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Kann die Ukraine im Informationskrieg mit Russland gewinnen?

Mini-Nachrichtenagenturen entstehen in Kiew, um dem Kreml etwas entgegenzusetzen
Peter Pomerantsev, 11. Juni 2014, “The Atlantic” (Übersetzung)

Der gestürzte Präsident Wiktor Janukowytsch im ukrainischen Fernsehen, Februar 2014 (Alex Kuzmin / Reuters)

Wladimir Putin kann mit der Ukraine an der militärischen Front Katz und Maus spielen, aber Russland hat schon seit langem die großen Bataillone im internationalen Informationskrieg mobilisiert: der Kreml investiert Hunderte von Millionen Dollar für englischsprachigen Rundfunk, geistige Beeinflusser, PR-Firmen und Kampagnen der Kulturdiplomatie.

Die Ukraine hat unterdessen international weder Stimme noch Bild. Die ukrainische Schriftstellerin Oksana Sabuschko nahm dieses Dilemma 1996 in ihrem Roman “Fieldwork in Ukrainian Sex” zum Thema, worin die Heldin versucht, auf Konferenzen in der ganzen Welt die Nation zu fördern, nur um immer wieder gefragt zu werden: “Ukraine? Wo ist das?” Selbst diejenigen, die schon von der Ukraine gehört haben, haben kaum Assoziationen zu dem Land, außer über Prostitution, Gangster, ab und zu einen Sport-Star und nun seine Revolution und den anhaltenden Konflikt mit Moskau. In dieses Informationsvakuum kann die russische Propaganda ihre Botschaften platzieren, die den geopolitischen Bedürfnissen des Kreml entsprechen. Und das bedeutet im Moment, dass man die Ukrainer als Faschisten diffamiert oder die Idee verbreitet, dass die Ukraine gar kein echtes Land sei und damit eine Invasion ihr gerechtes Schicksal sei.

Was kann die Ukraine also tun, um sich dagegen zu wehren? Wie kann man einen modernen Informationskrieg gegen einen weit mächtigeren Feind gewinnen? Als ich vor kurzem in die Ukraine reiste, um zunächst vor Studenten Vorträge über die russische Propaganda zu halten und dann Mitarbeiter der ukrainischen Medien zu treffen, hörte ich immer wieder das neue Modewort “Informationshoheit”, obwohl anscheinend jeder eine andere Vorstellung davon hatte, was genau es zur Folge haben werde.

Euromaidan PR (PR steht für Public Responsibility = öffentliche Verantwortung) wurde während der Proteste, durch die der ukrainische Präsident Wiktor Janukowytsch aus dem Amt gejagt wurde, gegründet und besteht aus etwa 200 englischsprachigen Freiwilligen in der Ukraine und im Ausland. Diese Freiwilligen, die von Geologen bis zum Restaurantbesitzer reichen, entlarven die russische Desinformation auf Facebook (24.000 Anhänger), Twitter (35.000 Anhänger), und dem Blog der Organisation (13.000 Aufrufe pro Tag). Im März zum Beispiel verbreitete die Gruppe Fotos, die nach Angaben der russischen Medien Schlangen von Flüchtlingen aus der Ukraine nach Russland zeigten. Die Bilder zeigten allerdings tatsächlich den Alltagsverkehr an der Grenze zwischen der Ukraine und Polen.

“Wir sind im Grunde Übersetzer und Redakteure. Wir sehen etwas in der russischen Propaganda und reagieren”, sagte Alya Shandra, die 29-jährige Koordinatorin von Euromaidan PR, als wir uns zu einer Suppe als Mittagessen in Kyiw trafen. Während der Proteste verließ Shandra ihren Arbeitsplatz beim Kyiwer Fahrradverband, um die Website ins Laufen zu bringen, und verbringt manchmal bis zu 18 Stunden am Tag mit dem Projekt. “Wir haben kein Zutrauen in die großen ukrainischen Fernsehsender und setzen auf kleinere, unabhängige Quellen wie Ukrayinska Prawda oder Hromadske-TV, um unsere Informationen zu überprüfen”, erklärte sie. Die meisten der größeren ukrainischen TV-Sender gehören Oligarchen, und jeder verfolgt seine eigene Agenda, und ihr Engagement für eine objektive Information muss man in Frage stellen.

Das “Ukraine-Crisis Media Center” ist eine kraftvollere Operation. Das Zentrum betreibt Pressebriefings – mit Leuten wie EU-Kommissaren bis hin zu zivilgesellschaftlichen Anführern – aus dem dritten Stock des Hotels Ukrayina, das über dem zentralen Platz von Kyiw oder dem Maidan thront. Es hat laut “Fehlinformation” gerufen, als etwa in einem Artikel im Guardian behauptet wurde, dass Neo-Nazis in Kyiw die Macht übernommen hätten.

“Wir sind eine Ansammlung von fünf PR- und Werbeunternehmen, die realisiert haben, dass es der Regierung nicht gelang, Informationen in die Öffentlichkeit zu bringen”, erzählte mir Wassyl Myroschnytschenko, einer der führenden Organisatoren des Zentrums, als ich ihn in seinem Büro besuchte, das mit Broschüren und Plakaten aus der normalen Tätigkeit seiner Firma mit Aufträgen von CNN und Google in der Ukraine usw. vollgestopft ist. “Normalerweise konkurrieren wir untereinander um die Aufträge, aber uns war klar, dass es sich um einen nationalen Notstand handelt, und bei einer Mitternachtssitzung beschlossen wir eine Partnerschaft.”

Der Kampf gegen falsche Information ist nur ein Teil der Herausforderung, die Demontage der Kreml-Netzwerke und -Narrative ist jedoch ein härterer Job.

“Ich war kürzlich in den USA und war überrascht, wie viele Menschen in Washington mit Russland sympathisieren”, sagte Myroschnytschenko. “Es gibt eine ganze Fachwelt, die von Moskau bewirtet wurde, die zu den jährlichen Think-Tank-Treffen Putins am Waldai eingeladen wurde. Wie viele von ihnen sind in den Vorständen von russischen Unternehmen oder werden von russischen Quellen finanziert? Wir brauchen ein Überwachungssystem, um die Namen der pro-russischen Beeinflusser herauszufinden, damit sie ein wenig Hitze spüren. Und wir müssen unsere neue Regierung der Welt vorstellen: Wir haben einen Präsidenten und einen Ministerpräsidenten, die Englisch sprechen, unsere Minister haben in den USA und Großbritannien studiert. Ukraine muss ein wenig Marketing für sich selbst machen, um die Welt davon zu überzeugen, dass wir kein gescheiterter Staat sind, wie die Russen behaupten.”

Aber wie schafft es die Ukraine, außer der bloßen Reaktion auf Behauptungen des Kreml eine positive, international inspirierende Stimmung über sich selbst zu erzeugen?

“Ich bin sicher, wenn westliche Hausfrauen erkennen, dass ihre Knödel dieselben Zutaten wie ukrainische Warenyky haben, dann wird ihr Interesse an unserem Land wachsen und sie verstehen, wie intensiv wir verbunden sind,” sagte Mychailo Smutok, der eine neue Stelle als allgemeiner Produzent der staatlichen ukrainischen “International Broadcasting Company” antritt, um dem englischsprachigen Kanal RT (Russia Today) des Kreml zu begegnen. Smutok, ein Doktorand der Philosophie, hat ein viel kleineres Budget als seine russischen Rivalen: er hofft, auf 10 bis 15 Millionen Dollar vom Staat, im Vergleich zu den schätzungsweise 300 Millionen Dollar für RT. Aber als wir in einem Restaurant mit dem Namen “Ukrainisches Essen mit einem europäischen Akzent” im Gebäude des Kyiwer Fernsehzentrums saßen, war er voller Begeisterung.

“Ich möchte den westlichen Zuschauern zeigen, wie tief die Verbindungen der Ukraine mit der Welt reichen”, erklärte er. “Weiß denn Zum Beispiel jemand, dass Anne, die Gemahlin des französischen Königs im elften Jahrhundert, eigentlich aus Kyiw kam und das Reimser Evangelium nach Frankreich mitgebracht hat?”

Smutoks Ansatz ist edel, aber da ich selbst mehr als ein Jahrzehnt lang mit westlichen TV-Dokumentationen gearbeitet habe, fürchte ich, dass das Publikum für Programme über ukrainische Knödel und osteuropäische Geschichte sehr begrenzt sein wird. Smutoks Rivale RT hat auch im Jahr 2005 begonnen, indem sie positive Geschichten über russische Geschichte und Kultur gesendet haben – und niemand kümmerte sich darum, und die Ratings waren schrecklich. Nach und nach veränderte RT seine Strategie hin zu einer Plattform für Westverschwörungstheoretiker, Rechtsnationalisten und extrem linke Radikale, die mit Russland sympathisieren. Die Formel funktioniert: RT behauptet, dass sie jetzt mehr als 644 Millionen Menschen weltweit erreichen, und man kann Meldungen über die Politik des Kreml zwischen populäre Programmteile einfließen lassen.

Jede ukrainische Version sollte natürlich die Tendenz von RT zur Verbreitung massiver Desinformation vermeiden, aber man sollte den Erfolg des russischen Kanals beim Aufbau eines Publikums im Sinn behalten. Das Geheimnis ist dabei, nicht die eigene nationale Geschichte in den Vordergrund zu stellen sondern sich populärer Themen und Anliegen anzunehmen.

Die ukrainischen Medien könnten sich zum Beispiel auf die internationale Korruption konzentrieren – eine direkte Schnittstelle der ukrainischen und westlichen Bedenken und Sorgen. Offshore-Steuerhinterziehungsoasen und zweifelhafte Finanzinstrumente provozieren Ärger nicht nur in den Vereinigten Staaten; sie waren auch Grund für die Empörung in der Ukraine und animierten das Land in der Euromaidan-Protestbewegung gegen korrupte Beamte. Nehmen sie Janukowytschs bunten Palast in Meschyhirja. Das Anwesen wurde mit veruntreuten ukrainischen öffentlichen Geldern finanziert, die über London und Luxemburg gewaschen wurden. Eine solche Berichterstattung hätte den zusätzlichen Vorteil der Verschiebung der Aufmerksamkeit auf die Achilles-Ferse des Kreml: Die Finanzspielereien der russischen Elite und derjenigen Westler, die es ihnen ermöglichen. Ein Exposé über die Geldwäsche auf dem Londoner Immobilienmarkt wäre eine tolle Möglichkeit, um anzufangen.

Genau so wichtig wie das, was ukrainische Nachrichtenagenturen aufdecken, ist die Frage, wer die Speerspitzen der Berichterstattung sind. Kann man einem korrupten Staat oder Oligarchen mit politischen Ambitionen zutrauen, eine international glaubwürdige Nachrichtenagentur zum Thema Anti-Korruption und Anti-Desinformation zu schaffen? Wahrscheinlich nicht. Um vertrauenswürdig zu sein, muss die ukrainische Presse durch die Zivilgesellschaft und nicht den Staat geführt werden. Die Euromaidan-Bewegung erzeugte Hromadske TV, einen unabhängigen Online-Kanal, der zur zuverlässigsten Nachrichtenquelle während der Revolution wurde. Hromadske, mit Spenden und kleinen Zuschüssen aus westlichen Botschaften finanziert, plant ein Budget von 1,5 Millionen Dollar in diesem Jahr für den laufenden Betrieb. Daraus könnte eine internationale Stimme für die Ukraine werden. Die Herausforderung für die mutigen Journalisten des Senders ist es, einerseits die Kreml-Desinformation abzuwehren und gleichzeitig den Druck auf ihre eigenen Beamten aufrecht zu erhalten, das Land zu reformieren und die Korruption zu besiegen.

Quelle: http://www.theatlantic.com/international/archive/2014/06/can-ukraine-win-its-information-war-with-russia/372564/

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