrioten Russlands“ im Kaliningrader Gebiet und Kämpfer gegen Korruption, haben sie sich nicht ausgetauscht, da beide davon ausgehen, dass ihre Telefone überwacht werden. Bogdanow soll es besser ergangen sein, er habe dritte Personen zu seiner Hilfe alarmieren können und sei nicht lebensgefährlich verletzt.

Provokateure in Kaliningrad - Foto: Roman Yhnovec
Provokateure in Kaliningrad – Foto: Roman Yhnovec

Inzwischen konnten einige der Schläger identifiziert werden, was letztlich ganz einfach war, denn sie kamen in einem Dienstwagen einer privaten “Sicherheitsfirma”, die einem ehemaligen hochrangigen Beamten der Sicherheitskräfte gehört.

Der zweite Mann von rechts ist Maksim Buga, ein amtlich eingetragener Kosake. Er telefonierte, während er Bogdanow und Gorbunow beim Einsteigen in den Bus beobachtete - Foto: Andrey Bogdanov
Der zweite Mann von rechts ist Maksim Buga, ein amtlich eingetragener Kosake. Er telefonierte, während er Bogdanow und Gorbunow beim Einsteigen in den Bus beobachtete – Foto: Andrey Bogdanov

 

Auch Schabunin ist überzeugt, dass diese Übergriffe staatlich initiiert sind. „Beweise gibt es keine und wird es wahrscheinlich auch nicht geben. Ich erzähle das, was ich aus acht Jahren meiner Arbeit für die Zeitung „Dwornik“ weiß. Ein deutsches Publikum wird das natürlich nicht glauben. Ein italienisches könnte es glauben, sie haben ähnliche Erfahrungen mit der ’Ndrangheta in Kalabrien. Kein einziger Idiot wird Aktivisten in Kaliningrad überfallen und zusammenschlagen, wenn er nicht überzeugt ist, dass er ungestraft davonkommt.“

Die Titelseite der Zeitung "Dwornik", die als einzige über den "Maarsch für den Frieden" in Kaliningrad berichtet hat - Foto: Blog rugrad.eu
Die Titelseite der Zeitung “Dwornik”, die als einzige über den “Marsch für den Frieden” in Kaliningrad berichtet hat – Foto: Blog rugrad.eu
Edited by: Klaus H. Walter
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