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Die blutige Ukraine: Anwälte sammeln Beweise für ein “Schwarzbuch” der Gewalt

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Tötungen, Folter, Entführungen, Verhaftungen – das ist die Ukraine Ende 2013 und Anfang 2014

Keine Strafverfolgung von Beamten

Zwei Monate lang hatten Menschenrechtler und Anwälte kaum die Zeit, die vielen Fälle von Schlägen, Misshandlungen, Schikanen, Missachtung der Rechte von Verhafteten und gegen Kaution Freigelassenen, die Verletzungen des Rechts auf Privatsphäre bei Durchsuchungen sowie die Verletzungen des Rechts auf Vereinigungsfreiheit und Meinungsäußerung zu dokumentieren.

„Die Menschen vertrauen dem existierenden System der Justiz und der Regierung in der Ukraine nicht mehr. Kein einziger Beamter der Sicherheitskräfte ist wegen seiner illegalen Gewaltanwendung inhaftiert worden, auch wenn er eindeutig identifiziert wurde. Gleichzeitig wurden über 200 Personen, die man eigentlich als Geiseln ansehen muss, in Haft genommen,“ sagte der Rechtsanwalt Wasyl Kysil, Mitglied der Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine.

“In solchen Fällen, wenn die Opfer zu uns kommen, können wir davon ausgehen, dass die Gewalt von staatlichen Beamten ausging. Darüber hinaus hatten die Opfer Verletzungen an den Händen, ihnen wurden die Augen gequetscht. Dies sind derart schwerwiegende Fälle, die unbedingt vom europäischen Gerichtshof für Menschenrechte untersucht werden müssen,“ sagte Stanislaw Schewtschuk, ein Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

 

Ukraine hat das Statut des Internationalen Strafgerichtshof nicht ratifiziert.

Ukrainer und die Welt wurden Zeugen von Taten, die unter die Kategorie “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” fallen, sagten die Anwälte.

“Ukraine hat das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (Vertrag von Rom) zwar unterzeichnet aber noch nicht ratifiziert. Der Staat ist rechtlich nicht an Abkommen (einschließlich des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs) gebunden, wenn er nicht Vertragspartei ist. In einem Ausnahmefall kann ein Staatsanwalt ein Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einleiten, wenn er vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dazu aufgefordert wird,“ sagte Wolodymyr Wasylenko, ein früherer Richter am Internationalen Gericht für das ehemalige Jugoslawien.

 

Sicherheitskräfte haben Journalisten und Ärzte vorsätzlich angegriffen.

Neben den Fällen von Folter, Entführungen, Einschüchterungen und Schlägen gegen friedliche Zivilpersonen wurden während der Auseinandersetzungen auch Verletzungen unbeteiligter Personen dokumentiert. Insbesondere am 22. Januar wurden Ärzte und Sanitäter von der Polizei angegriffen, und Journalisten wurden während des gesamten zweimonatigen Konflikts Opfer der Sicherheitskräfte.

„Ich war dabei zu dokumentieren, wie Pflastersteine gegen die Protestierenden geworfen wurden. Dann sah ich, dass etwas gegen mich geworfen wurde, konnte mir aber einfach nicht vorstellen, dass es sich um eine Granate handelte. Jetzt habe ich mein linkes Auge verloren, die Sehkraft meines rechten Auges hat sich dramatisch verschlechtert und ich kann kaum noch sehen. Meine Motorik ist gestört. Ich habe Gehörstörungen und nachts extreme Kopfschmerzen. Ich kann kaum schlafen, und mein linkes Auge schmerzt sehr stark, obwohl es nicht mehr vorhanden ist,“ sagte der Journalist Ihor Demtschenko.

Nach vorläufigen Schätzungen wurde seit Beginn der Proteste insgesamt 136 ukrainische und ausländische Journalisten verletzt. Nach Angaben des Instituts für Informationen der Öffentlichkeit handelte es sich dabei um gezielten Beschuss, Zerstörung von Arbeitsmaterialien und Schläge, um die Journalisten an der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit zu hindern.

“Das einzige internationale Gericht, das solche Verbrechen untersucht, ist der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag,” sagte Kysl. „Es gibt bisher keinen Fall, dass Urteile dieses Gerichts nicht vollstreckt wurden. Was für uns heute als eine Banalität erscheinen mag, kann in zehn, fünfzehn oder zwanzig Jahren durchaus ein Fall für dieses Gericht werden. Es gibt dort keine Verjährung.“

 

Anwälte dokumentieren die Gewalttaten in einem “Schwarzbuch”.

Prominente ukrainische Anwälte mit internationaler Erfahrung haben eine Kommission gegründet, um Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine zu untersuchen. Die gesammelten Beweise werden in einem „Schwarzbuch“ zusammengefasst und den internationalen Institutionen zur Verfügung gestellt.

Die wichtigste Rolle der Kommission wird sein, die Beweise angemessen aufzubereiten, damit sie internationalen Institutionen vorgelegt werden können. Sobald ukrainische Bürger den nationalen Rechtsweg ausgeschöpft haben, werden die Materialien an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof weitergeleitet. Das „Schwarzbuch“ wird mit dem Zweck erstellt, die in einer Datenbank gesammelten Beweise an den UN-Sicherheitsrat sowie anderen Ländern, die sich für eine demokratische Entwicklung der Ukraine einsetzen, weitergeleitet,“ sagte der Rechtsanwalt Stanislaw Batryn, Mitglied der Kommission zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine.

„Schauen sie sich den Artikel 7 des [Statuts des] Internationalen Strafgerichtshofs an: Da geht es um Straftaten wie Mord, Folter, schwere Körperverletzung, Entführung, vorsätzliche Sachbeschädigung. Mit anderen Worten, all das, was derzeit gerade in der Ukraine geschieht,“ Sagte Wasylenko.

Das Statut von Rom, Voraussetzung für den [Zugang zum] Internationalen Strafgerichtshof, ist in der Ukraine nicht in Kraft getreten.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag untersucht. Allerdings ist das Statut von Rom, der völkerrechtliche Vertrag, mit dem der Internationale Strafgerichtshof eingerichtet wurde, in der Ukraine nicht in Kraft getreten. Die Ratifizierung dieses Statuts war eine der Voraussetzungen für das Assoziierungsabkommen mit der EU, das Präsident Janukowytsch nicht unterzeichnet hat.

“Dieses Statut war eines der Hauptgründe, warum die Regierung das Assoziierungsabkommen nicht unterzeichnen wollte,” erklärt Walerij Tschalyjy, internationaler Experte am Rasumkow-Zentrum (Ukrainisches Zentrum für Wirtschafts- und Politikstudien). „Das Assoziierungsabkommen enthielt neben den vieldiskutierten Fragen des Handels auch wichtige politische Verpflichtungen. Insbesondere enthielt es die Verpflichtungen, den Voraussetzungen des Internationalen Strafgerichtshofs nachzukommen. Sehr wahrscheinlich hat jemand, der die persönlichen Implikationen dieser Voraussetzung durchschaut hat, nicht gewollt, diesen Schritt zu tun,“ sagte er.

“Wenn es zu einer Eskalation von Menschenrechtsverstößen in der Folge massiver Gewaltanwendung gegen friedliche Zivilpersonen kommt, kann der UN-Sicherheitsrat dem Internationalen Strafgerichtshof die Gerichtsbarkeit übertragen. Es ist unwahrscheinlich, dass Putin die Autorität Russlands aufs Spiel setzt, um das Ansehen von Janukowytsch zu retten,“ sagte Wasylenko außerdem.

Arkadij Buschtschenko, Vorsitzender der Ukrainischen Helsinki-Gruppe meint jedoch, dass die Wahrscheinlichkeit eines solchen Schritts sehr zweifelhaft sei. „Wenn man sich die Fälle anschaut, in denen solche Sondergerichte eingesetzt wurden – beispielsweise Jugoslawien und Ruanda – da ist das Ausmaß der Verbrechen nicht vergleichbar. Ein solcher Beschluss der Vereinten Nationen würde heißen, es handelt sich um eine humanitäre Katastrophe in der Ukraine,“ sagte er.

 

Ukrainer können sich an den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wenden

Trotz der dokumentierten Sachverhalte und Beweise gab es in der Ukraine weder Ermittlungen der Menschenrechtsverletzungen noch eine Bestrafung der dafür Verantwortlichen. Demzufolge haben Opfer nach Abschluss des ukrainischen Rechtswegs die Möglichkeit, ihren Fall dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof vorzulegen. Wenn dieses Gericht feststellt, dass eine Rechtsverletzung vorgelegen hat, dann wird praktisch jeder Steuerzahler bestraft.

„Die Höhe der Entschädigungszahlen steigt, manchmal exponentiell. Infolgedessen ist die Regierung gezwungen, die Krise in diesem Land wahrzunehmen. Je nach Schwere des Schadens können 15, 20 oder 30 Tausend Euro Entschädigungssumme möglich sein,“ sagte Oleksandr Pawlitschenko, Experte der Menschenrechtsgruppe Charkiw.

“Die höchsten Wiedergutmachungszahlungen werden für Fälle von Folter und Hinrichtungen verhängt. Angesichts des Ausmaßes der Verletzungen können die Summen sehr hoch werden. Wenn man von tausend Beschwerden ausgeht, multipliziert mit 20.000 Euro, dann sind das schon 20 Millionen Euro. Es ist unmöglich vorherzusagen, wie hoch die Summe letztendlich sein wird,“ sagte Buschtschenko.

Die Experten weisen darauf hin, dass ein starker Wille zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit und hohe Qualifikationen für die beteiligten Anwälte unerlässlich sind, um so einen Prozess zu gewinnen. Nicht alle Bürger der Ukraine werden aber bereit sein, auch eine Bestrafung der Täter zu verlangen.

“Ich hatte zahlreiche Verletzungen: eine Gehirnerschütterung, denn sie hatten meinen Kopf schwer getroffen, Prellungen am gesamten Körper und einen Steißbeinbruch, wodurch ich nicht mehr gehen konnte. Ich konnte nur noch meine Beine hinter mir herziehen. Na ja, Gott sei Dank geht es mir jetzt besser und ich könnte praktisch jedem davonlaufen. Anwälte haben mich gefragt, ob ich Schadensersatz in Millionenhöhe, viel, viel Geld fordere, aber das brauch ich gar nicht. Sie haben mir keine Millionen gestohlen. Ich will nichts von denen, nur das Urteil von Gott,“ erklärte der Kosake Mychaylo Hawryliuk, der beim Maidan schwer verletzt worden war.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat dem Fall eines Maidan-Aktivisten schon Priorität gegeben.

Inzwischen hat die Ukraine sogar einen Rekord gebrochen: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat dem Fall des Maidan-Aktivisten Ihor Sirenko angenommen und mit Priorität versehen. Das Opfer hat ausgesagt, am 30. November bei der gewaltsamen Zerstreuung einer friedlichen Demonstration von Einheiten der Sonderpolizei geschlagen und danach illegal inhaftiert worden zu sein. Sirenko beklagt eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Angesichts der Tatsache, dass das Gericht den Fall mit Priorität verhandelt, rechnen Anwälte für Mitte März mit einer Entscheidung. Dies wäre insofern ein Präzedenzfall, denn der Fall wurde bisher in der ukrainischen Gerichtsbarkeit noch nicht behandelt, und die Regel für den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof besagt, dass ein Fall erst angenommen wird, wenn der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist. Die Anwälte glauben, dass dies bedeuten könnte, dass die internationale Gemeinschaft jegliches Vertrauen in die ukrainischen Gerichte verloren hat.

Quelle englisch : http://euromaidanpr.wordpress.com/2014/02/07/bloody-ukraine-lawyers-are-gathering-evidence-for-a-black-book-on-violence/

Übersetzt ins Englische von Anna Mostovytsch, daraus ins Deutsche von Klaus H. Walter

Quelle:  24tv.ua

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