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Provokationen, Stellvertreter und Glaubhafte Abstreitbarkeit

Russlands ferngesteuerter Krieg in der Ukraine

Quelle: Pierre Vaux, James Miller, Catherine A. Fitzpatrick für interpretermag.com.
16.6.2014. Übersetzung aus dem Englischen

Von Russland unterstützte Separatisten in der Ukraine. Photo von Reuters.

Russlands Militär- und Geheimdienstsektor ist seit Monaten aktiv am Konflikt in der Ostukraine beteiligt, diese Position wird von den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union und den ukrainischen Behörden selbst vertreten. Doch Beweise, welche die russische Regierung endgültig der direkten Einmischung auf der anderen Seite der Grenze überführen, sind schwerer zu sammeln, da Wladimir Putin sich entschieden hat – zumindest vorerst – einen “besonderen Krieg” auf dem Gebiet seines Nachbarn zu führen, einen Krieg, der alle Kennzeichen einer Maskirovka trägt. Maskirovka ist ein in der sowjetischen Militärdoktrin etabliertes Prinzip der Tarnung, der Leugnung und der Täuschung. Die wichtigsten Merkmale der Maskirovka sind die Aufrechterhaltung der “Glaubhaften Abstreitbarkeit“, Verschleierung von Kräften und Desinformation sowie Täusch- oder Dummy-Strukturen, um die Fähigkeit des Gegners zu reduzieren, Vorhersagen zu treffen oder auf Aktionen zu reagieren.

Das Schlüsselelement in der aktuellen Krise in der Ukraine war die Fähigkeit des Kremls, trotz einer offenen Aggression, Einmischung und Invasion alles glaubhaft abstreiten zu können. Ohne diese Aufmachung wären die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen, von denen Russlands Einfluss abhängig ist, gefährdet. Dieser Einfluss ist sehr wichtig, insbesondere mit Blick auf die europäischen Staaten, die sehr lange zögern würden, ihre Geschäftsinteressen und Gasversorgung zu opfern.

Die Beziehungen wären einem viel stärkeren Risiko ausgesetzt gewesen, wenn Russland mit markierten Militäreinheiten in die Ukraine eingedrungen wäre. Indem die Krim von nicht markierten Truppen besetzt wurde, und die Präsenz russischer Streitkräfte bis zum Ende der Vorführung abgestritten wurde, schaffte sich Wladimir Putin den nötigen Raum, um Gesicht zu wahren. Kein Staatschef war bereit, Verluste in Kauf zu nehmen, wenn es nicht unbedingt sein musste. Die Invasion der Krim wurde von europäischen und amerikanischen Diplomaten noch als mögliches Zukunftsszenario behandelt, als schon lange klar war dass Russland eine militärische Invasion von souveränem europäischen Territorium begonnen hatte – und das war es schon im Laufe der ersten 24 Stunden nach Ankunft der “kleinen grünen Männchen” an den Flughäfen und Verwaltungsgebäuden

Wenn man weiß, dass ein Gegner wenig oder kein Interesse an Militäraktionen besitzt, heißt dass, dass man seinen Gegnern lediglich erlauben muss, das eigene Gesicht zu wahren. Dies wurde mit tragischen Konsequenzen in Syrien getestet und bewiesen, wo Putin und Assad es dem kriegsmüden und desinteressierten Westen mit Hilfe eines ziemlich schalen Triumphes – nämlich der Entfernung und Zerstörung des syrischen Chemiewaffenarsenals – ermöglichten, auf die bereits angedrohten militärische Aktionen zu verzichten. Es war ein schaler Triumph, da weder das Morden mit konventionellen Methoden gestoppt wurde, noch – wie wir es vor Kurzem wieder gesehen haben – das Morden mit Chlorbomben, also mit chemischen Mitteln.

Natürlich, wenn eine westliche Militäraktion gegen das Assad-Regime nur eine halbherzige Drohung, dann ist die Aussicht auf eine westliche Militäraktion gegen Russland ein absurder Witz. Indem das absolute Minimum an Abstreitbarkeit aufrecht erhalten wurde – also lediglich die Insignien von Uniformen entfernt wurden, Soldaten befohlen wurde, nicht zu sagen, woher sie stammen (manchmal taten sie es trotzdem), und alles  wiederholt geleugnet wurde, während man gleichzeitig mit großer Geschwindigkeit handelte, war Putin in der Lage, eine vollständige Besetzung und Annexion der Krim durchzuführen, während die klobigen Zahnräder der Diplomatie kämpften, um eine zusammenhängende, aber entsprechend taktvolle Reaktion hervorzubringen. Nachdem er sich versichert hatte, dass NATO-Truppe keinen Angriff auf Sewastopol starten würden, um es für die Ukraine zurückzuerobern, fühlte sich Putin komfortabel genug, um zuzugeben, hatte sich russische Truppen beteiligt hatten.

Die Situation im Süden und Osten der Ukraine ist jedoch viel komplexer und erforderte einen viel höheren Grad des Leugnens. Es gibt eine Reihe von Gründen dafür: das Gebiet ist viel größer als die Halbinsel Krim; die Unterstützung für Russland in der Bevölkerung ist nicht so hoch; es gibt es keine großen russischen Militärstützpunkte in der Region von denen aus man Operationen starten und so tun kann, als ob der normalen Arbeit nachgegangen wird.

Statt lediglich die Identität der Truppen vor Ort zu maskieren, hat der Kreml seine ganze operative Tätigkeit so delegiert, dass er sie als Aktionen unabhängiger Gruppen, deren Interessen nur zufällig mit denen der russischen Regierung zusammenfallen, präsentieren kann. Diese scheinbar unabhängigen Akteure arbeiten sowohl auf politischer, als auch auf operativer Ebene.

Drei Figuren der russischen Politik waren in Verbindung mit den separatistischen Gruppen gut sichtbar. Die ersten beiden, Aleksandr Barkaschow und Wladimir Schirinowski, sind Führer der rechtsextremen Parteien in Russland. Der dritte, Ramsan Kadyrow, ist Putins brutaler Marionettendiktator über den inzwischen-unterdrückten gerne-abtrünnig-gewesenen Staat Tschetschenien.

Schirinowskis unpassend benannte “Liberal-Demokratische Partei Russlands” (LDNR) ist  eine rassistische rechte Gruppe, die in der Staatsduma die Rolle der zahmen Opposition spielt und von Anfang an in der Ukraine-Krise sichtbar gewesen ist. Es war ein Abgeordneter aus Schirinowskis Partei, Leonid Slutsky, der als Vorsitzender des “Staatsduma-Ausschusses für GUS-Angelegenheiten, Verbindung mit Landsleuten, und der eurasischen Integration” warnte:

“Ich denke, dass wir im Falle von Provokationen gegen die Bewohner im Osten und Südosten der Ukraine und der Republik Krim geeignete Maßnahmen ergreifen werden.”

 

Warnungen vor “Provokationen” und Bedrohungen

Diese Rede von “Provokationen” war ein wiederkehrendes Thema in den Warnungen und Drohungen von Putins peripheren Sprachrohren. In einem al-Dschasira-Interview Anfang Februar warnte Sergej Markow, Co-Vorsitzender des russischen Nationalen Strategischen Rats, und ehemaliger Berater von Wladimir Putin, die Zuschauer vor bevorstehenden “Provokationen” in der Ukraine während der Olympischen Spiele in Sotschi:

Meine große Sorge was die Sicherheit von Sotschi angeht… ist es, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht, dass jemand ein Blutvergießen oder eine Provokation in der Ukraine organisieren will.

Er behauptete anschließend, dass der Krieg mit Georgien 2008 das Ergebnis davon war, dass jemand “Blutvergießen” zwischen den georgischen Truppen und “russischen Friedenstruppen” entlang der Grenze organisiert hatte. Während er in früheren Aussagen behauptet hatte, dass es sich bei diesem schattenhaften Drahtzieher um Dick Cheney handelte, wurde dieses Mal Cheneys Name weder in Verbindung mit Südossetien, noch mit der Ukraine genannt.

Ich denke, es besteht eine große Gefahr, dass jemand aus den gleichen Gründen das gleiche Blutvergießen auf den ukrainischen Straßen organisieren könnte… Es ist meine ernsthafte Sorge, und ich möchte die westlichen Politiker fragen, ob sie wissen, dass solches Blutvergießen oder solche Provokationen jetzt auf den ukrainischen Straßen auftreten, in der U-Bahn, in den Bussen, es ist eine höchst gefährliche Situation.

Es wurde von vielen in der Ukraine vermutet, dass der Kreml selbst solche “Provokationen” organisierte. Während der Maidan-Proteste gab es außerhalb und innerhalb der Ukraine Spekulationen, dass in Wirklichkeit russische Sicherheitskräfte hinter den Entführungen, Foltern und Morden an Aktivisten der Opposition standen. Es gab auch Befürchtungen, dass gewalttätige Provokationen die Opposition diskreditieren sollten, mit Hilfe von Regierungs-Titushki und den mysteriösen “Narnia“-Aktivisten, die in Körperpanzerung erschienen, die Polizei angriffen und das Kyiwer Rathaus plünderten, nachdem die Swoboda und andere Aktivisten das Gebäude verlassen hatten.

Schon mindestens seit den Präsidentschaftswahlen 2004 wurde vermutet, dass der Kreml Neonazi-Provokateure einsetzte, um die ukrainische Opposition zu diskreditieren. Anton Shekhovstov, ein Experte für Osteuropas rechte Bewegungen, schrieb einen hervorragenden Blog-Beitrag, in dem er detailliert die russischen Bemühungen schilderte, die ukrainische Opposition als Neonazis zu brandmarken. Darin diskutiert er einen Marsch, der 2004 von der faschistischen ukrainischen Nationalversammlung zur Unterstützung der Präsidentschaftskandidatur von Viktor Juschtschenko 2004 durchgeführt wurde:

Andriy Schkil zufolge, damals Führer der UNA-UNSO, wurde die ganze Veranstaltung von Viktor Medwedtschuk inszeniert, der damals Leiter der Präsidialadministration (unter Präsident Leonid Kutschma) war, und später am Wahlbetrug zugunsten des pro-russischen Janukowitsch beteiligt war, der die “Orange Revolution” ausgelöst hatte. Medwedschuk war (und ist) auch für seine engen persönlichen Beziehungen zu Wladimir Putin, dem Taufpaten von Medwedtchuks Tochter bekannt.

Der Kremllinie ganz treu drohte Anfang Februar Sergej Glasjew, ein Berater von Putin, der sich mit den ukrainischen Beziehungen befasst, mit russischen Maßnahmen als Reaktion auf die empfundene westliche Einmischung, und berief sich dabei auf die Verpflichtungen Russlands und der Vereinigten Staaten im Rahmen des Budapester Memorandums von 1994, die Souveränität der Ukraine aufrecht zu erhalten:

“Was die Amerikaner jetzt anfangen, ist eine unilaterale und grobe Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine, und ein klarer Verstoß gegen diesen Vertrag. Die Vereinbarung erfordert kollektive Garantien und kollektives Handeln.”

Im gleichen Interview mit Kommersant-Ukraine behauptet er, dass die USA Geld und Waffen an die “Rebellen” liefern würden.

Im Rückblick, vier Monate später, erscheinen diese Behauptungen, dass die USA in der Ukraine Rebellen organisieren und bewaffnen würden, wie ein platter Versuch, eine Nebelwand zu errichten, während sich Russland selbst zur Durchführung dieser Maßnahmen vorbereitete. Aber bereits früher, im September 2013, machte Glasjew Russlands Absichten im Falle einer ukrainischen Loslösung von Russland sehr klar: Er warnte, dass, würde sich die Ukraine der EU annähern und die russischsprachige Bevölkerung sich dem widersetzen, Russland “gesetzlich berechtigt” sei, “diese zu unterstützen”.

 

Die rechtsextreme Unterstützung für die Separatisten

Wladimir Schirinowski selbst war in Simferopol während der russischen Übernahme der Krim. Während der südöstlichen Krise führte er am 6. Mai eine Werbeveranstaltung durch, auf der er verkündete, dass er einen gepanzerten Tigr-Geländewagen mit den Initialen seiner Partei nach Luhansk schicken werde. In Militäruniform gekleidet versprach er jedem “Soldaten, Offizier oder Bürger, der irgendwann als erstes nach Kiew durchbricht und eine russische Flagge auf der Werchowna Rada [dem ukr. Parlament; der Üb.] hisst”, ein Wolga-Automobil zu schenken.

Vor kurzem wurde die Flagge seiner Partei LDNR über einem Trainingslager der Separatisten von der BBC gefilmt. In der Video-Bericht stellte Adam Kenyon fest, dass der Anführer dieser Miliz, Alexej Moskoy, vor kurzem von “Gesprächen mit den Beamten in Moskau” zurückgekehrt sei.

140606 - ldpr flag training camp bbc

Letzte Woche wurden Schirinowski dabei gesehen, wie er den selbst-erklärten “Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Donezker Volksrepublik”, Denis Puschilin, in seinem Büro in Moskau empfing.

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Ein weiteres Mitglied der russischen extremen Rechten, Aleksandr Barkaschow, dem Führer der Neonazi-Bewegung Russische Nationale Einheit, wurde mit separatistischen Aktivitäten in Verbindung gebracht.

Der separatistische “Volksgouverneur der Region Donezk”, Pavel Gubarew, war Mitglied der Barkaschow-Bewegung und wurde auf Treffen der Russischen Nationalen Einheit in Belarus und Russland fotografiert und gefilmt.

Am 7. Mai, einen Tag nach Schirinowskis Werbegag, veröffentlichte der ukrainische Sicherheitsdienst (SBU) eine Audioaufzeichnung eines abgefangenen Telefonats zwischen Barkaschow in Moskau und Dmytro Boitsow, den sie als einen der “Führer der  unregistrierten orthodoxen Donbas-Organisation” in Donetsk beschrieben.

Während des Gesprächs schien es, als ob Barkaschow Boitsow Instruktionen für das Fälschen des Referendums geben würde, über das sich die Separatisten besorgt zeigten:

Boitsow: Die Truppen sind gelandet… Donetsk wird sich nicht erheben…

Wenn wir keine Unterstützung bekommen, wenn Russland nicht seine Truppen herbeischafft, sind wir im Arsch. Ich sage das Referendum für den 11. ab, weil es nicht abgehalten werden kann. Wir können es nicht rechtmäßig durchführen, solange diese Schwanzlutscher hier sind.

Barkaschow: Dima, Dima Dima, du wirst es niemals absagen. Das würde bedeuten, dass du Angst bekommen hast…

Boitsow: Nein, wir haben überhaupt keine Angst. Wir können es einfach nicht abhalten, wir sind nicht bereit.

Barkaschow: Dima, prügeln es einfach durch, wie du willst. Schreib so etwas wie 99% drunter … Wirst du zu Fuß rumgehen und Papiere sammeln? Bist du verdammt nochmal verrückt geworden? Vergiss es, fick sie doch alle…

Boitsow: Verstanden.

Barkaschow: Schreib, dass 99% … naja, nicht 99% … sagen wir mal 89%  für die Donezker Republik stimmen. Und das war’s, verdammte Scheiße.

Schirinowski wird in dem Gespräch auch erwähnt, als Barkaschow seine Frustration über die empfundene Untätigkeit im Kreml ausdrückt:

Barkaschow: Ich war der erste, der an den Präsidenten schrieb, dann Schirik [Schirinowski] und Sjuganow [Führer der Russischen Kommunistischen Partei] … Am Ende sprach jeder im Fernsehen, sogar Kadyrow am Abend …

Boitsow: Jeder wird ihm den Rücken kehren – Russland, Ukraine, Weißrussland – wenn er nicht hilft.

Barkaschow: Worauf zum Teufel wartet unser verdammt er Präsident? Ich habe keine verdammte Ahnung … Die Menschen schreiben bereits und sind sehr empört. Sie machen ihn runter, aber das ist, was ich nicht tun kann … Ich bin einfach nicht in der Lage, ihn zu beschimpfen, und ihn runterzumachen? Verstehst du?

Boitsow: Natürlich, das sicher ein Chaos.

Diese abgefangenen Nachrichten sollten mit Vorsicht behandelt werden. Es ist möglich, dass Barkaschows Distanz zum Kreml und seine Frustration mit diesem echt ist. Er ist noch viel eher ein politischer Außenseiter als Schirinowski, mit dem Putin immer gerne auftrat, und dessen nationalistischen Ideen der Präsident manchmal öffentlich unterstützte. Aber es ist auch möglich, dass diese Information bewusst an den SBU durchgestochen wurden, oder, was noch beunruhigender ist, dass einige im SBU daran arbeiten, die russische Desinformation zu unterstützen. Stanislaw Retschinsky, der ehemalige Leiter der Öffentlichkeitsabteilung des SBUs sagte im Januar, dass:

Mehr als eine Quelle hat bereits ausgesagt, dass FSB-“Spezialisten” in den SBU-Büros sitzen.”

Es scheint unwahrscheinlich, dass der FSB jeden Einfluss auf den SBU in der Zeit seit Janukowitschs Sturz verloren hat. Im April vermutete Vitaliy Naida, ein hoher Beamter in der Gegenspionage-Abteilung des SBU, dass ein ausgedehntes Netz russischer Agenten dafür verantwortlich war, dass in Semyonowka, in der Nähe von Slawjansk, ein SBU-Team in eine Falle lief.

Die Separatisten in der Ukraine erhielten auch begeisterte Unterstützung und Beratung vom nationalistischen russischen Ideologen Aleksandr Dugin, dem Hauptvertreter des “Eurasianismus” und häufigen Berater Putins. Am 9. April schrieb Dugin diese Nachricht auf seiner Facebook-Seite:

Wir sehen diese Maßnahmen als eine militärische Annexion gegen die Menschen in der Volksrepublik Donezk und rufen alle unsere Unterstützer und Milizen auf, zur allgemeinen Mobilmachung zum Versammlungsplatz am Gebäude des Nationalrats zu kommen, um Bereitschaft zu zeigen, unsere Positionen zu verteidigen. ALLE ZUM GEBÄUDE DES NATIONALRATS! ALLE ZUR VERTEIDIGUNG DER DONEZKER NATIONALREPUBLIK! “*

Dugin gab Berichten zufolge auch per Telefon Ratschläge an Gubarews Frau, Jekaterina, während sich der “Volksgouverneur” in Gefangenschaft befand.

Aleksandr Dugin in South Ossetia in July 2008. Photo: wikipedia
Aleksandr Dugin in Südossetien im Juli 2008. Foto: Wikipedia

Es wäre von großem Vorteil für den Kreml, wenn die russische Unterstützung für die Separatisten nicht als von oben kommend gesehen würde, sondern als von marginalen Neonazis oder von romantischen Nationalisten ausgehend. Diese Gruppen würden völlig aus eigenem Antrieb handeln, und Putins Hände sauber halten.

Natürlich muss der Kreml diese Gruppen nicht selbst erfinden. Es gibt eindeutig diejenigen unter den Separatisten und der russischen Rechten, die auf eine solche Gelegenheit gehofft haben, um sich für lange Zeit der patriotischen Kriegsführung zu widmen. Die Regierung kann diese in einigen Fällen gewähren lassen. Geld kommt sicherlich nicht nur vom Kreml. Konstantin Malofejew, ein russischer Milliardär, der zuvor Chef von Marshall Capital war, wurde direkt mit separatistischen Aktivitäten sowohl auf der Krim, als auch im Donbas in Verbindung gebracht.

Aleksandr Borodaj, der selbst erklärte “Premierminister” der separatistischen Donezker Volksrepublik, arbeitete als “Berater” für Marshall unter Malofejew. Der russische Journalist Oleg Kaschin weist darauf hin, dass Aufzeichnungen zufolge Malofejew eine Million Dollar an den separatistischen “Volksbürgermeister” von Sewastopol, Andrei Chaliy überwiesen hat. Borodaj, ein russischer Staatsbürger, war Redakteur der ultra-nationalistischen Zeitung Zavtra (Morgen) in den 90er Jahren und schreibt weiter für diese. Er ist gründete 2011 den Fernsehsender Den (Tag) zusammen mit dem neostalinistischen Antisemiten Aleksander Prochanow. Für Leute wie Borodaj ist die Motivation, sich an der Kampagne im Südosten der Ukraine zu beteiligen, klar. Sie haben lange den nationalistischen Moment erwartet, den Putin propagiert hat. Es war einfach für den Kreml, seine Hände in Unschuld zu waschen, wenn es solche Figuren gibt, die bereit sind, in den Kampf zu springen. Borodaj wurde auch durch abgehörte Telefongespräche mit Igor Strelkow, auch bekannt als Igor Girkin, in Verbindung gebracht.

Strelkow ist einer der zwei berüchtigsten Separatistenführer, zusammen mit Igor Bezler, der auch als Bes (“Dämon”) bekannt ist. Beide wurden von der SBU als Beamten des GRU (des russischen Militärgeheimdiensts) identifiziert, waren aber Thema wiederholter Gegenbehauptungen und “Leaks”, die sie als ehemalige oder Reserveoffiziere darstellen, die selbständig agieren.

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Bezler, der zuletzt in einem Video eine scheinbare (und möglicherweise inszenierte) Hinrichtung durchführte, stellte sich bei der Polizei von Gorlovka als Oberstleutnant der russischen Armee vor. Er wurde später von regionalen Medien entweder als lokaler Gangsterboss (der einen zwielichtiges Bestattungsunternehmen betrieb) oder als ehemaliger Offizier der Spetsnas [Spezialeinheiten; der Üb.] identifiziert, der Leiter eines privaten Sicherheitsdienstes geworden sei. Am 16. April schrieb Oleksej Gontscharenko, Politiker aus Odesa in seinem Blog detailliert über Bezler. Ihm zufolge war Bezler ein ehemaliger Offizier, der in Afghanistan und Tschetschenien gedient hatte. Er sagte auch, dass Bezler bei einem Bestattungsunternehmen, und bei einer erfahrenen Fallschirmjäger-Organisation gearbeitet hatte. Zwei Tage später gab der SBU einen Haftbefehl heraus, der Bezler als GRU-Agenten beschrieb.

Genauso war Strelkow, der von den Separatistenführern vermutlich am besten bekannt ist, Gegenstand umfangreicher Desinformationkampagnen. Seit seiner Identifizierung durch den SBU als GRU-Offizier, wird er als ein exzentrischer ehemaliger Offizier dargestellt, der seine Tage mit militärischen Nachstellungen verbringt, und von der Wiederherstellung der Monarchie träumt. Eine angebliche Sammlung seiner E-Mails wurde in einem verdächtigen Vorgang von einer neu entstandenen russischen Hacker-Gruppe geleakt.

Eines der Gespräche in dieser Sammlung scheint zwischen Strelkov und Olga Kulygina stattzufinden, einer russischen Journalistin, mit der er offenbar regelmäßige Korrespondenz zu pflegen und für die er den Hintergrundcheck eines “Freiwilligen” durchführt, der für ihren Freund “Marat”, vermutlich Marat Musin als Leibwächter oder etwas ähnliches in Syrien arbeiten soll. Diese und weitere Gespräche erwecken den Eindruck, dass Strelkow Kriegserfahrung aus der Zeit der Jugoslawienkriege besitzt. Es ist sehr gut möglich, dass diese E-Mails stark bearbeitet oder sorgfältig ausgewählt wurden, um einen gewissen Eindruck zu erzeugen. In einer E-Mail an Strelkow, die auf den 24. Februar 2013 datiert ist, fragt ihn Kulygina: “Wie ist der Dienst?” Wir vermuten, dass sich dies auf seine Rolle in den Sicherheitsdiensten bezieht. Strelkow antwortet: “Ich steige aus.”

“Ja, das war’s, Nachbesprechung/Bericht schon niedergeschrieben. Hab schon einen neuen Job (in der Probezeit).”

Während die geleakten E-Mails die Möglichkeit offen lassen, dass der neue Job “auf Probe” alles sein könnte, einschließlich anderer Arbeit für den Staat, gibt es keine schlüssigen Beweise, die auf GRU-Tätigkeit hinweisen. Sie hinterlassen starke Andeutungen, sind aber nicht ausreichend, um als Beweishilfen zu dienen, und halten damit die Glaubhafte Abstreitbarkeit für den Kreml aufrecht. Indem genug Material an die Öffentlichkeit gestreut wurde, um es vollständig erscheinen zu lassen (es befinden sich über 3GB E-Mails in diesem Leak), könnten die Sicherheitsdienste den Eindruck erwecken, es wäre zu einer Offenbarung von Transparenz gekommen, während sie ihre realen Handlungen maskieren.

Es kam zu anderen Verhaftungen scheinbarer russischer Agenten durch den SBU. Am 5. April erklärte der SBU, dass er einen russischen Staatsbürger, Roman Sergejewitsch Bannych dabei verhaftete, wie er die Grenze zur Region Luhansk überschritt:

Bannych, geboren 1985, ist in Einheit 13204 registriert, die Teil des GRU (Hauptverwaltung Aufklärung der Vereinigten Stabsschefs der Russischen Föderalen Streitkräfte) ist, und organisiert und koordinierte direkt die Arbeit einer Sabotagegruppe aus den russischen Territorien, die in der Ukraine aktiv war. Der Zweck dieser streng geheimen Gruppe war es, die Verfassungsordnung zu stürzen und die Macht zu ergreifen, terroristische Handlungen zu begehen, Separatismus anzustacheln und die Situation in den östlichen Regionen des Landes zu destabilisieren.

Am 9. verkündete der SBU die Festnahme von Maria Koleda, einer jungen Russin, von der er behauptete, sie koordiniere die Teilnahme an separatistischen Aktivitäten in Mykolaiv, Cherson und Donezk. Koleda ist angeblich ein Mitglied der pro-Kreml-Bewegung Rossiya Molodaya (Junges Russland), bezeichnet sich auf ihrer Seite in VKontakte als “revolutionär” und zeigt dort eine Reihe von Fotos von sich selbst, auf denen sie mit Waffen posiert. Koleda scheint jedoch kein Mitglied der russischen Sicherheitsdienste zu sein: der SBU berichtet, dass bei ihrer Festnahme eine “nichttödliche Pistole” gefunden worden sei, die angepasst wurde, um mit scharfer Munition zu schießen, sowie “Richtlinien für die Vorbereitung von Ablenkungsgruppen”. Die umfangreiche Online-Präsenz deutet ebenfalls darauf hin, dass sie keine Mitarbeiterin der Sicherheitsdienste ist. Die Festnahme könnte jedoch bedeuten, dass die russischen Sicherheitsdienste enthusiastische Freiwillige rekrutieren, um ihre Arbeit für sie zu tun, diese also eine Kampagne mit Hilfe von Stellvertretern führen.

140409 - маria koleda

Später im gleichen Monat sagte der Leiter des SBU, Valentyn Nalyvaitchenko, in einer geschlossenen Sitzung der Werchowna Rada [dem ukr. Parlament; der Üb.], dass der Sicherheitsdienst bisher im Osten der Ukraine mehr als 20 russische Agenten festgenommen habe. Andriy Parubiy, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine bestätigte gegenüber den ukrainischen Medien die Inhaftierung von zwischen 23 und 25 GRU-Offizieren. Dennoch hat der SBU trotz solcher Ankündigungen bisher noch keine tragfähigen Beweise vorgelegt.

 

Kadyrow

Eine weitere politische Schlüsselfigur Russlands, die vom Kreml als Stellvertreter für eine offenere Aggression gegenüber der Ukraine eingesetzt zu werden scheint, ist Ramsan Kadyrow. Der tschetschenische Diktator hat gedroht, ‘Freiwillige’ in die Südostukraine zu schicken und auch selbst dorthin zu gehen, um die Regierungstruppen zu bekämpfen, während er regelmäßig die Anwesenheit von tschetschenischen Kämpfern trotz gegenteiliger Berichte bestreitet.

Gegen Ende Mai tauchte eine neue separatistische militärische Streitkraft auf, die größere Angriffe unternahm und den ukrainischen Streitkräften schwere Verluste zufügte. Den Namen des separatistischen Bataillons – Wostok (Osten) – teilte man mit einem berüchtigten, vom russischen GRU kontrollierten Speznaz-Bataillon, dem weitgehend Tschetschenen angehören, die in den Kaukasus-Kriegen und Südossetien gekämpft haben. Dieses Bataillon wurde im Jahr 2008 nach Spannungen zwischen seinem Anführer Sulim Jamadajew und Kadyrow aufgelöst, bei denen es sogar im Juni des gleichen Jahres eine Schießerei gegeben hatte.

Männer aus der Einheit wurden in Donezk von Journalisten mit der Aussage auf Video aufgenommen, dass sie “Kadirowzy” (Anhänger von Kadyrow) aus Tschetschenien seien. Weitere Beweise sind lokale Berichte in Tschetschenien über die Rückkehr der Leichen von Kampfteilnehmern aus der Ukraine. Die regionale Nachrichtenseite Caucasian Knot berichtete, dass sie in den letzten Tagen von der Ankunft Dutzender Leichen erfahren habe. Ein Bewohner sagte zu ihnen:

“Wenn sie sagen, dass dort keine Tschetschenen sind, dann ist das eine schamlose Lüge. Im Laufe der letzten zwei Wochen wurden frühere Soldaten aus den Speznaz-Bataillonen Sapad und Wostok, die unter GRU-Befehl stehen, dorthin losgeschickt. Es gibt auch eine Art von Freiwilligen aus anderen Organisationen. Niemand spricht über die Verluste, zu denen es fort kommt, aber ich weiß, dass unter den Gefallenen ein Bewohner aus unserem Bezirk ist, aus dem Dorf Germentschuk, dessen Leiche gestern nach Hause gebracht wurde, aus Donezk. Es gibt auch Tote aus Urus-Martan, Gudermes und anderen Orten.”

Ein ehemaliges Mitglied der separatistischen tschetschenischen Regierung erzählte anonym den Reportern:

“Die Praxis, Tschetschenen und Angehörige anderer Völker aus dem Nordkaukasus bei dem  einen oder anderen Konflikt, bei dem die Interessen Russlands betroffen sind, ist seit Anfang der 90er Jahre üblich gewesen. Es genügt, an die Ereignisse in Berg-Karabach und Abchasien zu erinnern, bei denen tschetschenische Feldkommandeure kämpften, die später bekannt wurden, wie Umalt Daschajew, Schamil Bassajew, Ruslan Gelajew und andere.”

Der Einsatz einer öffentlich freimütig sprechenden, geographisch und politisch aber weit entfernten Figur wie Kadyrow hätte auch Vorteile für den Kreml, weiterhin alles abzustreiten. Entweder sind die Wostok-Kämpfer Freiwillige, oder sie sind Kadirowzy, aber eben nicht unter der direkten Kontrolle von Moskau (die Illusion einer Autonomie für Kadyrow ist eine nützliche Requisite für Putin).

Aber Mark Galeotti, ein Experte für die russischen Sicherheitsdienste, ist überzeugt, dass Wostok direkt unter russischer Kontrolle steht. Im Gespräch mit Business Insider sagt er:

“Das ist eine spezifisch russische militärische Geheimdienst-Operation, … “Sie stellten diese Truppe auf, und ihre Rolle ist zu versuchen, wieder ein gewisses Maß an Kontrolle über die Situation zu erlangen. Moskau begann darüber alarmiert zu sein, wie sich in der Ostukraine das Chaos verbreitete und örtliche Kriegsherren mächtiger wurden.”

Wostok ist eines der Instrumente Moskaus, um eine Frieden des Siegers zu erreichen. Seine Rolle ist “im wesentlichen politisch”, sagt Galeotti: “Wostok ist Putins Mittel zur Kontrolle über andere, weniger disziplinierte pro-russische Kämpfer.”

Es gab allem Anschein nach einen Versuch, die Geschichte  eines der markantesten Beweisstücke, nämlich den Rücktransport von Leichen in die Russische Föderation zu manipulieren. Etwa zur gleichen Zeit, als der Caucasian Knot über die Rückkehr der Särge nach Tschetschenien berichtete, bot Aleksandr Borodaj plötzlich Journalisten des Radiosenders Echo Moskwy die Möglichkeit an, die Fahrt eines Lastwagens mit Leichen aus Donezk nach Russland zu dokumentieren. Hier ist ein Auszug aus ihrem Bericht:

“Gegen Abend saßen wir mit Kollegen in einem Hotelrestaurant zum Abendessen und wurden von einem Mann aus der Umgebung von Alexandr Borodaj, dem Ministerpräsidenten der selbsternannten Donezker Volksrepublik angesprochen.

Er sagte, dass am nächsten Tag eine Kolonne mit zwei Lastwagen mit Leichen von Donezk nach Russland fahren würde, und bat die Journalisten um einen Gefallen: nämlich sie an die Grenze zu begleiten. Er versprach, in einer halben Stunde anzugeben, wo genau sie abfahren werden und wer die Fracht begleiten würde. Er bat uns, ihm zu diesem Zeitpunkt eine Antwort zu geben, ob wir bereit wären, mitzufahren. Wir waren fassungslos darüber, was wir da gerade gehört hatten.

Dies war das erste Eingeständnis, dass russische Bürger in den Schlachten im Donbas sterben.”

Die Journalisten durften die Fahrt eines LKW mit der Aufschrift “Fracht-200” (in der Sowjet-Ära war dies der Code für militärische Todesfälle) auf seiner Reise nach Russland begleiten. Die Einladung war irgendwie verdächtig. Nachdem Borodaj sich angestrengt hatte, Behauptungen über russische Beteiligung zu widerlegen, und kurz vorher zugestanden hatte, dass tschetschenische Kämpfer in Donezk im Einsatz waren, bot er jetzt Journalisten eine scheinbare Transparenz in Bezug auf die Herkunft seiner Kämpfer an. Den Journalisten wurden nur einer der 31 Namen der Gefallenen auf den Totescheinen gezeigt, und sie schaffte es, ein paar weitere Namen herauszufinden. Über einen dieser Männer, Sergej Schdanowitsch, wurde in dem Bericht in Echo Moskwy geschrieben, er würde auf VKontakte-Seiten als Mitglied des FSB beschrieben. Die genannten Seiten enthielten allerdings keine Erwähnung dieser Verbindung, und es scheint keine Beweise  mehr für diese Behauptung zu geben. Der Bericht wurde anschließend von der Nowaja Gaseta für diese scheinbare Ungenauigkeit in Frage gestellt. Der Ursprung der Behauptung ist unbekannt, aber es wäre überraschend für Echo Moskwy, eine sehr respektierte Nachrichtenquelle, wenn sie solch ein kritisches Detail skurril erfunden hätten.

Das überraschende Angebot und das anschließende Debakel mit Schdanowitsch deuten auf einen vorsätzlichen Versuch von russischen Sicherheitsdiensten, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen. Die Zahl der Opfer nach dem ukrainischen Angriff auf die Separatisten am Flughafen Donezk hatte es unhaltbar gemacht, die Herkunft der vielen gefallenen Kämpfer zu verschleiern. Aber durch die scheinbare Transparenz in der Angelegenheit, während man zugleich die an Journalisten gegebenen Informationen weiter kontrolliert und diese vielleicht durch absichtliche Irreführung als unzuverlässig erscheinen lässt, waren die Organisatoren der Reise mit der “Fracht-200” in der Lage, die Situation wieder unter Kontrolle zu bekommen und sie zu ihrem Vorteil zu nutzen.

Das unvermeidliche Problem bei dem Versuch, bestimmte Beweise der russischen Beteiligung festzunageln, ist, dass es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass Russlands kompetente Geheimdienste offene Spuren hinterlassen. Stattdessen müssen wir mit schwer fassbaren Indizien arbeiten. Es gibt überwältigende Beweise dafür, dass Russland auf einer fast täglichen Basis mit den Separatisten Absprachen trifft und sie mit großen Mengen von High-Tech-Waffen und Personal über die Grenze unterstützt. Es sei denn, die Grenzüberwachung der Russischen Föderation (heute eine Abteilung des FSB) ist völlig ungeeignet für die Aufgabe und die lokalen Polizei- und Sicherheitsdienste sind nicht in der Lage, große Konvois von nicht-staatlichen Kämpfern in Militärfahrzeugen in einem dicht besiedelten und militarisierten Gebiet wie der Südwestgrenze mit der Ukraine zu entdecken, dann ist es unmöglich, dass der Staat nicht daran beteiligt ist.

Der jüngste Vorfall, der auf eine russische Intervention hinweist – im Gegensatz zur Finanzierung oder logistischen Unterstützung – war das Erscheinen von drei T-64BV Panzern in der östlichen ukrainischen Stadt Snischne am Donnerstag, den 12. Juni. Die NATO hat einen Bericht herausgegeben, demzufolge diese Panzer mit großer Wahrscheinlichkeit russische Fahrzeuge waren, die aus dem Lager geholt und in die Ukraine transportiert wurden. Ein interessanter Aspekt dieser Geschichte ist, dass politikus.ru, eine Kreml-nahe russische Nachrichtenwebseite, die in der Vergangenheit Desinformationen verbreitet hat, am 9. Juni, drei Tage vor dem Erscheinen der Panzer in Snischne, eine Geschichte veröffentlichte, in der sie die Beschlagnahme von drei ukrainischen T-64s durch separatistische Kämpfer beschreibt.

Screenshot from YouTube video purportedly showing T-72 tank in Snezhnoye.
Screenshot aus einem YouTube-Video, das angeblich einen T-72 Panzer in Snischne zeigt

Diese Behauptung ragt aus einer Reihe von Gründen hervor. Zum einen bietet der Bericht keinerlei Quellen, sondern beruft sich schwammig auf “Berichte aus sozialen Netzwerken”. Zweitens brachte kein anderes Medienunternehmen, weder ein russisches noch ein ukrainisches, einen solchen Bericht. Solche Nachrichten sind erwartungsgemäß von großer Bedeutung, denn den Separatisten fehlte bisher schwere Bewaffnung. Das ukrainische Militär hat keinen Bericht über einen solchen Verlust herausgegeben. Drittens gibt es online keine anderen Berichte über eine Beschlagnahme. Normalerweise laden die separatistischen Kämpfer Videos und Fotos von ihren Eroberungen hoch, paradieren regelmäßig mit erbeuteten gepanzerten Mannschaftswagen. Diese Fahrzeuge werden von Einheimischen und auch Journalisten gesichtet . In den dazwischen liegenden drei Tagen gab es keinerlei Hinweise darauf, dass dieser Bericht der Realität entsprach. Stattdessen scheint es, als ob der Bericht von russischen Agenten vor einer geplanten Operation in die Medien platziert wurde, um drei Panzer dieses Modells auf ukrainisches Territorium zu schicken. Die Fahrzeuge wurden so gewählt, wie sie beim ukrainischen Militär häufig verwendet werden, in Russland selber aber ausgemustert sind. Ein Bericht des Internationalen Instituts für Strategische Studien aus dem letzten Jahr besagt jedoch, dass Russland eine große Anzahl dieser Panzer als Reserve eingelagert hat. Die Fahrzeuge in dem Video von Snischne sind deutlich sichtbar, ohne Markierungen oder Camouflage-Muster, wie sie in der Regel auf ukrainischen Armeepanzern vorhanden sind. Anton Geraschenko, ein Berater des ukrainischen Innenministeriums, hat öffentlich spekuliert, dass die Panzer so ausgewählt wurden, um die öffentliche Meinung zu manipulieren.

 

Der Schnittpunkt zwischen verdeckter Kriegsführung und offener Einschüchterung

In den ersten Wochen der separatistischen Bewegung im Osten war das ukrainische Militär zögerlich, unmittelbar zu intervenieren – aus Sorge, die angespannte Situation zu verschärfen. Als Ende April die Separatisten jedoch große Teile des Ostens unter Kontrolle hatte, startete das Militär der Ukraine seine Antiterroroperation (ATO). Am 23. und 24. April war das ukrainische Militär in der Lage, Slowjansk, die Zentrale der Aufständischen, zurückzuerobern. Jedoch bestätigten an diesem Tag aufgenommene Videos und Augenzeugenberichte, dass Konvois russischer Panzern, Truppen und Ausrüstung schnell in Richtung der Grenze rasten. Angesichts dieser Bedrohung kündigte die Ukraine an, dass sie ihre Antiterroroperation aus Sorge vor einer direkten Intervention Russlands anhalte. Und somit erlaubte die offene Drohung den russischen Kräften die Verstärkung des mit verdeckter russischer Unterstützung durchgeführten Aufstands bis hin zu der Situation, dass die Separatisten bis Ende Mai so gut bewaffnet und ausgerüstet waren, dass sie erneut militärische Siege gegen die ukrainischen Sicherheitskräfte erringen konnten. Als die Bedrohung durch die Niederlage der Aufständischen entschärft war, machte Russland dann erneute Zusagen, seine Truppen von der Grenze der Ukraine zurückzuziehen.

Im letzten Wochen haben sich die Medien auf Anzeichen der Russen konzentriert, dass es den Konflikt durch Abzug seiner Truppen und Anerkennung der ukrainischen Präsidentschaftswahl deeskalieren wolle. Während Russland diese Zusage insgesamt dreimal abgab, dauerte es noch mehrere Tage (und wirklich mehr als eine Woche), bis die NATO nach der dritten Zusage eine erhebliche Truppenbewegung weg von der Grenze der Ukraine bemerken konnte. Dies und die Tatsache, dass Russland die Wahl des neuen Präsidenten der Ukraine Petro Poroschenko anerkannt hatte, hatte den Medien einen Eindruck vermittelt, dass Russland an der Beendigung dieser Krise interessiert sei, und sie konnten weiter ziehen. Russland verfolge nach dieser Erzählung keine Pläne mehr, in die Ukraine einzumarschieren.

Doch während Russland diese Ouvertüren machte, verfiel die Situation im Osten der Ukraine in Wirklichkeit dramatisch. Ende Mai erstürmten von Russland unterstützte Bewaffnete den Flughafen Donezk, nachdem sie mehreren Wellen von militärischen Operationen der Ukraine widerstanden hatten, die es zum Ziel hatten, die von bewaffneten Separatisten gehaltene Gebiete zurückzuerobern. Kurz danach wurde die Anlage von der Ukraine zurückerobert (mit Unterstützung durch Luftangriffe aus Hubschraubern und Kampfjets). Alle Schätzungen deuten darauf hin, dass bei diesen Angriffen mindestens 50 Separatisten getötet wurden. Aber wie erwähnt wurden in den folgenden Tagen zwischen 31 und 33 Leichen zurück nach Russland transportiert. Das könnte bedeuten, dass die Mehrheit der toten Separatisten russische Bürger waren.

Mit diesem Vorfall übernahm das Wostok-Bataillon die militärische Kontrolle der separatistischen Führung und begann Stützpunkte der ukrainischen Nationalgarde und Grenzaußenposten anzugreifen. Bei diesen Angriffen fielen eine erhebliche Menge an Waffen in die Hände der Aufständischen, was die die Fähigkeit zum Glaubhaften Abstreiten erhöhtedass also die Militanten nicht vom Kreml ausgerüstet worden waren, sondern sich selbst durch eroberte ukrainische Waffen bewaffnet hatten. Aber diese Siege haben es den Separatisten auch erlaubt, Kämpfer, Waffen, Lastwagen und gepanzerte Fahrzeuge und möglicherweise sogar Panzer über die Grenze zu bringen, um den pro-russischen Aufstand abzusichern.

Zwischen dem 14. Juni und 16. verstärkte jedoch das ukrainische Militär seine Antiterroroperationen. Am Morgen des 16. Juni wurde durch eine viel robustere militärische Reaktion auf separatistische Gewinne die Stadt Mariupol zurückerobert, und man war bereit, Luhansk zurückzuerobern und die Grenze zu sichern, und damit die Separatisten von Russland abzuschneiden. In Reaktion auf diese neue Bedrohung für den Aufstand gab es erneut Videos und Augenzeugenberichte, die die Angaben von der ukrainischen Regierung bestätigten, dass Konvois russischer Truppen wieder in Richtung der ukrainischen Grenze rasten. Nach Wochen der angeblichen Deeskalation drohte der Kreml in dem Moment, als der Aufstand im Osten der Ukraine gefährdet erscheint, mit einer offenen Drohung. Dies war ein Versuch, die Ukraine einzuschüchtern, ihren Erfolgszug aus Angst vor der Auslösung einer militärischen Reaktion von Seiten Russlands anzuhalten, weil dadurch eine Niederlage garantiert sei.

Schwer bewaffnete Männer, von denen viele russische Bürger sind, kämpfen mit militärischer Effizienz in koordinierten Attacken, schlagen gegen markante Ziele zu, die den Besitz von geheimdienstlichen Informationen auf Militär-Niveau voraussetzen, all dies dient als überzeugender, aber dennoch nur als Indizienbeweis, dass die separatistischen Rebellen direkt vom russischen Militärgeheimdienstapparat unterstützt werden. Aber die methodischen Schnittpunkte von diplomatischen, propagandistischen und militärischen Aktionen der russischen Regierung mit den militärischen und politischen Realitäten vor Ort im Osten der Ukraine beweisen, dass zumindest der russische militärische Nachrichtenkomplex seine Anstrengungen mit den Kreml-Separatisten koordiniert, um den Osten der Ukraine zu destabilisieren und Russlands Kontrolle über die Post-Janukowytsch Ukraine zu erhöhen.

Das Problem für die Ukraine und den Westen liegt darin, dass es Putin gelingt, sein Gesicht und damit seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss so lange zu wahren, wie er den direkten staatlichen Einfluss dementieren kann. Durch die möglichst lange Verwendung von Stellvertreter-Gruppen und die Verbreitung von Desinformation verschafft sich der Kreml selbst die notwendige Zeit, die Situation zu destabilisieren, bis die ukrainische Kontrolle im Donbas nicht mehr haltbar ist. Wohl wissend, dass die europäischen Staaten das bis zum Letzten aushalten werden, bevor sie ihre wirtschaftlichen Interessen opfern (beispielhaft sind hier der fortgesetzt betriebene französische Export der Angriffsschiffe Mistral und die britischen Zurückhaltung, die Wirtschaftsbeziehungen zu riskieren), kann Putin so lange wirken, wie das dünnste Scheibchen Zweifel daran besteht, ob der russische Staat tatsächlich die volle Kontrolle über die Operation besitzt.

Quelle: http://www.interpretermag.com/provocations-proxies-and-plausible-deniability/

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